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09/24

Die Heimkehr

Die Heimkehr

Es fing langsam an, dann ging alles ganz schnell. Und plötzlich saßen wir wieder alle am Familientisch. Auch die Großen, die sonst im Ausland leben.

Um ehrlich zu sein, ich habe mich schon im Jänner gefürchtet. Das muss ich zugeben. Damals habe ich das natürlich nicht zugegeben. Weil damals hat sich noch niemand gefürchtet. Zumindest offiziell. Aber für mich als Hypochonderin war klar, dass das nicht gut gehen kann. Dass das doch niemals in China bleibt. In unserer Welt, in der die Menschen wie verrückt kreuz und quer herumfliegen. Mehrmals täglich habe ich auf orf.at nachgelesen, mit der Zeit dann schon bewusst im Internet nach neuesten Meldungen gesucht, mich in der Apotheke eingedeckt, meinen Kindern versteckte Ratschläge gegeben, wie sie gut durch die Grippezeit kommen. Die haben mich ausgelacht, weil sie mich ja kennen und gewusst haben, dass ich sie in Wirklichkeit niemals vor der Grippe warnen würde, sondern dass ich indirekt an China denke. „Aber Mama!“, haben sie gesagt. Und auch sie sind ja kreuz und quer durch die Welt geflogen.

Und jetzt, jetzt sitzen wir alle vier wieder da zuhause am Esstisch. Um 1.30 Uhr. Am 17. März. Nach einem für mich höchst dramatischen Wochenende. Max ist seit ein paar Tagen da, Marion habe ich schließlich gezwungen, heimzukehren. Sie ist soeben mit dem letzten Flugzeug von London nach Wien geflogen und vor zehn Minuten bei der Tür hereingekommen. Keine Umarmung, ein Meter Abstand, und das, nachdem ich sie Wochen nicht gesehen habe. Alle haben ein Bier vor sich stehen. Zur Feier des Tages. Freude kommt keine auf. Erleichterung bei mir, gleichzeitig Beklemmung, vor allem aber Lähmung, bei allen. Ein Ausnahmezustand. Marion sollte erzählen, von den letzten Tagen. Stattdessen schütteln wir unsere Köpfe. Sagen „Gut, dass du da bist“, „Reden wir morgen“, „Hast du noch Hunger?“, „Wird schon nicht ewig dauern“, „Wir können auch nichts dafür“.

Dennoch, obwohl alle da, obwohl so spät, kein Einschlafen. Und beklemmendes Aufwachen. So, wie bei meinen früheren gescheiterten Rauchen-Aufhör-Versuchen der erste Gedanke im Bett war „Oh Gott, keine Zigarette“, so ist er jetzt, mit einer ungemütlichen Enge in der Brust, „Oh Gott, Corona“.

Ich stehe auf, mache alles wie immer. Das Neue habe ich gestern schon vorbereitet und hängt ausgedruckt als Zettel, für alle sichtbar, in der Küche und an der Badezimmer-Tür. Marion war schließlich am Wochenende noch auf einer vollen Londoner Uni.

Natürlich bringt das nichts. Aber es beruhigt mich. Und irgendetwas Beruhigendes darf in diesen Tagen schon sein, finde ich.

Eintrag vom 17. 3. 2020

Verena Halvax

lebt mit drei Kindern (16, 19, 21), Hund und Katz’ in Leonding, in einem kleinen Haus mit Garten
Nervenstatus: infiziert
Arbeitet als Autorin, Redakteurin, Leiterin von Schreibworkshops
www.schreiben-als-weg.at

Foto: Alexandra Grill

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  • Veröffentlicht: 25.03.2020
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