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04-05/24

Buchempfehlung: Vom Weggehen & Wiederkommen

Buchempfehlung: Vom Weggehen & Wiederkommen

Sie lassen die eigene Familie zurück, um sich um fremde Menschen zu kümmern – die Frauen aus Osteuropa. Daniela ist eine von ihnen. Ein Buch über rumänische Arbeitsmigranten in Italien.

Marco Balzano gilt als einer der erfolgreichsten Autoren Italiens: Im vorliegenden Roman erzählt er „dreistimmig“ – aus der Sicht der Mutter, des Sohnes und der Tochter – die Geschichte einer zerfallenden Familie, ihrer Träume und Verluste.

Frauen aus Osteuropa verlassen ihre Familie, um etwa in Italien als Kinderfrauen oder Pflegerinnen für Hochbetagte oder schwere Pflegefälle zu arbeiten. Marco Balzano hat die Hintergründe der hier erzählten Geschichte mit intensiven Recherchen untermauert und dabei unzählige „Eurowaisen“ und „Home-Alone-Children“ kennengelernt.

Die Mütter, die weggehen, um die finanzielle Lage ihrer Familien zu verbessern, den Kindern überhaupt Chancen zu ermöglichen, zahlen dafür einen hohen Preis. Während sie in Italien Menschen mit Alzheimer oder Parkinson pflegen, übersehen sie ihre eigenen psychischen und physischen Grenzen, ihr Burnout bezeichnen osteruropäische Psychiater in der Folge als „Italienkrankheit“ oder „Italiensyndrom“.

„Wer eine Geschichte erzählen will, muss ihr zuhören können: Die Worte dieser Frauen, Kinde rund Jugendlichen sind der Keim, aus dem dieses Buch geboren wurde.“
Seite 311

Der Autor macht seine LeserInnen unmittelbar, direkt und beinahe brutal mit den drei Hauptpersonen der Geschichte bekannt: Da ist Moma, die Mutter, die alles für ihre beiden Kinder tut, da organisiert die Tochter Angelica das Familienleben, dort versucht Manuel zurechtzukommen, mit dem Mehr an Klamotten, technischen Geräten und dem Weniger an mütterlicher Zuwendung.

Der Vater spielt hier eine sehr geringe Rolle: Auch er hat seine Träume längst aufgegeben, trinkt zu viel, verzweifelt nach dem Weggehen seiner Frau und macht sich schließlich selbst auf den Weg ins Ausland, um dort als LKW-Fahrer besser zu verdienen. Die Mutter hat einen Brief hinterlassen, der ihre Beweggründe erklären soll: Nun ist sie mit einem Bus unterwegs nach Italien, dort will sie gut verdienen, Geld sparen und ihrer Familie zu einer besseren Zukunft verhelfen.

Dass die Kinder an der Situation zu scheitern drohen, führt Balzano in mehreren Stationen aus: Die Schwester will ihr Studium genießen, fährt aber täglich heim; Manuel will dazugehören, wird aber in der neuen und teuren Schule gemobbt. Aber das soll die Mutter, die sich in Italien für die bessere Zukunft abrackert, bei den kurzen Handygesprächen nicht mitbekommen.

In Mailand angekommen, hört die Mutter auf ihre Kolleginnen: Sie solle, um andere Pflegerinnen aus Rumänien kennenzulernen, Gottesdienste oder Parks besuchen.

„Wirst sehen, Rumänisch wird dir mehr fehlen als deine Familie. ... Anfangs kam es mir vor, als hätte ich meine Fröhlichkeit verloren, auf Italienisch fiel mir nie etwas Lustiges ein ... ohne seine Sprache denkt man wie ein Tier.“
Seite 79

Was Sie verpassen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen:

Zähigkeit, Kampfgeist, Aufbegehren gegen miese Lebensbedingungen, Träume von Freiheit, Verlust, Familiengeschichte, Liebesbeziehungen, stille Romanzen, soziale Ungerechtigkeit.

Die Autor Marco Balzano

ist 1978 in Mailand geboren, verfasst Gedichte, Essays, Erzählungen und Romane. Sein Roman „Ich bleibe hier“ (HIER geht’s zu unserer Rezension!) führt in ein nur scheinbar idyllisches Bergdorf in Südtirol, in dem sich die Bevölkerung spaltet. Auch hier geht es ums Bleiben oder Gehen und die Rechnungen, die Menschen, egal, wofür sie sich entscheiden, zu zahlen haben.

Marco Balzano
Wenn ich wiederkomme.
Diogenes
320 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 02.02.2022
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