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03/24

Buchempfehlung: „Klippensturz“

Buchempfehlung: „Klippensturz“

Die Adria-Idylle sowie die Familienharmonie haben schon immer Menschen getäuscht. Das Essen ist wundervoll, der Alkohol süffig, die Liebe manchmal auch leicht: Edith Kneifl blickt jedoch hinter die schweren Vorhänge, zeigt Intrigen, Verzweiflung und Neid in ihren Charakteren.

Schöne Landschaften, böse Menschen

Wir reisen also mit Laura Mars nach Pula, schnell sind wir mit der Erbin einer imposanten Villa unterwegs. Doch warum ist die Großmutter ein weiteres Mal gestorben? Man hat doch vor einigen Jahren bereits ein Dokument erhalten, in dem ein Krankenhaus „Herzstillstand“ als Todesursache mitteilte. Laura Mars hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten: Ihre Mutter hat wenig über die Großmutter gesprochen, es dürfte wohl ein gröberes Zerwürfnis gegeben haben.

Kneifl verschwendet keine Seiten und auch nicht unsere Lesezeit: Die Protagonistin findet ihren Notar niedergeschlagen beziehungsweise ermordet in seiner Kanzlei, die Tito-Statue tatscht sie in ihrem Schock an und gerät dadurch unverzüglich in die Ermittlungen des Kommissars Viktor Novak. Was ihr Großmama Natalija alles einbrockt, erfährt sie Seite um Seite aus deren Tagebuchaufzeichnungen, die sie im Büro des Ermordeten entdeckt und geschwind mitnimmt. Ein neues Familienbild entsteht, ein neues Sittengemälde wird gemalt, das von Liebe und Treue, von Leidenschaft und Verrat erzählt – wenn man es zulässt.

Dialogreich entfaltet Edith Kneifl das verwirrte Familiennetz: Da ist Lauras Onkel Nikolai, von seiner Mutter Natalija in ihren Aufzeichnungen liebevoll-kritisch als intelligent, aber auch beeinflussbar geschildert. Nikolai – im Gegensatz zur geliebten Tochter Adriana ging er nicht weg – gründete eine Familie, kaufte einen Leuchtturm und spricht dem Alkohol freudig zu. So sei schon sein Vater gewesen, ein guter Kerl, der zu viel trank und dann manch krummes Ding drehte. 

Geschickt verwebt Kneifl die Erzählstränge: Hier die Ermittlungen in Pula, dort die Erinnerungen der Großmutter an ihre große Liebe, die sie spät wie zufällig wiedertraf. Der Geliebte, ein hoch dekorierter General, stirbt. Auch sein Tod muss aufgeklärt werden, vermutlich hat Josip, der Ehemann, ihn aufgesucht und zur Rede gestellt.

Wer profitiert von dem Anschlag auf Laura, wer will ihre Ermittlungen ins Leere laufen lassen, wer will sie verführen und um ihr Erbe bringen? Gut und Böse sind hier lange verwaschen, Erinnerungen und Träume lassen eine scharfe Trennlinie als nicht wichtig erscheinen. Welche Schuld hat die Großmutter auf sich geladen? Wurde ihr die Schuld lediglich zugeschrieben? Wer hat sie für tot erklären lassen? 

Dieser Roman ist ein Reisekrimi, der Lust auf einen Istrien-Genussurlaub macht. Er ist aber auch ein Lehrstück über Familien, die ihre Vergangenheit nicht ordnen wollen und ihre Lügen an die nächste und übernächste Generation weitergeben. Wer mit Laura Mars in den diversen Lokalen speist, bekommt Hunger, möchte an die Adria und sich auch verlieben. 

„Da sie hungrig war, wählte sie als Vorspeise ein Carpaccio vom Boskarin-Rind, garniert mit Rucola und Balsamico-Creme, und als Hauptgericht Doca di Rospo mit Kartoffeln und Mangold. Der Seeteufel zählte zu ihren Lieblingsfischen, da er keine Gräten hatte.“
Seite 31

Das alles kann ein Buch in seinen Leserinnen und Lesern auslösen. Wie wunderbar!

Was Sie versäumen, wenn Sie sich nicht nach Istrien lesen:

Spannung, Familiengeschichte, Heiteres, Nachdenkliches, kauzige Verwandte, eine große Leidenschaft und eine noch größere Liebe.

Edith Kneifl:

1954 in Wels/Oberösterreich geboren, zählt zu den erfolgreichsten Krimi-Autorinnen Österreichs. Sie schickt ihre Protagonistin Laura Mars sowohl auf die Kanaren als auch nach Griechenland sowie aktuell nach Istrien. Klar, dass sich die aufzuklärenden Kriminalfälle immer zufällig ergeben. Edith Kneifls Werke sind in mehrere Sprachen übersetzt, die Liste ihrer Preise/Auszeichnungen ist lang wie imposant. 1988 erhielt sie den Theodor-Kröner-Preis für Literatur, 1992 als erste Autorin den Friedich-Glauser-Preis für ihren Roman „Zwischen zwei Nächten“, 2018 schließlich den Glauser-Ehrenpreis.

Edith Kneifl:
Klippensturz. Ein Istrien-Krimi.
Innsbruck: Haymon Verlag 2023.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 28.04.2023
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