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04-05/24

Buchempfehlung: „Proben“

Buchempfehlung: „Proben“

Von Facetten einer Freundschaft, die in gemeinsamer Elternschaft mündet.

Bin da!

Der Schriftstellerin und Poetry-Slammerin Tara C. Meister sind Theater, Proben und Uraufführungen vertraut: So hat sie mit ihrem Drama „fast Land“ die Subtilität struktureller Gewalt auf die Bühne gebracht und Idyllen enttarnt. In ihrem Romandebüt siedelt sie eine ihrer beiden Protagonistinnen Johanna, die Regisseurin in einem kleinen Theaterkollektiv, verletzlich, ehrgeizig, begabt und resilient mitten im Theaterleben an. Wie viele Förderanträge gilt es zu schreiben, wie viele Textpassagen muss sie noch umschreiben, welche Kostüme noch nähen, bis das Stück fertig ist? Und was heißt hier schon „fertig“? Johanna will in ihrem ersten eigenen Bühnenstück das Verschwinden einer Frau beziehungsweise das Unsichtbarsein und -werden einer Frau zeigen.

Im Gegensatz zu Johanna weiß ihre Freundin Caro in ihren Versuchsreihen als Biochemikerin genau, wann ein Projekt abgeschlossen, fertig oder aufgrund eines Fehlers noch einmal zu wiederholen ist. Caro treibt sich ebenso wie Johanna in ihrer Theaterarbeit unerbittlich an: Sie joggt, treibt nahezu verbissen Sport, räumt auf und genießt die Arbeit im Labor, wo die Reagenzgläser ordentlich in den Eprouvettenhaltern stehen, die Arbeitsflächen sauber sind und die Zeit ganz genau gemessen wird. Hier sind Vorgänge dokumentier- und berechenbar, in Johannas Wohnung herrscht hingegen Chaos, in Johanna selbst herrscht Chaos – ein Chaos, das auch Caro gut kennt und famos zu kontrollieren versteht. Johannas Schwangerschaft verändert die Freundschaft, verändert Johanna, lässt sie müde werden, dann wieder voller Tatendrang erscheinen.

„Irgendwie geht es, wenn es muss. Dreimal bin ich vom Hochbett gesprungen, es ist drinnengeblieben. Es will eben drinnenbleiben! Mich hat auch wer behalten. War auch eine Scheißidee.“
Seite 60

Will Johanna in ihrem Stück das ignorierte Leben einer Frau – Magdalena Maier – aufgreifen, stellen sich die beiden Freundinnen durch Johannas ungeplante Schwangerschaft immer wieder Fragen nach Sichtbarkeit, Verschwinden und struktureller Unsichtbarkeit. Ja, auch Johannas Mutter verschwand immer wieder für Tage, ließ die Kleine zurück. Auch das ist ein Gegensatz zu Caros Familie, die ihr eigenes Unglücklichsein mit frisch gebügelten Servietten abzumildern versuchte – richtig, es misslang!

Als Johannas Katze verschwindet, macht sich in ihr eine Trauer breit, die auch nach deren Wiederauftauchen bleibt. Caro kümmert sich, arbeitet, kümmert sich wieder und will Johanna beistehen, auch beim Geburtsvorbereitungskurs, der eine der Satireszenen des Romans liefert. Caro bekommt schließlich ein Auslandsstipendium, dessen Antritt sie einige Male verschoben hat. Postpartale Depression oder auch eine Anpassungsstörung diagnostiziert die Psychologin Johanna im Krankenhaus, das derzeit kein Mutter-Kind-Zimmer frei hat. So übernimmt Caro die Sorge um das Neugeborene, gibt ihm die abgepumpte Muttermilch und starrt in der Nacht müde aus dem Fenster:

„Erst die Windel, dann der Body, dann der Strampler, dann die kleine orange Mütze. Mit einer Decke in den Maxi-Cosi. Jedes Mal, wenn sie ihr den Body überzog und der Kopf kurz verschwand, erschrak Caro. Draußen fühlte sich Caro, als wäre sie eine Glasfigur und ins Getriebe einer riesigen Maschine geraten.“
Seite 246

Den Freundinnen gelingt es, Chaos, Traurigkeit, Verzweiflung und Hoffnung zu teilen. Caro setzt die richtigen Handgriffe, Johanna stellt die richtigen Fragen.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Debütroman nicht lesen:

Psychogramme zweier Frauen, Kindheiten in unterschiedlichen Welten, Bemühen gegen das Verschwinden bereits in jungen Jahren, dysfunktionale Familien und wie sich diese in der eigenen Kindheit Tag für Tag ertragen lassen, Schwangerschaft, Mutterschaft, Verantwortung, Theater, Freiheit, Zwänge, Freude … zwei Freundinnen, die ihre Grenzen wahren und doch so viele überschreiten wollen, um ihre Verletzungen zu heilen.

Tara C. Meister:

geb. 1997, in Kärnten aufgewachsen, studierte in Wien Medizin und seit 2022 Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie schreibt Prosa/Spoken Word und Dramatik. „Proben“ ist ihr Debütroman, zuvor erhielt Meister schon unzählige Auszeichnungen, unter anderem stand sie 2022 auf der Shortlist für den Wortmeldungen-Förderpreis, erhielt den Erostepost Literaturpreis sowie den Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten.

Tara C. Meister:
Proben.
Salzburg/Wien: Residenz Verlag 2024.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 06.05.2024
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