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03/24

Was bedeutet Niedrigzinspolitik?

Was bedeutet Niedrigzinspolitik?

Für das Geld auf dem Sparbuch gibt es kaum noch Zinsen. Dafür sind Kredite seit Jahren so günstig wie nie zuvor. Was bedeutet das eigentlich: Niedrigzinspolitik? Eine Bilanz.

Sparschwein auf Diät

Was hat Zinspolitik mit unserem täglichen Leben zu tun?

Niedrige Zinsen bedeuten, dass wir wenig dafür bekommen, wenn wir unser Geld auf Konten und Sparbüchern parken. Wenn man beim Sparbuch einmal das Kleingedruckte liest, steht dort zurzeit meistens eine winzige Zahl: 0,01 Prozent. Eine eiserne Reserve von 10.000 Euro beispielsweise erwirtschaftet dann in einem Jahr gerade einmal einen mickrigen Euro Zinsen. Aber niedrige Zinsen haben auch Auswirkungen auf die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes und die Preise beim Einkaufen.

Niedrige Zinsen bedeuten, dass Kredite wenig kosten. Oft heißt es, es sei deshalb jetzt sinnvoll, in Immobilien zu investieren. Aber da die Anbieter von Häusern oder Wohnungen genau wissen, dass das Geld bei der Bank günstig zu haben ist, kann Niedrigzins auch dazu führen, dass die Preise insgesamt steigen.

Hängen Zinsen und Preise zusammen?

Banken zahlen SparerInnen momentan nur sehr geringe Zinsen auf Sparbücher, Sparen soll sich nicht lohnen. Gleichzeitig bieten sie billige Kredite, es soll einfach sein, sich Geld zu leihen. In der ganzen EU herrscht zurzeit eine Niedrigzinspolitik, eine Politik des „billigen Geldes“. Begonnen hat diese Politik mit dem ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi.

Er hat den europäischen Leitzins gesenkt und viel Kritik dafür einstecken müssen. Die neue EZB-Chefin, Christine Lagarde, wird die Niedrigzinspolitik allen Voraussagen nach fortsetzen. Der Hintergrund: Die EZB versucht seit Jahren, die Wirtschaft in der Eurozone anzukurbeln, und ist der Meinung, dies gehe am besten, wenn die Inflation zwei Prozent beträgt, was wiederum bedeutet, dass die Preise um zwei Prozent steigen.

Wie bitte? Günstige Kredite führen zu mehr Konsum, einer höheren Nachfrage, treiben aber auch die Preise in die Höhe und damit die Inflation. Stellen wir uns ein elegantes Paar Stiefel vor, das 100 Euro kostet. Bei zwei Prozent Inflation würden die Schuhe schon bald 102 Euro kosten. Steigende Preise sollen dazu führen, dass wir beim Shoppen denken, heute noch zuschlagen zu müssen, weil wir sonst noch mehr für die schicken Stiefel bezahlen müssen.

Was sollen niedrige Zinsen bewirken?

Die größte Angst der BankerInnen ist die Deflation. Sie würde bedeuten, dass die Preise langsam sinken. Die Menschen würden dann eher warten, bevor sie etwas kaufen, weil es ja schon bald noch günstiger sein könnte. Die Folge: Der Konsum erlahmt, es wird weniger gekauft. Die Firmen machen dann weniger Umsatz und müssen Menschen entlassen. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Wirtschaft stagniert oder schlittert sogar in eine Krise. Damit die Preise nicht sinken, bieten die Banken billiges Geld als Anreiz für uns, mehr zu kaufen. 

Funktioniert der Plan der Banken?

Wenn alles teurer wird und man Geld am besten ausgibt, dann wird mehr gekauft und die Wirtschaft floriert – hofft die EZB. Doch leider hat das in der Vergangenheit nicht funktioniert. Das „billige Geld“ wurde eher in Aktien und Immobilien investiert als in Konsum. Auch die Preise in den Geschäften sind nicht gestiegen, sondern fast gleich geblieben. Der Grund: „Niedrige und negative Zinsen können KonsumentInnen nicht nur zum Kaufen ermutigen, sondern sie auch verunsichern. Eventuell entscheiden sie sich dann, noch weniger zu kaufen, und das wäre dann das Gegenteil dessen, was durch diese Maßnahmen erreicht werden sollte“, sagt Hannelore De Silva, Mathematikerin an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Die Folge: Wenn die Inflation über dem Zinssatz liegt, wird unser Geld weniger wert.

Was bedeuten Negativzinsen?

Wenn Zinsen für Bankguthaben nicht nur sehr niedrig sind, sondern sogar negativ werden, bedeutet das, dass man für sein Erspartes bei der Bank sogar „Strafzinsen“ zahlen muss. Während manche Länder schon vereinzelt sogar Privatkunden ohne großes Vermögen negative Zinsen verrechnen, ist das bei uns durch ein Urteil des OGH ausgeschlossen. 

Wie viel bekommen wir von der Bank, wenn wir Geld sparen?

Wie entwickeln sich die Preise? Erst wenn man beides betrachtet, erfährt man etwas über die Auswirkungen von Zinspolitik. Denn: Ob wir uns mit unserem Ersparten tatsächlich später einmal mehr kaufen können, hängt nicht nur von den Zinsen ab, sondern eben auch von der Inflationsrate, also davon, wie sich das Preisniveau insgesamt entwickelt. „Wenn man die Inflation von den Nominalzinsen abzieht, sieht man, dass diese Realzinsen in den letzten Jahrzehnten sehr oft negativ waren“, sagt Hannelore De Silva.

Sind die niedrigen Zinsen eine neue Entwicklung?

