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04-05/24

Wie sag ich’s meinem Kind?

Wie sag ich’s meinem Kind?

Das schwierige Thema „Aufklärung“: Wie spricht man mit Kindern über Sexualität, Pubertät, Liebe und Beziehung? Es ist leichter, als wir gemeinhin denken

Wenn Bettina Weidinger bei Elternabenden Väter und Mütter über die sexualpäda­gogischen Workshops informiert, die sie für deren neun- bis zehnjährige Volksschulkinder anbietet, hört sie einen Satz immer wieder: „Also mein Kind ist an Sexualität überhaupt noch nicht interessiert!“ In den Workshops mit den Mädchen und Buben selbst, erzählt die Wiener Sexualpädagogin, Sozialarbeiterin und Co-Leiterin des „Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik“ (ISP), stelle sich die Situation meist etwas anders dar. „Wenn ich dann mit den Kindern über Lustgefühle und Erregung spreche, erzählen sie oft auch von ihren eigenen Erregungserlebnissen.“

Und damit ist man auch schon mitten drin in den Wahrnehmungsdifferenzen und Mythen, die rund um das Thema „Aufklärung und Sexualerziehung“ so besonders stark und hartnäckig wuchern. Beispiel gefällig? „Eine immer noch vorherrschende Fehlinformation ist, dass Sexualität erst mit der Pubertät beginnt“, erklärt Bettina Weidinger. „Wenn Eltern das denken, werden sie irritiert sein, wenn ihr fünfjähriges Kind sich genital stimuliert.“ Tatsächlich kommen wir als sexuelle Wesen auf die Welt, sprich mit einer gewissen „Grundausstattung“ zum Lustempfinden. Dabei ist es wesentlich, zu betonen, dass sich die kindliche Sexualität – so wie auch das kindliche Denken – von der erwachsenen Sexualität unterscheidet, aber zugleich ein normaler, wesentlicher Bestandteil der Entwicklung ist. Einer von vielen.

MYTHOS „AUFKLÄRUNGSGESPRÄCH“
Was daraus folgt? Zunächst wäre mit einem zweiten großen Mythos rund um Sexualaufklärung aufzuräumen, nämlich dem richtigen Zeitpunkt der Sexualaufklärung. Wann sucht man das Gespräch mit der Tochter, dem Sohn? Wenn sie oder er sechs Jahre alt ist, acht, zehn oder zwölf? Lieber früher als später? Welche Informationen gehören zu diesem großen Aufklärungsgespräch dazu? Wie merkt man als Elternteil, wann es so weit ist? „Ich erlebe immer wieder, dass sich Eltern unsicher fühlen und deshalb das Thema ,Aufklärung‘ ganz meiden – aus der Angst heraus, etwas falsch zu machen oder das eigene Kind zu überfordern“, sagt die ­Sexualpädagogin Katharina von der Gathen.

Wie also macht man’s richtig? Die Antwort ist erstaunlich simpel: „Das große Aufklärungsgespräch ist ein Mythos. Das gibt es nicht, hat es nie gegeben“, sagt Bettina Weidinger. „Stattdessen geht es darum, dass Eltern einen Rahmen schaffen, in dem Kinder sich in jeder Hinsicht gut entwickeln können.“ Das sei die beste Voraussetzung dafür, dass sie zu sexuell selbstbestimmten Jugendlichen und Erwachsenen würden.

Zugegeben, dieses „Sich-in-jeder-Hinsicht-gut-Entwickeln“ ist ein weites Feld. Allerdings lässt es sich auf einige ganz konkrete Punkte herunterbrechen. Bewegungsförderung ist ein zentraler Teil davon.

Lesen Sie den vollständigen Text in der Printausgabe.

Dieses kribbelige Thema

Die deutsche Sexualpädagogin und Autorin Katharina von der Gathen leitet seit vielen Jahren Aufklärungsprojekte in Schulen. Sie weiß, was Kinder rund um die Themen Sex, Körper und Pubertät besonders interessiert.

