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04-05/24

Was werden wir ändern?

Was werden wir ändern?

Von den großen Hoffnungen auf eine andere Welt ist nach eineinhalb Jahren Pandemie nicht mehr viel übrig geblieben. Bei vielen ist vor allem Erschöpfung spürbar. Haben wir trotzdem für die Zukunft gelernt?

Erinnern Sie sich noch an die Balkonkonzerte von KünstlerInnen oder die Applausorgien für Krankenpersonal? Damals, im Frühling 2020, hatten wir noch geglaubt, die Pandemie könnte schnell wieder vorbei sein.

Mehr noch, sie sei sogar eine Chance. Wir könnten uns verabschieden von allem, was zu viel, zu schnell, zu laut – kurz: überflüssig – ist, und uns dem zuwenden, was wirklich zählt. Heute wünschen sich die meisten nur ihr „altes Leben“ zurück. Wollen wir tatsächlich nichts ändern?

In unserer „Welt der Frauen“-Interviewserie „Wie machen wir jetzt weiter?“ kamen verschiedene Personen zu Wort, die sich genau dazu Gedanken machen.

Die Soziologin Jutta Allmendinger formulierte etwa, dass nun die gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern anzugehen sei. Dafür seien aber nicht nur Paare selbst zuständig, sondern auch die Politik. Eine 32-Stunden-Woche für alle sei genug.

Hanni Rützler, die sich mit Ernährungstrends beschäftigt, zeigte sich überzeugt, dass sich unsere Art, zu essen, ändern wird. Nicht schnelles Junkfood, sondern langsames und gemeinsames regionales Tafeln sei angesagt. In vielen Statements wurde klar, dass Globalisierung eine neue Dimension bekommen wird. Pandemie und Klimawandel gehören zusammen.

Virologinnen wie Elisabeth Puchhammer-Stöckl warnen vor nächsten Epidemien. Sie könnten durch Insekten übertragen werden, die aufgrund der Erderwärmung im Süden Europas und in weiterer Folge auch bei uns heimisch werden. Müssen wir lernen, in immer kürzeren Intervallen mit Pandemien umzugehen? Gelingt es, unseren Ressourcenverbrauch zu ändern, und damit auch unseren Lebensstil? Schließlich haben die Erfahrungen der vergangenen Monate auch unsere Fähigkeit geprüft, mit Einschränkungen zu leben.

Geistliche wie Pater Anselm Grün sehen darin eine Chance, uns selbst, vielleicht auch den spirituellen Grund des Lebens wieder mehr zu spüren. Das alles sind Befunde. Jede und jeder hat die Zeit der Pandemie in den ihm und ihr eigenen Rahmenbedingungen anders erlebt. Daher werden wir auch unterschiedliche Schlüsse ziehen.

Über all das hinaus ist aber die Gemeinschaft gefordert. Wir werden neue Ziele, neue Spielregeln und Gesetze, neue Maßnahmen brauchen. Um das auch umzusetzen, ist es wichtig, öffentliche Debatten zu führen. Das hat in der Zeit der Pandemie völlig gefehlt. Nun sollten wir die Diskussion im großen Rahmen eröffnen und versuchen, möglichst viele Menschen einzubeziehen.

Wir können ruhig bei den ganz großen Fragen anfangen: In welcher Welt wollen wir künftig leben? Was ist ein gutes Leben für alle? Wofür sind wir als Menschen verantwortlich? Was vom schnellen Tempo unseres Lebens „vor Corona“ wollen wir zurück? Wie werden wir reisen? Um dann weiterzubohren: Wie wollen wir als Familien leben, und was brauchen wir, sollte nochmals eine Pandemie kommen? Wie können Berufe, die wir als systemrelevant erkannt haben, so vergütet und aufgewertet werden, wie es ihrer Bedeutung entspricht? Wie können alle, die auch existenziell von der Krise schwer getroffen worden sind, solidarisch in der Mitte der Gesellschaft gehalten werden?

Die Pandemie hat uns sehr auf das Private zurückgeworfen. Die Onlinewelt hat sich als Mittel zum Zweck bewährt. Aber sie ersetzt nicht den persönlichen Kontakt, das direkte und manchmal auch hitzige Reden miteinander. Hitze, die sich aus innerem Engagement, aus dem Ringen um Argumente und Standpunkte ergibt, entsteht nur, wenn wir uns mit allen Sinnen wahrnehmen. Damit das öffentliche Gespräch gelingt und zu guten Ergebnissen führt, sollte sich niemand entziehen. Gerade Frauen sind gefordert, sich nicht aufs Private zu bescheiden, sondern aktiv die Chance zu nützen. Mischen Sie sich ein, entscheiden Sie mit, jetzt ist die Zeit dafür günstig.


Christine Haiden freut sich auf Debatten nach der Coronapandemie. Stoff für Gespräche gibt es genug.

Anregungen für danach

Die „Welt der Frauen“-Reihe „Wie machen wir jetzt weiter?“ hat seit dem Sommer 2020 die Pandemie mit nahezu wöchentlichen Beiträgen begleitet. Von verschiedenen Seiten wurde immer neu überlegt, was diese außergewöhnliche Zeit an Veränderungen bewirkt, im einzelnen Menschen, aber auch in der Gesellschaft. Tatsächlich sind die ganz unterschiedlichen Zugänge wichtig.

Ob eine Theologin spricht oder ein Wirtschaftswissenschaftler, ob Sozialmanagerin oder Bildungsexpertin, Sportler oder Politikwissenschaftler: Jede Perspektive reichert das Bild an. Die Beiträge legen nahe, dass wir tatsächlich in eine Phase der Veränderung eintreten. Selbst wenn viele versuchen werden, unmittelbar nach der Krise ihr altes Leben wieder aufzunehmen, werden die Einschnitte der Pandemie nicht ohne Folgen bleiben. In unserem selbstverständlichen Weltbild und unserem Glauben daran, dass alles immer so weitergeht, seien wir zu sehr erschüttert, meinen die Experten.

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„Welt der Frauen“ Ausgabe Juni 2021

 

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  • Veröffentlicht: 07.06.2021
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