Alle sitzen im gleichen Boot. Alle sitzen zuhause. Fast alle.
„Ihr habt es gut“, ruft mir unsere Nachbarin über den Hausflur zu. „Bei euch ist es immer lustig, bei euch ist immer Leben. Das höre ich so gern.“ Dabei schaut sie so traurig, dass ich sie am liebsten in den Arm nehmen würde. Aber das geht nicht, sie gehört zur Risikogruppe. Ich entschuldige mich für den lustigen Lärm, aber sie winkt nur lächelnd meinen zwei Kleinkindern zu, die enthusiastisch zurückwinken und versuchen, an mir vorbei in die Freiheit zu drängen.
Die dritte Woche der Ausgangsbeschränkungen ist fast geschafft. Ob es am kollektiven Stubenhocken liegt, dass wir uns mehr vergleichen denn je?
„Ich habe es gut, verglichen mit dir“, sagt zum Beispiel meine Freundin am Telefon. „Ich muss nur ein Kind versorgen und nicht drei, wie du.“ Ihr Kind ist die Hälfte der Zeit bei seinem Vater, dann hat sie Zeit für sich. Auf die Idee, dass sie es deshalb besser – oder einfacher – hat, wäre ich gar nicht gekommen.
„Du hast es gut“, sagt eine andere Freundin (auch am Telefon – wo sonst?). „Ihr teilt euch die Arbeit. Mein Mann kocht nicht einmal seinen Kaffee selbst.“ Sie arbeitet und hat zwei Kinder, davon ist eines oft krank. Wieso lässt sie sich das gefallen?, frage ich mich. Normalerweise würde ich jetzt eine feministische Kampfrede halten. Aber ich schweige. Ich will nicht, dass sie sich in dieser schwierigen Zeit auch noch meine Besserwisserei anhören muss.
Sie hat es gut, denke ich, als ich nachts wach liege. Ich stelle mir den Quarantäne-Familienalltag einer Bekannten vor, die ein Haus mit großem Garten hat und Großeltern, die sich um die Kinder kümmern, während die Eltern in Ruhe arbeiten können. Wir haben keinen Garten, aber wir sind jeden Tag mit den Kindern in der Natur unterwegs. Ich erinnere mich, wie frei und glücklich ich mich im sonnigen – und menschenleeren – Wienerwald gefühlt habe.
„Wir haben es gut hier in Österreich“, sagt meine Freundin, die bei einer Hilfsorganisation arbeitet. Sie erinnert mich daran, wie beängstigend es sein muss, der Pandemie in einem Entwicklungsland ausgeliefert zu sein.
„Sie haben es gut“, sagen wohl die Menschen in den Flüchtlingslagern über uns. Wir können unsere Hände waschen und unsere Kinder. Wir haben volle Kühlschränke und warme Betten. Auch das zeigt uns die Krise: was uns fehlt und was wir haben.
Saskia Blatakes
lebt in einer Wohnung am Wiener Stadtrand. Sie hat eine siebenjährige Tochter und einjährige Zwillinge.
Nervenstatus: Ommmmm
Arbeitet als selbstständige Journalistin.
www.torial.com/saskia.blatakes
Foto: Luzia Puiu