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Bewegung
04-05/24

Womöglich bin ich asozial.

Womöglich bin ich asozial.

Mir fehlt nichts und niemand. Das macht mich stutzig.

Schön langsam komme ich mir komisch vor. Ein Teil der Welt ist verständlicherweise mit Homeoffice und Kinderbetreuung überfordert, aber der andere Teil scheint sich gerade übermäßig zu beschäftigen, putzt wie besessen jedes Zimmer, mistet Laden, Schränke und Gehirne aus, schaut Serien bis zum Abwinken und trifft sich stundenlang auf Zoom – meinem Verstehen nach als Kompensation für die fehlenden sozialen Kontakte.

Und genau das gibt mir zu denken. Nicht, was die Welt betrifft, sondern was mich betrifft. Ich mache nämlich nichts von alldem. Und mir fehlt auch nichts. Nicht einmal meine Freundinnen. Oder meine Eltern. Der Schluss, den ich daraus ziehen muss, wirkt nicht sonderlich sympathisch: Womöglich bin ich ein asoziales Wesen oder, das klingt etwas freundlicher, der geborene „Almöhi“. Beziehungsweise die geborene „Almöhin“. Vermutlich wäre ich ohne Corona noch länger nicht auf diesen Gedanken gekommen. Vermutlich hätte ich noch Jahre mein Leben viel zu voll gestopft mit allem, was soziale Wesen eben so brauchen: Feste, Essenseinladungen, Kaffeekränzchen, Kulturabende, Freundinnentreffen, Lesungen und so weiter. Alles Ereignisse, die ich in den Tagesplan reingequetscht, aber letztlich doch genossen habe. Vermutlich hätte ich mir weiterhin nicht zugestanden, dass soziales Leben unglaublich stressig sein kann, dass ich einfach wahnsinnig gerne Zeit mit mir alleine verbringe und da auch einiges nachzuholen habe. Und jetzt? Gezwungenerweise abgeschnitten von allen sozialen Ereignissen stelle ich plötzlich fest, dass mich das Daheimbleiben nicht stresst. Dass mir im Gegenteil das Daheimbleiben das Gefühl vermittelt, in einem für mich paradiesischen Zustand gelandet zu sein. In einem, in dem ich nichts tun muss, aber immer tun darf, was ich gerade will: schauen, schreiben, schlafen. Träumen, lesen, spazieren. In aller Ruhe mit den Kindern reden und in aller Ruhe mit mir reden. Sogar die Arbeit fädelt sich harmonisch in dieses Wollen ein. Dieses Almöhin-Leben tut mir rundherum gut. Ich habe keinerlei Bedürfnis, mich extra zu beschäftigen, sondern treibe durch die Tage, die trotzdem viel zu schnell verfliegen. Manchmal denke ich mir am Abend: Oh Gott, wenn ich jetzt noch fortgehen müsste! Dann bin ich unglaublich dankbar, dass ich ganz ohne schlechtes Gewissen weiter gemütlich auf der Couch lümmeln darf, gemeinsam mit Zeitungen, Büchern und Musik. Und wenn ich mit einer Freundin oder meinen Eltern plaudern will, rufe ich sie eben an. Das reicht mir. Zumindest im Moment. Auch wenn jetzt die halbe Welt den Kopf schüttelt.

Nachtrag: Dieser Text ist keine Gesellschaftskritik, sondern mein ganz persönlicher Kommentar zu meinem ganz persönlichen Coronaerlebnis. Natürlich respektiere ich, dass die aktuelle Situation viele Menschen belastet und sehr viele einsam sind. Dies möchte ich keinesfalls kleinreden. Schon gar nicht aus meiner Lebenssituation heraus: Ich lebe immerhin mit drei Kindern zusammen.

Verena Halvax

lebt mit drei Kindern (16, 19, 21), Hund und Katz’ in Leonding, in einem kleinen Haus mit Garten.
Nervenstatus: infiziert
Arbeitet als Autorin, Redakteurin, Leiterin von Schreibworkshops
www.schreiben-als-weg.at

Foto: Alexandra Grill

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  • Veröffentlicht: 22.04.2020
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