Die deutsche Theater- und Filmemacherin Elfe Brandenburger war immer politisch aktiv und in den 1980er-Jahren Teil der Punk-Bewegung. Heute engagieren sich ihre Töchter Merle und Esther in verschiedenen sozialen Projekten. Ein Generationengespräch über Wut, Engagement, Verzweiflung und radikale Hoffnung.
Welche Assoziationen haben Sie, wenn Sie die Wendung „No Future“ hören?
Merle: Für mich klingt „No Future“ wie Resignation: Wir steuern sowieso auf den Abgrund zu, also ist es egal, wie ich mich verhalte.
Elfe: Das kommt auf den Kontext an. Für mich ist „No Future“ ein alter Punk-Slogan, und der ist verbunden mit dem Gefühl „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“. Ich bin Jahrgang 1958, war also schon fast zu alt für die Bewegung, aber ich hatte viele punkige Freunde, trug eine Lederjacke und farbige Haare. Und ich trug eine gewisse provokative Aggressivität zur Schau. In der Zeit, als die Punks Randale machten, bewegte ich mich eher in einer intellektuellen Szene, war politisch aktiv, habe allerdings darunter gelitten, dass alles so überkorrekt gelebt werden musste: diese Selbstkasteiung der Siebzigerjahre. Dass man für seine politische Überzeugung in den Untergrund geht und auf alles verzichtet, was Spaß macht – das fand ich schwierig. Sagen wir es so: Die Spontis haben mir besser gefallen als die RAF.
Wie hat damals dieses No-Future-Gefühl angefangen?
Elfe: Es war auf jeden Fall schon während meiner Schulzeit da. Ich habe 1977 Abitur gemacht und wir waren davon überzeugt, dass bald der Dritte Weltkrieg ausbricht durch den NATO-Doppelbeschluss, die Aufrüstung, die Politik der Abschreckung der Supermächte. Das hat bei meiner Generation zu der Überzeugung geführt, dass der Atomkrieg kurz vorm Ausbruch steht und tatsächlich in Europa stattfinden wird. Dass wir also das Schlachtfeld für einen verheerenden Dritten Weltkrieg sein werden. Es kursierten damals Filme über das Aussterben der Menschheit, sogar Zeichentrickfilme wie „Wenn der Wind weht“, die zeigten, wie auf einer von Radioaktivität verseuchten Erde alles Leben ausstirbt und nur ganz wenige Privilegierte in Bunkern überleben. Das waren die Horrorszenarien, die mich in meiner Jugend begleitet haben. Ich weinte manchmal deswegen. Irgendwann wurde aus der Angst dann Wut, ich konnte mich auf meine eigene Weise der Punk-Bewegung anschließen und sagen: Okay, ich hau da jetzt drauf, ich schmeiß jetzt die Fensterscheiben ein von diesem Pelzgeschäft und reiß Mercedes-Sterne ab. Es war auch eine Art von Depression.
„„No Future“ war kein bloßer Slogan. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass es mit unserer Welt zu Ende geht.“
Waren diese Ängste nicht eher Hirngespinste?
Elfe: Nein, das war sehr ernst zu nehmen. Es gab die Energiekrise in den Siebzigerjahren, autofreie Sonntage, um Benzin zu sparen. Wir dachten, es gibt ja sowieso bald gar keine Ressourcen mehr. Und es gab Skandale um Lebensmittel: Die Eier schmeckten nach Fisch, weil man die Hühner mit Fischmehl gefüttert hatte. Alles war kontaminiert, damals mussten ja noch keine Inhaltsstoffe auf Lebensmittelpackungen angegeben werden. Erst in meiner Studienzeit fing es an mit den ersten Bioläden und makrobiotischen Läden – das war eher esoterisches Bio. Wir waren ganz sicher, dass die Lebensmittel in den Supermärkten vergiftet sind.
Merle: Stimmte ja auch.
Elfe: Insofern war „No Future“ kein bloßer Slogan. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass es mit unserer Welt zu Ende geht.
Esther: Wir steuern ja immer noch auf eine Katastrophe zu. Ich wusste lange nicht, dass die Klimabewegung schon so alt ist und die Leute schon vor dreißig Jahren genau die gleichen Sachen gesagt haben wie wir heute. Wie kann das sein, dass es eigentlich immer nur schlimmer geworden ist?
