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03/24

Wenn Angst das Leben raubt

Wenn Angst das Leben raubt
Foto: Heribert Corn

Übelkeit, Atemnot, Schwindel, Schmerzen in der Brust: Steigert sich Angst zu Panik, kommt es zu sogenannten Panikattacken, die mit starken körperlichen und psychischen Symptomen einhergehen. Wie kommt es zu solchen Angstanfällen und was kann man gegen sie tun? Psychotherapeutin Birgit Maurer klärt auf.

Frau Maurer, die aktuellen Krisen schüren auch die Ängste der Menschen. Nehmen Angst- und Panikstörungen zu?

Ich bemerke, dass die Coronapandemie, Inflation und der Ukraine-Krieg die Ängste der Menschen verstärkt haben. Viele meiner KlientInnen suchen Hilfe, weil sie sich ohnmächtig fühlen. Sie haben das Gefühl, nichts gegen die Krisen unternehmen zu können und das macht Angst. Die Krisen, allen voran die Coronapandemie, aktivieren unsere Urängste. Viele Menschen fürchten den Tod. Wir haben Angst, zu sterben oder jemanden zu verlieren, den wir lieben. Das kann Gefühle von Ohnmacht und Panik verursachen.

Warum ist Angst zunächst einmal ein wichtiges Gefühl?

Angst ist für unser Überleben extrem wichtig. In unserem Körper werden Kräfte mobilisiert, um sich bedrohlichen Situationen stellen und dahingehend reagieren zu können. Blutdruck und Puls steigen, unser Körper wird darauf vorbereitet, angreifen oder flüchten zu können. Das geht auch mit körperlichen Symptomen einher. Wir haben also Angst in Situationen, in denen wir uns bedroht fühlen, die uns unangenehm sind, unser Körper funktioniert so als unser Warnsystem. Situationen, die mit Angst verbunden sind, sind auch oft für unsere Entwicklung notwendig. Denken wir an unseren ersten Kindergarten- oder Schultag, unser erstes Date, eine Prüfung und so weiter: Vor diesen Situationen haben wir uns meist gefürchtet, nachdem wir sie aber gemeistert hatten, fühlten wir uns stärker und wir erfuhren, dass man Angst auch überwinden kann. Angst ist deshalb ein völlig normales Gefühl, wir bleiben dabei auch handlungsfähig.

„Panikattacken sind eine Überreaktion unseres Körpers, unser Warnsystem ist fehlprogrammiert und reagiert in unangemessenen Situationen.“

Ab wann ist Angst keine normale Reaktion mehr?

Wenn sie in alltäglichen Situationen auftritt, die eigentlich keine Bedrohung darstellen, und sich zu einer Panikattacke steigert, die handlungsunfähig macht. Panikattacken sind eine Überreaktion unseres Körpers, unser Warnsystem ist fehlprogrammiert und reagiert in unangemessenen Situationen. Betroffene werden ganz plötzlich aus heiterem Himmel von ihr „überfallen“, es gibt keinen erkennbaren äußeren Auslöser. Innerhalb weniger Sekunden bis Minuten steigert sich die Angst zu Panik, Betroffene können ihre Gefühle und ihr Verhalten nicht mehr kontrollieren, sie erleben heftige, körperliche Reaktionen, die so intensiv sind, dass sie das Gefühl haben, zu sterben. Das ist auch der Grund, weshalb Menschen, die Panikattacken erleiden, oft in der Notaufnahme landen.

Mit welchen Symptomen geht eine Panikattacke einher?

Viele Betroffene erleben eine Enge, die sich in Form von Atemnot oder Brustschmerzen äußert. Dieses Gefühl, keine Luft zu bekommen, steigert die Angst, deshalb hyperventilieren viele. Die häufigsten Symptome sind: Herzrasen, Schwindel, Magen-Darm-Probleme, Zittern, Schwindel, ein Kloß im Hals, Bauchkrämpfe, Brustschmerzen, Erstickungsgefühl, Kälteempfinden oder Hitzewallungen, Schüttelfrost, Beklemmungsgefühle, körperliche Missempfindungen, wie Kribbeln oder Stechen in Armen, Beinen oder am Kopf, ein Druck im Kopf, Ohnmachtsgefühle, Kontrollverlust. Man hat auch oft das Gefühl, neben sich zu stehen, nicht mehr zu wissen, wer man oder wo man ist. Es müssen nicht alle Beschwerden auftauchen, es können auch nur einzelne auftauchen. Diese Symptome setzen Menschen völlig außer Betrieb. Ich hatte etwa eine Klientin, die sich in der Umkleidekabine eines Geschäfts befand und nicht mehr rausgehen konnte, weil sie eine Panikattacke erlitt.

„Für Betroffene gibt es meist keine erkennbaren Auslöser, werden die Situationen aber analysiert, in denen Attacken auftauchen, erkennt man oft einen Zusammenhang.“

Die Symptome, die Sie aufgezählt haben, treten auch bei einer Vielzahl organischer Erkrankungen auf. Menschen, die von Panikattacken betroffen sind, haben auch immer die Sorge, doch schwer krank zu sein. Wie können sie sich sicher sein, dass Panikattacken Auslöser für ihre Beschwerden sind?

Nachdem zum ersten Mal eine solche Attacke aufgetreten ist, empfehle ich immer, diese ärztlich abklären zu lassen. Es gibt physiologische Erkrankungen, die solche Symptome auslösen können, wie etwa Eisenmangel, Schilddrüsenprobleme oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ein hormonelles Ungleichgewicht, aber auch neurologische Krankheiten. Erst wenn organische Auslöser ausgeschlossen werden können, sollten Betroffene darüber nachdenken, sich psychotherapeutische Unterstützung zu suchen, um den Ursachen der Panikattacken auf den Grund zu gehen.