Schon in der Schulzeit sollen „Sparefroh“ und Co. zum Sparen animieren. Aber lohnte sich das Sparen früher noch, kann davon heute nicht mehr die Rede sein. Hannelore De Silva erklärt: „Schon seit den 70er-Jahren gibt es einen Abwärtstrend bei Zinsen. Während es bis 1980 sogar für täglich fällige – also jederzeit behebbare – Spareinlagen über vier Prozent Zinsen gab, bekommen wir heute am Konto meist kaum über null Prozent Zinsen.“ 

Ist die Finanzkrise schuld?

Während der Finanzkrise von 2008 drohte eine Rezession, Unternehmen wollten nicht mehr investieren. Die Zentralbanken – die nationalen Zentralbanken und die EZB – haben als Reaktion darauf ihre Leitzinsen stark gesenkt. WU-Ökonomin Hannelore De Silva sagt: „Die EZB verlangt momentan von Geschäftsbanken sogar negative Zinsen. Damit soll erreicht werden, dass Banken, anstatt negative Zinsen bei der EZB zu akzeptieren, lieber das Geld Unternehmen und Privatleuten als Kredite zur Verfügung stellen. Damit sollen Investitionen angeregt, Konsum ausgeweitet und insgesamt die Wirtschaft belebt werden.“

Werden die Zinsen niedrig bleiben?

Das erklärte Ziel der EZB ist eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Da die Inflationsraten derzeit aber nur bei etwa einem Prozent liegen und die Konjunktur eher schwach ist, wird die EZB ihre Niedrigzinspolitik aller Voraussicht nach fortsetzen. Kredite bleiben also auch weiterhin günstig.

Welche Vorteile haben niedrige Zinsen?

Für Privatpersonen bedeuten niedrige Zinsen: Es ist leichter und billiger, einen Kredit zu bekommen. Die Traumwohnung oder das Traumauto rücken so für viele Menschen in erreichbare Nähe. Für Unternehmen und Start-ups gilt dasselbe: Sie erhalten leichter eine Finanzierung, es kann mehr investiert werden. Für wirtschaftlich daniederliegende Staaten ist die europäische Niedrigzinspolitik auch positiv: „Sie können sich in einem Niedrigzinsumfeld billiger und einfacher refinanzieren, also zum Beispiel Staatsanleihen ausgeben, um die Staatsausgaben besser zu bewältigen. Das hat natürlich gerade für Länder, die da vorher diesbezüglich in Schwierigkeiten waren, große Vorteile“, so Hannelore De Silva.

Haben niedrige Zinsen überhaupt Nachteile?

„Wer hofft, mit seinen Spareinlagen gute Zinserträge zu erhalten, wird enttäuscht. Wer höhere Zinsen will, ist vielleicht versucht, Alternativen zu wählen, die mehr Risiko bedeuten“, so die Wirtschaftswissenschaftlerin. „Haushalte mit größeren Spareinlagen interessieren sich dann vielleicht auch verstärkt für Immobilien, Luxusgüter, Rohstoffe, Beteiligungen, Hedgefonds, Kunstgegenstände und andere Anlagewerte, um bessere Erträge zu erzielen. Weil die Preise dort wegen der verstärkten Nachfrage steigen werden, kann das auf diesen Märkten allerdings dazu führen, dass es zu ‚Preisblasen‘ kommt, die Produkte viel teurer werden, als sie eigentlich wert sind.“

Welche Folgen hat es, wenn Banken durch die niedrigen Zinsen auf Kredite weniger an KreditnehmerInnen verdienen? „Sie werden dann verstärkt versuchen, durch Gebühren Geld zu verdienen, oder auch neue Dienstleistungen und mehr Digitalisierung anbieten“, sagt De Silva.

Und was passiert, wenn die Zinsen wieder steigen?

Eine längere Phase mit niedrigen Zinsen bedeutet in der Regel, dass sich viele Menschen verschulden. Falls die Zinsen in der Zukunft doch wieder steigen sollten, könnten Kredite plötzlich wieder viel teurer werden. Eine Krise droht, denn Privatpersonen könnten dann ihre Schulden vielleicht gar nicht mehr zurückzahlen. Unternehmen, die Kredite genommen haben, könnten eventuell laufende Projekte nicht weiterführen, weil sie sich schlicht nicht auszahlen würden. Die Ökonomin empfiehlt deshalb: „Es ist sehr wichtig, mit der Bank fixe Zinsen zu vereinbaren, damit man sich die Raten auch noch leisten kann, wenn die Zinsen wieder steigen!“

Was bringt die Zukunft?

Bei einem optimistischen Blick in die Zukunft könnten die niedrigen Zinsen wirklich das bewirken, was die BankerInnen der EU und der nationalen Zentralbanken ursprünglich im Sinn gehabt haben: Die Wirtschaft belebt sich, es könnte wieder mehr investiert und konsumiert werden, die Arbeitslosigkeit würde sinken. Prognosen über die Auswirkungen der Zinspolitik sind schwierig bis unmöglich, da nicht nur die Zahlen und das Zinsniveau eine Rolle spielen, sondern das ganze komplexe System der Weltwirtschaft.

Sollte die europäische Wirtschaft allerdings – trotz Brexit – in eine rosige Zukunft blicken, dann würden auf längere Sicht auch wieder die Zinsen steigen. Um eine dann drohende Schuldenkrise zu vermeiden und für die KreditnehmerInnen ein böses Erwachen zu verhindern, dürften Zinsen dann allerdings nur sehr langsam und vorsichtig erhöht werden. 

Welt der Frauen März 2020Der Text ist in der „Welt der Frauen“-Ausgabe März 2020 erschienen. Sie können sich das Einzelheft HIER nachbestellen.

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  • Veröffentlicht: 22.10.2021
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