Merle: Es ist ja nicht nur schlimmer geworden.
Elfe: Schlimmer ist, dass die Sorge jetzt global geworden ist. Wir dachten damals in erster Linie, dass vor allem in Europa und den USA alles den Bach runtergeht. Zugleich glaubten wir an von Zerstörung unberührte Regionen. Die Amazonas-Urwälder waren noch nicht so abgeholzt wie heute, wir hatten Hoffnung, dass es noch gute Erdteile gibt.
Merle: Interessant, ich dachte, dass genau diese Hoffnung eher etwas ist, das unsere Generation auszeichnet. Dieses „No Future“ damals, so wie ich das wahrnehme, war ja wirklich ein „Scheiß drauf. Ich setze keine Kinder in diese Welt“.
Elfe: Doch, doch, es gab diese anderen Vorbilder, zum Beispiel die Reden eines indigenen Ältesten aus Lateinamerika, der sagte, wir müssen unser Leben ändern und kleinere Einheiten bilden. Oder dieses Buch von Jean Liedloff „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“, das einen ganz anderen Umgang mit Kindern beschreibt. Es war ein bisschen esoterisch, aber man fand eben in den Naturreligionen dieser indigenen Gruppen auf den unterschiedlichen Kontinenten Lösungsvorschläge, wie ein anderes Zusammenleben und ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur möglich wären.
Merle: Das schockiert mich aber jetzt doch ein bisschen.
Elfe: Warum?
Merle: Weil ich dachte, dass solche Dinge wie „Indigenous Knowledge“ (Anm.: indigenes Wissen) erst jetzt aufkommen. Ich bin in meinem Studium Oecologicum auf den Begriff „radikale Hoffnung“ gestoßen, für mich bedeutet der, dass man das Ruder noch rumreißen kann. Aber wenn das jetzt auch in die Kategorie „Da wird schon unglaublich lange darüber gesprochen“ fällt, macht es das fast ein bisschen kaputt.
Was haben Sie damals erreichen wollen mit Ihrem Punk-Protest? Welchen Effekt sollte die Randale haben?
Elfe: Indem wir Fensterscheiben einwerfen, dachten wir, strafen wir die Ignoranten, die überhaupt gar keine Idee davon haben, wie das wirkliche Leben aussieht. Also wir schädigen die! Wir hatten nicht das Gefühl, dass das einen langen Zeiteffekt hat – es war eher ein direkter, aggressiver Angriff, ohne erwischt werden zu wollen. Ich bin einmal erwischt worden und musste eine Strafe zahlen, das war alles. Ich bin ganz gut davongekommen, weil ich noch relativ jung war.
„Uns war wichtig, dass es Bilder gibt, die einen Widerstand erzeugen. Das war auch die Art von Kunst, die ich verfolgt habe.“
Also wollten Sie provozieren?
Elfe: Wir wollten, dass der Staat sein wahres Gesicht zeigt und andere Menschen darauf aufmerksam machen. Es gab ja noch kein Internet. Uns war wichtig, dass es Bilder gibt, die einen Widerstand erzeugen. Das war auch die Art von Kunst, die ich verfolgt habe: im Theater Sätze auszusprechen, an denen man sich stößt und die dann am nächsten Tag in der Presse stehen. Also ich hätte jetzt nicht irgendeinen Waffenhändler aus Frankfurt umnieten können, so weit wollte ich nicht gehen. Aber Gewalt gegen Sachen fand ich schon gut. Ich hab Wände besprüht, Autos demoliert, Bilder von verknoteten Schwänzen überall draufgeklebt. Also auch schon ein bisschen spaßigere Sachen. Freunde von mir haben auch Yuppies, also schicke junge Karrieretypen, in Frankfurt mit Sekundenkleber an die Fensterscheiben von Banken geklebt. Zu mehreren Leuten haben die denen einfach den Rücken mit Klebstoff eingeschmiert, also sie teilweise auch ausgezogen und mit nacktem Rücken an die Scheiben geklebt.
Merle: Wie, lebende Menschen?
Elfe: Ja.
Merle: Die wurden dann einfach gepackt?
Elfe: Gepackt, eingestrichen mit Sekundenkleber und an die Scheiben geklebt.
Esther: Was, wirklich? Wow, wie krass. Also weil das Körperverletzung ist.
