Als der rund um Wien wild wachsende Bärlauch plötzlich von einem unbekannten, tödlichen Pilz befallen wird, wird in diesem Roman von Gudrun Lerchbaum nicht mehr zufällig gestorben.
Man muss nicht dauernd hoffen!
Inmitten ambitionierter Tagesabläufe warnen die eingeblendeten Tagesnachrichten nicht gerade Hoffnung: „Es sei, so die Moderatorin, vom Verzehr frischen Bärlauchs zuerst einmal Abstand zu nehmen, da es rund um Wien rätselhafte Todesfälle nach Bärchlauchgenuss gäbe.“ Ja, die AGES wird auch erwähnt, die Sache ist durchaus ernst. Hier wird ab der Entdeckung des „Viennese Weed“ nicht mehr zufällig gestorben, hier sollen Langzeit-Fehden beendet werden, viele sollen ein Bankerl reißen, auch das eigene Leben könnte man einfach beenden, war es doch bisher so mühsam, verzweifelt, hoffnungslos.
Da sind Kiki und Olga, letztere braucht Rundumbetreuung, Rundumzuspruch, Rundumaufmunterung: Kiki leistet all das hingebungsvoll und ehrgeizig.
„Endlich brachte Kiki einen Joint, hielt ihn ihr an die Lippen. Ruhig bleiben. Das war alles im Rahmen. Nicht kämpfen. Die feindlichen Truppen widerstandslos durchziehen lassen, um die unvermeidliche Verwüstung so gering wie möglich zu halten. Atmen. Ein. Und aus. Ein Atemzug, ein Zug am Joint. Unheilbar, hämmerte es in ihrem Kopf. Unheilbar, unheilbar, unheilbar.“
Rund um Diskussionen über Fake News versus seriöse Informationen zeigt die gesellschaftspolitische Dimension dieses vielschichtigen Romans die Verführbarkeit von Menschen, ihre Reizschwellen und ihre Abgründe. Einzelne Charaktere begleitet man gern, möchte sie beschützen und erkennt, wie sehr sie die Freiheit, auch die Freiheit zu sterben, lieben. Oder aber weiterzuleben, noch einmal anzufangen. Einfach, weil das Leben dann doch irgendwie schön ist. Schön sein könnte. Und ja, auch hier wird darüber sinniert, ob man aus Krisen etwas lernen könnte, möchte oder würde.
„Wir sind ihnen so oder so ausgeliefert und sind schließlich selbst Kolonien zahlloser Pilze, ob wir wollen oder nicht. Alles ist vernetzt. Sie zu verstehen, heißt also vielleicht: uns selbst zu verstehen.“
Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen:
Spannung, eh klar! Deutliche, klare Sprache, sowohl in den Dialogen als auch Schilderungen auswegloser Situationen, keine Beschönigungen, aber kristallklare, wunderschöne Ehrlichkeit, etwa in der Figur der 13-jährigen Jasse. Krankheiten und das Sterben stehen hier im Fokus, aber auch das Spiel mit dem Tod oder gegen ihn und für das Glück … Große Themen, die großartig aufgefangen und behandelt sind.
Die Autorin:
ist in Wien, Paris und Düsseldorf aufgewachsen, ihre Tätigkeiten waren vielfältig und zeigen ein Spektrum von Plakatkleberin bis Weihnachtskartendesignerin, dazwischen/dazu noch Philosophiestudentin. Jetzt aber: Abschluss des Architekturstudiums an der TU Wien, Arbeit als Architektin und freischaffende Künstlerin. Romandebüt 2015 mit „Die Venezianerin und der Baumeister“, gefolgt von „Lügenland“ 2016 und „Wo Rauch ist“ 2018.
Gudrun Lerchbaum:
Das giftige Glück.
Innsbruck: Haymon Verlag 2022.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at
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