Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Oh Vienna!

Oh Vienna!

Wien hat uns wieder und präsentiert sich beim ersten Grätzl-Spaziergang in voller Schönheit und voller neuer Widersprüche.

Wir sind wieder in Wien. Gleich am ersten Nachmittag, einem zauberhaft sonnigen noch dazu, unternahmen mein Mann und ich einen kleinen Spaziergang durch die nähere und weitere Umgebung unserer Wohnung. Unsere Tochter traf sich derweil gerade zum vierten Mal innerhalb von 24 Stunden mit ihrer besten Freundin aus der Schule, die sie seit zwei Monaten nicht mehr gesehen hatte. Also schlenderten wir das Grätzl zu zweit ab.

Ich darf berichten, dass die „neue Normalität“, der wir begegneten, bunte Blüten treibt. Wir staunten nicht schlecht: Im Schanigarten einer Shisha-Bar saßen drei Grüppchen an drei ordnungsgemäß voneinander entfernt stehenden Tischen und teilten sich jeweils – brüderlich-schwesterlich – eine Wasserpfeife. Euer Ernst, Kinder?

Wir besichtigten einen der neuen Corona-Pop-up-Radwege auf der Praterstraße: Er verläuft, rot markiert, auf einer der beiden Fahrspuren in Richtung Prater. Und zwar exakt parallel zu jenem Radweg, der exakt dort immer schon neben der Fahrbahn verläuft.

Radweg

Kurz danach versuchte mein Mann, im Eisgeschäft an seinem Eis zu lecken, weil er für eine Sekunde vergessen hatte, dass er eine Gesichtsmaske trug. Pardon, wir kommen frisch vom Land! Ich musste noch vor Ort so lachen, dass sich – oberhalb meiner Maske – meine Sonnenbrille zur Gänze beschlug. Immerhin: endlich einmal vor Heiterkeit und nicht vor Schweiß, Anstrengung und Ärger!

Weil wir nach dieser Episode nur mehr über eine einzige Einwegmaske verfügten, mussten wir abwechselnd in den japanischen Take-away-Shop gehen, um uns etwas zum Mitnehmen auszusuchen. Das Ein-, Durch- und Ausgangs-Einbahnsystem des Take-away-Shops, welches das benachbarte Geschäft miteinbezog, war so kompliziert, dass ich nach dem Bezahlen zwei Mal von einem maskierten Mitarbeiter, den ich seines Akzents und der Maske wegen nicht verstehen konnte, umgeleitet wurde, bevor ich wieder auf dem Gehsteig stand.

Wir fanden die zwei Auslagen der kleinen Änderungsschneiderei ums Eck bummvoll mit handgenähten Gesichtsmasken in den verschiedensten Stoffen, Farben und Mustern. Schließlich schlenderten wir noch den Donaukanal – Höhe Stadtzentrum – entlang und stellten fest, dass wir eine ganze Armee von Baby-Elefanten oder Bruce Springsteens gebraucht hätten, um sie als Abstandshalter zwischen die Menschenschlangen zu schieben, die dort um Toilettenbesuche, Bier oder sonstiges anstanden.

Schöne, neue Wien-Welt!

Babyelefanten

Julia Kospach

lebt mit Mann und Tochter (10) in einer Wohnung in Bad Ischler Ortsrand-Alleinlage umgeben von Wiesen und Wald.
Nervenstatus: heiter bis wolkig mit gelegentlichen starken Entladungsgewittern.

Foto: Rita Newman

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 22.05.2020
  • Drucken