Welche Ursachen können Panikattacken auslösen, wenn sie keinen erkennbaren äußeren Auslöser haben?

Für Betroffene gibt es meist keine erkennbaren Auslöser, werden die Situationen aber analysiert, in denen Attacken auftauchen, erkennt man oft einen Zusammenhang. Es gibt meist Trigger, die von unserem Unbewussten erkannt werden und unseren Körper in Alarmbereitschaft versetzen, obwohl die Situation nicht gefährlich ist. Hat man in ähnlichen Situationen intensive Angst erlebt, hat der Körper sie abgespeichert. Menschen, die den Kosovo-Krieg miterlebt haben, erzählten mir, dass Panik sie überfiel, wenn jemand grillte, weil der Geruch des Feuers sie daran erinnerte, wie sie miterlebten, wie jemand verbrannt wurde. Klassische Situationen, in denen Panikattacken auftreten, sind auch jene, in denen Betroffene das Gefühl haben, nicht fliehen zu können, wie etwa im Auto, Zug oder Bus, an der Supermarktkasse, im Kino, Restaurant und ähnlichen Konstellationen. Panikattacken entstehen nicht aus heiterem Himmel, vor dem ersten Anfall erlebten meine KlientInnen etwa eine länger andauernde Belastung oder ein traumatisches Erlebnis. Ich habe noch nie einen Betroffenen getroffen, bei dem privat oder beruflich alles in Ordnung ist. Weil Panikattacken meist erst auftreten, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, werden sie mit dem Erlebten nicht in Verbindung gebracht.

„Es ist wie bei einem Dampfkochtopf. Wird der Druck darin zu groß, fängt er an zu pfeifen.“

Wie erkenne ich den Auslöser meiner Attacken?

Eine Psychotherapie kann hier gut unterstützen, aber auch die eigene Selbstschau und -fürsorge. Betroffene können sich fragen, wie es ihnen aktuell geht, ob es etwas gibt, das sie belastet oder wo sie bereits längere Zeit über ihre Grenzen gegangen sind. Dann kann man schauen, in welchen Situationen Panikattacken gehäuft auftreten und welche Trigger es dazu gibt. Es ist wie bei einem Dampfkochtopf. Wird der Druck darin zu groß, fängt er an zu pfeifen. Auch in uns stauen sich Gefühle an, die wir unterdrücken, bis es irgendwann nicht mehr geht. Panikattacken sind sozusagen ein Ventil unseres Körpers, Gefühle abzubauen. Panikattacken erlebe ich häufig als Ausdruck unterdrückter Gefühle oder Bedürfnisse. Sie fordern uns deshalb auf, uns mehr unseren Gefühlen zu widmen und auf sie zu hören beziehungsweise zu achten.

Ein großes Problem bei Panikattacken ist die Angst vor der Angst. Betroffene fürchten sich so sehr vor einer weiteren Attacke, dass sie sich immer mehr isolieren und Situationen, in der sie Panik erlebt haben, meiden. Warum hält das die Angst aufrecht?

Die Angst vor der Angst ist tatsächlich sehr problematisch, dadurch kommt es zu einem Teufelskreis. Viele Betroffene fürchten sich vor einer weiteren Panikattacke, deshalb vermeiden sie angstauslösende Situationen und isolieren sich immer mehr. Manche ziehen sich zu Hause zurück, wo sie sich sicher fühlen. Das geht so weit, dass einige sogar Lebensmittel nach Hause bestellen, um das Haus nicht verlassen zu müssen. Dadurch wird die Angst aber noch größer und irgendwann schaffen es Betroffene gar nicht mehr vor die Haustüre. Wenn Angst das Leben so massiv beeinträchtigt, muss etwas dagegen unternommen werden.

„Angst kann nur besiegt werden, indem man sich ihr stellt.“

Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden und was können Betroffene während einer Panikattacke tun, um wieder Kontrolle zu erlangen?

Betroffene können sich schrittweise den angstmachenden Situationen stellen. Ich hatte eine Klientin, die es nicht einmal mehr geschafft hat, ihre Post vom Briefkasten zu holen. Ich habe sie am Weg zum Briefkasten begleitet, dann eine Runde ums Wohnhaus. Irgendwann haben wir den Weg zur U-Bahn geübt. Angst kann nur besiegt werden, indem man sich ihr stellt.

Was kann man tun, um in Akutsituationen die Kontrolle wieder zu erlangen?

Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Wichtig ist es, die Auslöser abzuklären – medizinisch, substanzmittelinduziert oder seelisch. Ansonsten hilft es, innezuhalten, stehen zu bleiben, sich hinzusetzen und Kontakt zum Außen aufzunehmen, sich mit der Umwelt zu verbinden, die Sinne zu aktivieren. Was sehe, höre, fühle, rieche ich? Das kann Betroffene aus einer Panikattacke holen. Bei Hyperventilation kommt es zu einer hohen Menge an ausgeatmetem Kohlenstoffdioxid, das wieder in den Körper befördert werden muss. Es hilft deshalb, in eine Papiertüte zu atmen. Eventuell Notfallmedikamente einnehmen.

Zur Person:

Birgit Maurer ist klinische, Gesundheits- und Arbeitspsychologin und Psychotherapeutin. Sie war unter anderem im Behindertenbereich, im Strafvollzug, im Suchtbereich und als Heerespsychologin in Österreich sowie im Auslandseinsatz im Kosovo tätig, bevor sie 2008 die ersten Liebeskummerpraxen in Wien und Graz gründete.

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  • Veröffentlicht: 10.03.2023
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