Welchen Kinderfragen begegnen Sie am häufigsten?
Katharina von der Gathen: Es gibt eigentlich zwei große Bereiche, aus denen die Fragen stammen. Zum einen geht es um die Kinder selbst: Sie spüren deutlich, dass sie bald keine Kinder mehr sind, dass sich langsam ihr Körper und auch ihre Gefühle verändern. Das weckt Neugier. Klassische Fragen dieser Kategorie sind: „Wie dick werden Busen?“, „Kriegen alle in der Pubertät Pickel?“ oder „Tut das weh, wenn ich meine Tage bekomme?“. Das andere große Thema betrifft die Erwachsenensexualität. Kinder erfahren in sämtlichen Medien und in ihrer Alltagswelt, dass Sexualität eine große Rolle spielt und trotzdem die meisten Erwachsenen nicht mit ihnen darüber sprechen. Sie fragen sich: „Was ist an Sex eigentlich so toll?“ Oder: „Wie geht Sex eigentlich?“

Bewährt es sich, Sexualerziehung für Buben und Mädchen gleich zu gestalten?
Meine Projekte finden in der Regel in gemischtgeschlechtlichen Gruppen statt, denn grundsätzlich ist es eine schöne und verbindende Erfahrung, gemeinsam in dieses kribbelige Thema einzutauchen. Im Alter von neun bis zehn Jahren sind die meisten Kinder noch sehr offen, auch was das andere Geschlecht angeht. Ich finde es wichtig, dass Mädchen erfahren, was ein Samenerguss ist, und Jungen die Möglichkeit haben, einmal einen Tampon auszuwickeln. Später, in der weiterführenden Schule, ist es dann etwas anders: Da brauchen Jugendliche ebenso einen geschlechtsspezifischen Schonraum, in dem sie sich untereinander austauschen und freier über ihre Themen sprechen können.

Wie schaut ein guter Mittelweg aus zwischen wichtiger Aufklärung und dem Wahren der Intim- und Peinlichkeitsgrenzen eines Kindes?
Kinder sind von Natur aus neugierig. Wenn sie in einer Atmosphäre leben und lernen, in der sie ihre Fragen stellen können, tun sie das auch. Leider erleben sie immer wieder, dass Erwachsene ihren Fragen peinlich berührt ausweichen, dass sie sich lustig machen oder sie sogar abweisen mit Sätzen wie: „Das ist noch nichts für dich.“ Auf diese Weise lernen Kinder geradezu, dass es besser ist, nicht mehr zu fragen. Es ist genau umgekehrt: Kinder sind ziemlich gut darin, die Intim- und Peinlichkeitsgrenzen von Erwachsenen zu wahren!

Katharina von der Gathen (46) ist Sexualpädagogin und Autorin. Seit vielen Jahren bietet sie in Schulen Aufklärungsworkshops für Kinder und Jugendliche an. Kinderfragen zum Thema hat sie in den zwei Publikationen „Klär mich auf“ und „Klär mich weiter auf“ gesammelt und beantwortet.

Was tun mit den Mitaufklärern aus dem Internet?

Sex ist allgegenwärtig – im Internet, am Handy, in sozialen Netzwerken. Muss Sexualerziehung unter diesen Vorzeichen heute anders aussehen als früher?

Die technische Verfügbarkeit macht’s möglich: Ein paar Klicks reichen aus, und schon haben auch Kinder und Jugendliche via Smartphone, Tablet oder Computer weitgehend ungefilterten Zugang zur weiten Welt des Internets – Sex-Infos in ihrer ganzen Bandbreite inklusive. „Neugier genügt in der Regel, um auf Pornoseiten zu gelangen. Aber es müssen nicht immer Sexfilme sein“, sagt die Sexualpädagogin Katharina von der Gathen, „viele Kinder folgen jugendlichen YouTubern, die natürlicherweise Jugendthemen wie Sexfragen, -stellungen oder -praktiken mit ihren Followern teilen.“ Sex-Infos aus dem Netz können hilfreich, aber ebenso widersprüchlich, falsch, allzu drastisch oder einfach nicht altersgemäß sein, was bei Kindern zu vielfältigen Fragen und zu Verunsicherung führt.