Merle: Und weil es auf Einzelpersonen geht. Ich habe ein Verständnis für diese radikale Art, politisch aktiv zu sein, auf jeden Fall. Aber grenzüberschreitend ist das schon …
Elfe: Ich weiß, dass ein paar Yuppies ausgezogen wurden, also nackt angeklebt wurden, das hat meine Grenze auch überschritten. Ich habe aber trotzdem gelacht, als ich das Foto gesehen habe: Der Typ, der an einer Glasscheibe zappelt wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist. Und der musste dann rausgeschnitten werden. Also das Panzerglas der Bank musste zerstört werden.
Ist das nicht ein bezeichnender Unterschied zwischen den 1980er-Jahren und heute: Damals klebte man die GegnerInnen fest. Heute kleben sich die AktivistInnen selbst an die Straße
Esther: Stimmt, heute klebt man sich selber fest.
Merle: Boah, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Wie weit würde ich gehen? Die Sache ist, diese Wut, die habe ich gar nicht so krass. Sondern wenn überhaupt, eine Angst oder Sorge.
„Ich ziehe meine politische Energie aus einer Hoffnung. Das ist vielleicht utopisch, aber ich glaub an eine Utopie und trag auch was dazu bei.“
Aber Sie engagieren sich doch politisch?
Merle: Esther und ich engagieren uns in einem Projekt für obdachlose Frauen. Auch mit meinem Studium – ich würde auch gerne den Master machen zu einem Nachhaltigkeitsthema – engagiere ich mich, klar. Ich gehe so weit, dass ich mein Leben gerne diesem Thema widmen würde. Mit unserer ehrenamtlichen Arbeit verändern wir allerdings nicht wirklich etwas am System, sondern sorgen dort für Ausgleich, wo es nicht funktioniert.
Elfe: Da hatten wir eine andere Haltung. Wenn ich auf einer Demo war, war ich immer ganz vorne, und ich habe auch versucht, die Beamten zu beleidigen, denen die Zunge rauszustrecken oder sie anzuspucken. Aber ich war da keine Ausnahme und hatte eine breite Solidarität hinter mir. Wir wollten fighten.
Esther: Die Klima-Kleber, Letzte Generation – ich finde diese Art von Radikalität cool.
Merle: Ich bin schon auf deren Seite, aber ich frage mich: „Wozu? Was soll das bringen?“ Menschen wütend zu machen, wäre nicht meine Art des Aktivismus. Es gibt auch eine bestimmte Scham für dieses Nicht-Radikale in mir – vielleicht bin ich ja ein Feigling? Aber bei reformierenden, reproduktiven Aktionen habe ich ein stärkeres Gefühl der Selbstwirksamkeit. Das meine ich auch mit radikaler Hoffnung: Es geht dabei um das Gefühl, dass man selbst mit kleinen Tätigkeiten, mit ein bisschen Aktivismus hier und ein bisschen LGBTQ+-Rechten dort oder allein schon damit, ein Gespräch zu führen, wie wir das jetzt tun, einen Beitrag leistet. Es fühlt sich an wie ein Nadelöhr, ein ganz kleines Loch, durch das man gucken könnte. Ich ziehe – so absurd das ist – meine politische Energie eben aus einer Hoffnung. Das ist vielleicht utopisch, aber ich glaub an eine Utopie und trag auch was dazu bei.
Elfe: Dass wir so stark in diesem „No Future“ aufgegangen sind, hatte vor allem etwas mit der Aufrüstung und dem Krieg zu tun. Wenn eine von den Supermächten den roten Knopf gedrückt hätte, wäre es egal gewesen, ob wir die Erde ökologisch retten. Das mit der Atomkatastrophe war das Schlimmste, was wir uns hatten vorstellen können.
Merle: Stimmt, das ist heute nicht mehr so. Natürlich stellen wir uns den Klimawandel als das große Event vor, das alles zerstört. Aber im Grunde ist das eher ein langsamer Tod. Wir befinden uns ja schon im Klimawandel. Es ist eben nicht ein einzelner Schlag wie eine Atombombe, von der man Angst haben muss. Sondern es umgibt uns schleichend.
Kann man sagen, dass Ihr politisches Engagement heute eher konstruktiv, aber auch reproduktiv ausgerichtet ist? Und ist das nicht im klassischen Sinn „weiblich“?
