Aus dem geschäftigen Treiben in den stillen Wald eintauchen: Pilgern in der Großstadt hat seinen ganz besonderen Reiz.
Der Nebel hängt noch über den Bäumen, als wir uns vor dem Nikolaitor treffen. Dieser Eingang in den Lainzer Tiergarten, einem Teil des Wienerwaldes, der zur Gänze im Wiener Stadtgebiet liegt, ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Ein ungewöhnlicher Einstieg in eine Pilgerwanderung: mit der U-Bahn durch die geschäftige Stadt, voll mit EinwohnerInnen und TouristInnen, die sich an diesem Samstag auf den Weg zu Shoppingstraßen und Sehenswürdigkeiten machen. Doch von der Endstation aus sind es nur ein paar hundert Meter. Zweimal um die Ecke und schon liegt vor einem der Eingang zum großen Wald, der heute besonders verwunschen aussieht.
Die Gruppe, die sich hier getroffen hat, ist klein: acht Frauen. Manche kennen sich und begrüßen sich herzlich, andere stellen sich vor und werden herzlich von den Mitpilgernden und Beatrix Kickinger begrüßt. Sie ist Teil der Frauenrunde der Pfarre Wien-Hütteldorf und hat die Pilgerwanderung organisiert. Beatrix – die Gruppe einigt sich gleich auf ein „Pilgerinnen-Du“ – teilt blaue Bändchen aus, die wir an unsere Rucksäcke knüpfen, als Zeichen dafür, dass wir zusammengehören.
Zwei Stäbe, ein Weg
Obwohl die Gruppe klein ist, gibt es zwei Pilgerstäbe – für den Fall, dass sich die Gruppe aufteilt und verschieden anspruchsvolle Routen wählt. Es ist aber gleich klar: Wir bleiben zusammen und nehmen den steilen Weg. Diesen beschreiten wir nun, gehen durch das Nikolaitor in den Lainzer Tiergarten und finden uns nur wenige Minuten später vor unserer ersten Station wieder, der Nikolaikapelle, einem der ältesten sakralen Bauwerke Wiens. Hier soll unsere Pilgerwanderung so richtig beginnen. Wir stellen uns im Kreis auf und Beatrix spricht einige Worte zur Begrüßung. Wir stimmen ein Gebet und ein Lied an und Beatrix lädt uns dazu ein, uns für unseren Weg etwas mitzunehmen: eine Person, die wir im Herzen tragen, einen Gedanken, eine Intention.
Und dann brechen wir auf. Mit dem ersten Schritt beginnen sich Gespräche zu entwickeln, es ist ein munteres Geplauder, das uns von nun an begleiten soll. Ein Pilgerstab wird ganz vorne getragen, der andere als „Schlusslicht“. So fühlen wir uns nicht nur als Gruppe gut umrahmt, sondern sind auch gleich für andere Wandernde zu erkennen. Nach einer Stunde Aufstieg erreichen wir den „Wienerblick“, eine Wiese, von der aus man die ganze Stadt sehen kann. Der Nebel hat sich inzwischen gelichtet und so bietet sich uns ein klarer Blick über ganz Wien. Wir stellen uns im Halbkreis auf und sprechen Wünsche für die BewohnerInnen unserer Stadt. Wir bitten für alle Menschen, für Alte und Kinder, für Angehörige aller Religionen. Ein feierlicher Moment, den wir genießen.
Stärken und Ankommen
Unser Weg führt uns weiter bis zum Rohrhaus, vor dem wir Rast machen und uns mit mitgebrachten Keksen, Nüssen, Broten und Wasser für den nächsten Abschnitt stärken. Ab jetzt geht unser Weg sanft bergab durch den herbstlichen Wald. Für ein Körpergebet, bei dem all unsere Sinne angeregt werden, machen wir halt und es scheint, als würden wir unsere Umgebung noch detaillierter wahrnehmen: wie der Wind bunte Blätter von den Bäumen weht, wie aus einer einzelnen, dunklen Wolke wenige Regentropfen fallen, wie uns dann wieder die Herbstsonne ins Gesicht scheint.
Wir nähern uns langsam, Schritt für Schritt, dem Ende unserer Wanderung. Das Pulverstampftor entlässt uns aus dem Lainzer Tiergarten zurück in die Stadt, wir überqueren eine Autobahnbrücke und spazieren den Wienfluss-Weg bis zur Kirche der Pfarre Mariabrunn, die seit vielen Jahrhunderten als Wallfahrtskirche bekannt ist. In der Kirche beschließen wir unsere Pilgerwanderung, bedanken uns für den Tag, die Gruppe, das Wetter und alles, was uns heute Schönes widerfahren ist. Wir sind am Ende des Weges angekommen – und doch war der Weg selbst das eigentliche Ziel.
Pilgerberichte aus ganz Österreich
Lesen Sie hier die einzelnen Nachberichte unserer RedakteurInnen!