„Nordwasser“, „Das glücklichste Volk“, „Ein Festtag“: Drei sehr verschiedenartige Bücher, mit denen ich mich so stark angesteckt habe, dass es mich buchstäblich umgehauen hat.
Wie versprochen folgt hier – nach Teil 1, der am 1. April hier erschienen ist – der zweite Teil meiner Lese-Infektionen. Teil 1 galt Schriftsteller*innen, deren Lese-Ansteckungspotential so groß ist, dass man sozusagen erst wieder von ihnen genesen kann, wenn man ihr Gesamtwerk durchgelesen hat. In Teil 2 folgen drei Bücher, die als einsame Leuchttürme, als unübersehbare Solitäre aus der Leselandschaft meines Lebens herausragen. Bücher, mit denen ich mich so stark infiziert habe, dass es mich buchstäblich umgehauen hat:
Ian McGuires „Nordwasser“ (Mare Verlag, 2018) ist ein extrem guter, wilder Roman von dunklem Zauber. Darin spielt sich der ewige Kampf zwischen Gut und Böse – in der Tradition von Jack Londons „Seewolf“ – Mitte des 19. Jahrhunderts auf einem Walfangschiff im arktischen Nordmeer ab, wo sich die Handlung zu einem blutgetränkten Kammerspiel von ausgesuchter Spannung verdichtet. So brutal es an der Roman-Oberfläche zugeht, so deutlich breitet sich darunter eine Schicht von bebender, verwirrender und roher Schönheit aus.
Lese-Infektionspotential: riesig!
In „Das glücklichste Volk“ (DVA, 2010) erzählt der Amerikaner Daniel Everett von den Jahren, die er als evangelikaler Missionar beim winzigen Indianervolk der Piraha im Amazonas verbrachte. Sein Auftrag: Die Sprache der Piraha erlernen, die Bibel für sie übersetzen und sie missionieren. Sprache, Kultur und Weltbild der putzzufriedenen Piraha erweisen sich aber als so singulär, dass nicht nur alle Missionsversuche ins Leere laufen, sondern Everett selbst von seinem Glauben abfällt und schließlich zu einem der großen Sprachwissenschaftler und Kulturanthropologen der Gegenwart wird. Als solcher stellt er aufgrund seiner Piraha-Forschungen bisher gültige Theorien über Sprache, Mythen und Kultur lautstark in Frage. Eine Mischung aus Autobiografie, Abenteuergeschichte und Wissenschaftsbuch.
Lese-Infektionspotential: kolossal!
Graham Swift: Ein Festtag (dtv, 2017). Dieses zauberhafte Meisterwerk von knapp 130 Seiten spielt an einem Märzsonntag 1924 auf einem englischen Landgut. Paul, der Sohn des Hauses, und Jane, das blutjunge Dienstmädchen, haben eine heimliche Affäre. Bald wird Paul heiraten. Der Sonntagmorgen im menschenleeren Haus – Familie und Dienerschaft sind ausgeflogen – beginnt als beglückendes letztes Liebestreffen in Pauls Bett. Nach seiner Abfahrt schlendert Jane splitternackt durchs leere Haus. Es ist ein berauschender Befreiungsakt für die junge Bedienstete, die noch nicht weiß, dass ihr das Schicksal am Ende dieses besonderen Tages einen alles verändernden Schlag versetzen wird. Später wird sie Schriftstellerin werden und auf diesen Tag als Beginn ihrer Selbstermächtigung zurückblicken.
Lese-Infektionspotential: gewaltig!
Julia Kospach
lässt sich gerne inspirieren von allem, was da wächst & blüht und kreucht & fleucht, und natürlich immer von Büchern, Büchern, Büchern & denkt vor dem Einschlafen gern an das Morgenlicht-Leuchten des nächsten Tages.
Foto: Rita Newman