Naturkatastrophen, Terroranschläge, Kriege – wir können nicht verhindern, dass unsere Kinder mitbekommen, wenn Schlimmes auf der Welt geschieht. Aber wie können wir ihnen helfen, mit schrecklichen Bildern und Ängsten zurechtzukommen?
Eltern wünschen sich für ihre Kinder, dass sie behütet in einer friedlichen Welt aufwachsen können. Die Realität ist aktuell aber eine andere. Erdbeben, Kriege, Menschen auf der Flucht – die Nachrichten sind voll mit Schreckensbildern und -nachrichten. Selbst wenn Radio und Fernseher ausgeschaltet bleiben, lässt es sich oft nicht vermeiden, dass der Nachwuchs von solchen Ereignissen erfährt. Denn auch im Kindergarten und der Schule wird sich über Gehörtes und Gesehenes ausgetauscht. Dementsprechend werden Eltern oft mit Fragen ihrer Kinder konfrontiert – eine Herausforderung. Wie spricht man mit Kindern über Katastrophen?
Barbara Juen ist klinische und Gesundheitspsychologin, fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste im Österreichischen Roten Kreuz und renommierte Spezialistin im Feld der Krisenintervention bei Großschadensereignissen. Sie gibt Tipps für Katastrophengespräche mit Kindern.
Wie fange ich an?
Ein guter Einstieg könnte sein, so Barbara Juen, sein Kind zu fragen, was es bereits weiß und wissen möchte. So könne schnell eruiert werden, was es bereits gehört hat, ob die Informationen wahr sind und wo die Ängste und Bedürfnisse des Kindes liegen. „Wichtig ist, nur die Fragen des Kindes zu beantworten, um zu vermeiden, die Kinder unnötig mit zu vielen Informationen zu überladen“, sagt Juen. Die Antworten sollten jedoch immer der Wahrheit entsprechen. „Wenn bei einer Katastrophe Menschen ums Leben gekommen sind, dann sollte man ihnen das auch sagen“, sagt Juen.
Kann das auch bei uns geschehen?
Kinder sorgen sich häufig, dass Katastrophen, die passiert sind, auch ihnen widerfahren können. Je kleiner die Kinder sind, umso schwieriger ist es für sie, einzuordnen, wie weit Geschehenes räumlich von ihnen entfernt ist. Auch hier ist es wichtig, so die Psychologin, den Kindern ehrlich zu sagen, dass es auch hierzulande zu Katastrophen, Kriegen oder Anschlägen kommen kann. Um Kindern ihre Ängste zu nehmen, kann ihnen aber zusätzlich mitgeteilt werden, dass die Gefahr gering ist, selbst davon betroffen zu sein. „Beim Erdbeben in der Türkei und in Syrien sollte Kindern ehrlich gesagt werden, dass es auch in Österreich zu Erdbeben kommen kann, diese aber nicht so verheerend sein werden wie in gefährlicheren Gebieten.“ Ist es der Wunsch der Kinder, kann man sich mit ihnen, je nachdem wie alt sie sind, damit auseinandersetzen, wie es zu solchen Naturereignissen kommt und warum die Gefahr hierzulande nicht so groß ist wie in anderen Weltregionen.
Hast du Angst?
Kinder reagieren sehr stark auf die nonverbale Kommunikation ihrer Eltern und spüren sehr deutlich, wenn diese sich fürchten und sie etwas bedrückt. Werde ihnen nicht erklärt, was sie belastet, verunsichere sie das, sagt Juen. Die eigenen Gefühle sollten deshalb nicht unterdrückt, sondern offen kommuniziert werden. „Hier gilt wieder, ehrlich mit den Kindern zu sein, aber sie nicht mit den eigenen Ängsten zu überrollen“, so Juen. Denn sind Kinder ständig mit der Angst ihrer Bezugspersonen konfrontiert, ist auch das für sie schwierig.
„Wir müssen nicht immer Antworten auf die Fragen unserer Kinder parat haben.“
Ich weiß es nicht, Liebes
Viele Menschen fürchten, auf die Fragen ihrer Kinder keine Antworten zu haben. „Wir müssen nicht immer Antworten auf die Fragen unserer Kinder parat haben“, sagt die Krisenpsychologin. Wichtig sei es, sich zu trauen, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen und sich schwierigen Themen zu stellen. Haben Eltern keine Antwort, können sie das ihrem Kind sagen. „Es kann ja auch versucht werden, gemeinsam mit dem Kind eine Antwort zu finden“, so Juen.
Wirst du auch einmal sterben?
Wenn Kinder mit dem Tod anderer Menschen konfrontiert werden, wird ihnen oft bewusst, dass auch ihre Eltern sterben können. Werden Eltern von ihrem Kind gefragt, ob sie auch sterben müssen, kann die Antwort lauten: „Ja, Mama und Papa müssen auch eines Tages sterben. Im Moment sind sie allerdings gesund, mit hoher Wahrscheinlichkeit wirst du erwachsen sein, wenn es soweit ist.“
Ist die Welt schlecht?
Bekommen Kinder mit, dass auf der Welt schlimme Ereignisse passieren, wird ihr Urvertrauen oft erschüttert. Fragen Kinder, ob die Welt kein schöner Ort ist, kann ihnen gesagt werden, dass es auf der Welt, genauso wie im eigenen Leben, Gutes und Schlechtes gibt. Dabei sei es wichtig, dem Kind auch zu vermitteln, dass eine Krise zu bewältigen ist. „Spricht man beispielsweise über das Erdbeben, sollte man nicht nur erzählen, dass Häuser eingestürzt sind und Menschen unter Trümmern verschüttet sind, sondern auch, dass den Menschen geholfen wird. So lernen sie, dass Schlechtes auch bewältig werden kann.“
Malen und Spielen hilft Kindern beim Verarbeiten
Ihr Kind lässt eine Spielzeugstadt aus Bauklötzen einstürzen oder malt Menschen mit Waffen? Viele Kinder verarbeiten ihre Emotionen durch Malen oder Spielen, das sei völlig normal. Bemerken Eltern, dass ihre Kinder Katastrophenszenen malen oder nachspielen, ist das ein guter Einstieg für ein Gespräch. Auch hier sei wieder wichtig, im Spiel oder beim Malen die Rettungsmaßnahmen mitzudenken, sagt Juen, also den Handlungsbogen vom Drama zur Hilfeleistung zu spannen.
Gemeinsam Kindernachrichten sehen
Barbara Juen findet es in diesen Zeiten wichtig, den Medienkonsum der eigenen Kinder zu kontrollieren. „Ich sollte wissen, was meine Kinder schauen und untereinander reden. Es ist wichtig, dass sie nicht zu falschen Informationen kommen. Durch Schreckensbilder im Fernsehen oder im Internet können Kinder erneut Ängste entwickeln, die sie vielleicht bereits überwunden hatten.“ So könnte eine Lösung sein, gemeinsam mit Kindern Kindernachrichten zu schauen, das sind eigene Nachrichtenformate, die Informationen kindgerecht aufbereiten.