Abschottung funktioniert nicht. Darin sind sich alle einig. Aber wie kann Sexualerziehung unter diesen neuen multimedialen Vorzeichen aussehen? Was können Eltern und LehrerInnen tun? Zum einen sollten sie nicht müde werden, sich ihren Kindern als GesprächspartnerInnen anzubieten, rät die Expertin. Ebenso können sie auf gute Aufklärungsseiten im Netz hinweisen oder altersgerechte Broschüren und Bücher rund um Sexualität zur Lektüre vorschlagen. Was im Speziellen das Thema „Pornos“ betrifft, ist es wichtig, zu erklären, dass diese nicht die Realität darstellen. „Ziehen Sie einen Vergleich mit Fantasyfilmen. Auch dort erfolgt die Darstellung durch SchauspielerInnen und technische Tricks“, rät etwa die Broschüre „Medien in der Familie“. Insgesamt gilt: Keine Aufregung! „Unser Credo: Bitte stattet eure Kinder gut aus – mit Informationen und Zuversicht. Wer nicht gut ausgestattet ist, muss alles glauben“, sagt die Wiener Sexualpädagogin Bettina Weidinger.

Tipps und Ratschläge findet man unter anderem auch in den Elternratgebern „Sexualität & Internet“ oder „Medien in der Familie“ (www.saferinternet.at/broschuerenservice).

Bücher, Broschüren und Info-Adressen zum Thema Aufklärung

Alles, was man über Aufklärung wissen muss, versammelt eine Buchserie des Loewe Verlags – von „Mein erstes Aufklärungsbuch“(ab 5) über „Das bin ich von Kopf bis Fuß“ (ab 7) und „Wie ist das mit der Liebe?“ (ab 9) bis zu „Ganz schön aufgeklärt“ (ab 11).

Dagmar Geisler/Jörg Müller: Ganz schön aufgeklärt.
Loewe Verlag, 10,20 Euro (ab 11)

Zu diesem famosen, fotokünstlerisch illustrierten Aufklärungssachbuch für Kinder ab 9 gibt es auch Unterrichtsmaterialien zum Herunterladen: www.thienemann-esslinger.de

Antje Helms/Jan von Holleben: Kriegen das eigentlich alle?
Gabriel Verlag, 17,50 Euro (ab 9)

„Klär mich auf“ und „Klär mich weiter auf“ heißen zwei Sammlungen mit authentischen Volksschulkinderfragen zum Thema „Sexualität“, gesammelt in einem anonymen Briefkasten, gleichermaßen kenntnisreich wie humorvoll beantwortet und kongenial illustriert.

Katharina von der Gathen/Anke Kuhl: Klär mich auf.
Klett Kinderbuch, 15,50 Euro (ab 8 und ab 10)

 

 

Unverblümte Aufklärung in Neonorange: Die spanische YouTuberin Chusita beschloss, dieses Aufklärungsbuch zu schreiben, weil sie an den Kommentaren ihrer jugendlichen ­FollowerInnen merkte, wie ahnungslos viele von ihnen in puncto Sex sind.

Chusita Fashion Fever: Sex. Was du schon immer wissen wolltest.
cbj Verlag, 15,50 Euro (ab 14)

www.jugendportal.at/themen/liebe-sexualitaet: sehr umfangreiche Infoseite mit einer Vielzahl von österreichweiten Angeboten

oegf.at/firstlove: First-Love-Ambulanzen sind Beratungsstellen für Jugendliche bis 18 von der „Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung“ (ÖGF)

www.saferinternet.at/services/broschuerenservice: Broschüren wie „Sexualität im Internet“ zum Downloaden

www.selbstlaut.org: Unterrichts­material „Ganz schön intim“ für die Volksschule

www.lilli.ch

www.mytopic.at/rat-hilfe-so-kannst-du-uns-erreichen

www.rataufdraht.at/themenubersicht/sexualitat
Online-Sexualberatung und -infos für Jugendliche und Eltern

www.jugendinfo.at/publikationen/erster-sex-und-grosse-liebe

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  • Veröffentlicht: 31.03.2019
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