„Begegnung mit der EU und Einblicke in die Stadt“ verspricht die Weltanschauen-Reise „Vielfältiges Brüssel“. Ob sich die gesamte Europäische Union tatsächlich an einer Stadt festmachen lässt und welche Überraschungen die belgische Metropole sonst noch bereithält, erläutert Christoph Unterkofler in seinen Reisenotizen.
Kunst und Geschichte
Das Contemporary Art Centre Wiels ist das erste Ziel des vierten Tages. Dass dieses Gebäude ursprünglich einen ganz anderen Verwendungszweck hatte, bleibt einem mit einem Blick auf die großen Kessel, die sich im Eingangsbereich befinden, nur schwer verborgen. Eine der größten Brauereien Europas, die frühere Wielemans-Ceuppens-Brauerei, hatte hier einst ihren Sitz, ehe das Haus zu einem Zentrum zeitgenössischer Kunst mit wechselnden Ausstellungen umfunktioniert wurde. „Wiels ist kein klassisches Museum“, informiert der Guide, der uns durch die Ausstellung führt, „sondern ähnlich organisiert wie ein Kunstverein – mit institutionellem Charakter und vielen Freiheiten.“ Der Start der Führung erfolgt auf der Terrasse im fünften Stock des Hauses mit einem Blick auf das wolkenverhangene Brüssel. Regen und Wind lassen uns aber rasch ins Trockene flüchten.
„Kunst kennt keine Grenzen“, meint eine Reiseteilnehmerin mit einem Lächeln, als wir durch den ersten Ausstellungsraum der Künstlerin Danai Anesiadou spazieren. Die Künstlerin wurde von einem Umzug zu ihren Werken inspiriert, als sie unter anderem ihre Kleidungsstücke in Vakuumbeutel „einschweißen“ ließ. Diese Idee entwickelte sie weiter und schloss persönliche Gegenstände und Habseligkeiten in Graphitharz ein. Die beiden Guillotinen in der Mitte des Raumes verwirren – eine Erklärung wird nicht gefunden. „Die Ausstellung wirft Fragen auf, Antworten gibt sie aber keine“, meint unser Guide dazu. Schade irgendwie. Die zweite Ausstellung von Marc Camille Chaimowicz befasst sich in anderer Weise mit der Frage der Häuslichkeit und bietet ganz persönliche Einblicke in das Leben des Künstlers.
Ein Stadtviertel mit turbulenter Geschichte
Den Kopf voller Eindrücke der letzten Tage machen wir uns danach auf in das afrikanische Viertel Matongé (gleichermaßen Name dieses Bezirks in Brüssel wie auch eines Stadtteils der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa). Die belgische Kolonialherrschaft über den Kongo wird ebenso thematisiert wie der heutige Umgang mit der Geschichte und der teilweise gebremsten Bereitschaft, diese Zeit auch entsprechend aufzuarbeiten. Dass die Nationalbank des Kongo einst in Brüssel angesiedelt war, erzählt unser mittlerweile vertrauter Guide Raf, und dass die Geschichte der belgischen Kolonien geprägt ist von Korruption und Krankheiten, von Bürgerkriegen und Epidemien. Und dass, wenn KongolesInnen in Brüssel gegen Ungerechtigkeiten in ihrer Heimat demonstrieren, sie sich oftmals beim Denkmal des damaligen Herrschers Leopold II. treffen, weil dieser diese Ungerechtigkeiten symbolisiere.
Das Leben in den afrikanischen Cafés und Kneipen sei sehr gesellig, erzählt Raf. Hier sei es nach wie vor Usus, eine Flasche zu ordern und dann mit dem ganzen Tisch zu teilen. „Aber versuchen Sie nicht, beim Trinken mit einem Kongolesen zu konkurrieren“, empfiehlt Raf, „das wird nicht gut gehen.“ Ursprünglich sei Matongé ein reiches, katholisches Viertel gewesen, erklärt Raf und weist auf das Straßenschild „Weg des langen Lebens“. Von den BewohnerInnen sei dieser Weg aber in „Weg des Todes“ umbenannt worden, was eine zufällig vorbeikommende Frau aus Ruanda auch lautstark bestätigt. „Das müsse er erzählen“, weist sie Raf auf die Tatsache hin, dass eben nicht alles so einfach sei. Eine Skulptur, die sich wenige Meter entfernt befindet, macht die Herausforderungen der afrikanischen Bevölkerung ebenfalls deutlich. Gefertigt ist diese Skulptur einer Frau, die ein Kind auf Händen trägt, aus Patronenhülsen. Dem Kind fehlt ein Bein, das es aufgrund einer Sprengmine verloren haben dürfte. „Doch die Frau bleibt stark und trägt das Kind“, interpretiert Raf, „denn es muss weitergehen.“
Die meisten Läden haben an diesem Tag geschlossen. Der Müll der letzten Tage liegt auf der Straße. Raf weist uns freundlich darauf hin, dass man es hier nicht überall gernhat, wenn fotografiert wird. Insgesamt ist das Viertel interessant, aber gewöhnungsbedürftig. Und als Tourist hat man nur sehr bedingt das Gefühl, willkommen zu sein.
Wohnzimmeratmosphäre
Ganz anders ist die Situation beim Abendessen. Im kleinen Lokal „Les filles“ in der Nähe der Börse werden wir herzlich willkommen geheißen. Und wieder hat Christoph Mülleder von Weltanschauen einen Geheimtipp parat, in dem ausschließlich auf biologische Produkte aus Belgien gesetzt wird. „Sämtliche Produkte sind glutenfrei, wir wurden sogar zertifiziert“, berichtet die Eigentümerin stolz. Ebenso stolz ist sie, dass es (fast) ein reines Frauenteam ist, das die vier Lokale in Brüssel managt. Hummus, Curry-Huhn, verschiedene Käsesorten und ein Dessertbuffet lassen keine Wünsche offen.
Ganz besonders ist aber auch die Atmosphäre. Es wirkt, als sitze man bei FreundInnen im Wohnzimmer und verbringe einen netten Abend miteinander. Und gerade deshalb spiegelt dieses Lokal die Reise an sich so gut wider. Man kennt sich mittlerweile, schaut aufeinander und genießt ganz einfach die gemeinsame Zeit. Neben den Hintergrundinfos und Geheimtipps ist es wohl vor allem dieses Gemeinsame, das die Reise besonders macht …