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04-05/24

Lob des Eigenlobs

Lob des Eigenlobs

GolferInnen durften als erste wieder raus. Und wir? Wir könnten jetzt einfach mal stolz sein.

„Super, gut gemacht“, sage ich und wische ein paar Sandkörner vom Heft meiner Tochter. Sie hat ihre vorerst letzten Home-Schooling-Aufgaben nicht zu Hause erledigt, sondern auf einer Parkbank, während daneben die zwei kleinen Geschwister in der Sandkiste spielten. Sie hat dividiert und geschrieben, zwischendurch hat sie die Sandeisbecher ihres kleinen Bruders gelobt („Mmmh, Schoko, danke!“) und ihre kleine Schwester herumgeschleppt („Armi!“).

Eltern sein heißt vor allem Vorbild sein, eh klar. Und was habe ich ihr in den letzten Wochen vorgelebt? Mein permanentes High-Energy-Multitasking ist vermutlich ein passables Beispiel in Sachen Arbeitsethik und Leistungsbereitschaft. Aber was ist mit dem Rest? Konnte ich ihr zeigen, wie wichtig es ist, auch dann auf sich zu achtzugeben, wenn dafür kaum Zeit bleibt? Wie kann ich ihr vermitteln, woran ich fest glaube, nämlich wie wichtig Ausgeglichenheit, Selbstsicherheit und innerer Frieden sind? Sonst noch Wünsche?

Mir kam es in den letzten Wochen vor, als hätte jemand die ganze Gesellschaft und mein eigenes kleines Leben besonders hell ausgeleuchtet. Als hätte ich selbst eine Kamera in die Hand genommen – eine altmodische – und hätte den Fokus langsam aber sicher auf maximale Bildschärfe eingestellt.

Als Gesellschaft haben wir erfahren, für wen die Regierung die Beschränkungen zuerst lockerte (TennisspielerInnen, SegelfliegerInnen und GolferInnen) und wen die Auswirkungen der Krise besonders hart getroffen hat (Familien).

Als Individuen haben wir gelernt, wie stark wir eigentlich sind. Viele haben sich zwischen Job, Kindern und Haushalt aufgerieben, viele haben für die eigenen Eltern oder NachbarInnen eingekauft oder haben Verwandte und FreundInnen unterstützt (moralisch oder tatkräftig). Unsichtbare Arbeit, unbezahlte Arbeit – die auch im Jahr 2020 noch meistens Frauen erledigen.

Ich finde, wir können alle stolz auf uns sein. Und vielleicht bin ich als Mutter ja ein besseres Vorbild, wenn ich auch ein bisschen stolz bin auf mich. Wie wäre es also mit einem kollektiven Eigenlob? „Super, gut gemacht.“ Noch ist die Krise nicht vorbei und auch die Schul- und Kindergartenöffnung bringt nur wenig Entspannung für die Familien. Wir halten durch. Und wenn wir wieder ausgeruhter und ausgeschlafener sind, gehen wir für eine familienfreundlichere Politik demonstrieren.

Saskia Blatakes

lebt in einer Wohnung am Wiener Stadtrand. Sie hat eine achtjährige Tochter und einjährige Zwillinge.
Nervenstatus: Ommmmm
Arbeitet als selbstständige Journalistin.
www.torial.com/saskia.blatakes

Foto: Luzia Puiu

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  • Veröffentlicht: 25.05.2020
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