Merle: Ja, meine Art des Engagements könnte tatsächlich mit meinem Gender zusammenhängen. Obwohl: Wenn ich an die Letzte Generation oder an eine radikale Person denke, habe ich keinen Mann vor Augen. Ich assoziiere das eher mit keinem oder einem weiblichen oder einem FLINTA-Geschlecht (Anm.: Abkürzung, die für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht binäre, transgeschlechtliche und agender Personen steht). Und als Mann musst du ein Feminist sein, wenn du Teil dieser Bewegung sein möchtest. Dieses männlich Zerstörerische, diese linken Macker würden eher in eure Zeit passen, Elfe.
Elfe: Ja, da gab es viele linke Macker, die uns auf die Nerven gingen. Die haben die Bewegung gespalten. Es gab bei Demos irgendwann reine Frauenblocks, weil wir keine Lust mehr auf diese Typen hatten, die ohne Rücksicht auf Verluste Krieg spielen wollten.
Merle: Vielleicht ist das ein bisschen der Unterschied zu früher: Wir haben kein so klares Feindbild mehr. Der Gegner ist das System, eine Struktur, es ist der Kapitalismus und der Konsum, klar, aber auch wenn man gegen etwas ist, muss man sich trotzdem als Teil davon begreifen.
„Das schlimmste Endzeitszenario wäre für mich: Es brechen unglaublich viele Kriege aus, die Welt wird überflutet, ganz viele Menschen sterben, und die Erde ist einfach wieder sich selbst überlassen.“
Was wäre das Schlimmste, was passieren kann und wie sähe eine gute Zukunft aus?
Elfe: Meine schrecklichste Vorstellung wäre, dass es – politisch legitimiert – einen Zugriff auf meinen Körper gäbe, zum Beispiel ein Abtreibungsverbot, dass ich sozusagen als Eigentum des Staates gesehen werde. Oder wenn hier Krieg ausbräche und man mich zwingen würde, Soldatin zu sein, würde ich sagen: „No, thank you.“ Ich würde fliehen. Es ist für mich keine Option, Leute abzuknallen. Auch Abschiebung von Flüchtlingen ist „fucked“, also dass ein Körper einfach wegtransportiert wird, obwohl er eigentlich dableiben will. Das ist ein derartiger Übergriff, da wird mir ganz schlecht. Die positiven Sachen wären: neue Konzepte des besseren Zusammenlebens und auch eine größere Frustrationstoleranz. Wir sollten nicht sofort denken, dass uns alles weggenommen wird, nur weil sich etwas ändert.
Esther: Das schlimmste Endzeitszenario wäre für mich: Es brechen unglaublich viele Kriege aus, die Welt wird überflutet, ganz viele Menschen sterben, und die Erde ist einfach wieder sich selbst überlassen. Das wäre das „No Future“-Ding: Auf eine ganz grausame Art verlassen wir den Planeten. Und „Future“ wäre: Wir schließen uns zusammen und haben kreative Anpassungsmöglichkeiten gefunden.
Merle: Das Schlimmste, was passieren kann, wäre, ganz stumpf, natürlich Krieg und Klimakatastrophe, Nahrungsmittelknappheit – Dystopie „at its best“. Und bei „Future“, da schließe ich mich der Idee der Adaptation total an: Wir sollten uns als offene Systeme verstehen und alles, was uns umgibt, in unsere Identität mit einbeziehen.
Zu den Personen:
Elfe Brandenburger, geboren 1958 in Landau/Pfalz, war bis vor kurzem Filmschaffende und ist jetzt Textschaffende, Ghostwriterin und Betreiberin der kollektiven Buchhandlung paul+paula in Berlin. In den 80er- und 90er-Jahren war sie Mitglied des unabhängigen Theaterkollektivs minimal club in München und Berlin.
Merle Brandenburger, geboren 1996 in München, studiert Biologie. Mehrere Auslandsaufenthalte für soziale Projekte, etwa eine Tierrettungsstation in Mittelamerika oder ein Recycling-Projekt in Ghana.
Esther Brandenburger, geboren 1998 in Mammendorf/Bayern, studiert Psychologie und arbeitet nebenbei in einem kleinen Programmkino. Sie lebte ein Jahr lang in Indien und absolvierte Praktika und Jobs im sozialpsychiatrischen Bereich.