Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Unordnung und Umordnung

Unordnung und Umordnung

Über Chaos-Coolness, Spielzeuglandschaften und Sortieren auf dem Papier.

Nach dem wochenlangen Lockdown gibt es offenbar zwei Arten von Behausungen. Solche, die so sauber, aufgeräumt und aufgemöbelt sind wie nie zuvor – und die anderen. Ich zähle uns eher zu zweiterer Kategorie. Obwohl ich wirklich, wirklich ordnungsliebend bin, habe ich Mitte März beschlossen, dass es jetzt ein wenig chaotischer und staubiger sein darf. Perfektionismus ist im Leben mit Kindern sowieso auf verlorenem Posten, aber angesichts des pausenlosen Spielens, Essens und Wohnens habe ich meine Ansprüche ebenso in Quarantäne geschickt.

Manchmal, wenn ich jetzt meinen Blick durchs Wohnzimmer streifen lasse, muss ich lachen über diese bunte Landschaft, die aussieht, als hätte ein Bagger ein paar Regale eines Spielzeuggeschäfts ausgekippt und wäre dann noch einmal drübergewalzt. Ich staune über den Berg an Wäsche und verfolge mit der Neugier einer Wissenschaftlerin, wie die Fenster schmutziger werden. Kommt ja eh niemand zu Besuch. Fast: „Ka Stress, so schauts grad überall aus“, sagt unser Elektriker in Woche 8 zu mir, als ich ihn Rechtfertigungsfloskeln murmelnd die Stiegen hinaufführe.

Ehrlich gesagt, so ganz angekommen bin ich in der Chaos-Coolness ja noch nicht. Ich tu nur so – ausnahmezustandsweise sozusagen. Insgeheim würde ich auch gerne Zimmer umgestalten, Fotos sortieren und einmal so richtig in jeden Winkel hineinputzen. Aber das geht sich irgendwie nicht aus. Vielleicht ist es auch eine Fantasie, dass ich das mit mehr Zeit machen würde. Umso mehr schätze ich es, wenn die Menschen in meinem Umfeld nicht nur stolz ihre Fotobücher und Gartenprojekte auf Facebook teilen, sondern wie Freundin Julia auch Fotos ihres Alltagschaos – samt Bergen aus Wäsche, Spielzeug und dreckigem Geschirr.

Anderen geht’s auch nicht anders, das kann immer wieder ein entspannender Gedanke sein. Und dass in der globalen und häuslichen Unordnung vieles schwer in Ordnung ist, vor allem meine wunderbaren Mitbewohner. Dass die Kinder Aufräumen manchmal „so lustig wie Osternestersuchen“ finden. Und dass ich mich nächstes Jahr an die meist sehr schöne Zeit, die wir inmitten von Paw-Patrol-Figuren, Filzstiften und Keksbröseln hatten, erinnern werde und nicht an saubere Küchenschränke. Denn wenn man sich fragt, was man in dieser Zeit geschafft hat, finde ich „Alltag“ als Antwort echt genug.

Wenn die äußere Ordnung erschwert ist, meldet sich dafür die innere Ordnung. Wenig Zeit wirft auch Fragen auf: Womit verbringe ich die Zeithäppchen? Wer und was fehlt mir? Was nehme ich mit aus der ersten Corona-Phase? Was war schön, was anstrengend? Was wappnet für das weitere? In 20 geschenkten Minuten zwischendurch geht sich Kelleraufräumen nicht aus – aber Zeit mit dem Notizbuch allemal. Ordnendes Schreiben, auch nicht schlecht.

Julia Rumplmayr

lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen (5 und 7) in einem Haus mit Garten im Mühlviertel.
Nervenstatus: mit Bleistift geschrieben
www.juliarumplmayr.at | www.linzerkind.at

Foto: Alexandra Grill

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 16.05.2020
  • Drucken