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04-05/24

Buchempfehlung: „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“

Buchempfehlung: „Das Baby ist nicht das verdammte Problem

Inmitten der Welt aus pastellfarbener Wohligkeit sitzen Frauen, die Mütter geworden sind, und ärgern sich, staunen und verzweifeln an den hohen eigenen und fremden Ansprüchen. Jede für sich. Allein und mit all den guten Ratschlägen versorgt, die ihnen die Luft zum Atmen nehmen.

Wir wollen das Beste für uns

Hat man pränatal alles richtig gemacht, war die Spontangeburt die richtige Entscheidung und ist man eine schlechte Mutter, weil man nicht stillt? So ehrlich wie die Autorin hier Fakten liefert, Erlebnisse schildert, selbstreflektiert das Leben als Schwangere und Mutter beschreibt, hat man diese „Ach wie süß! Darf ich das Baby mal angreifen?“-Welt selten „vorgeführt“ bekommen. Wer dieses Buch gelesen hat, wird weniger Ratgeber zur Selbstoptimierung als Mutter und in Folge zur Optimierung des Säuglings kaufen und wieder mehr auf sich hören, ohne störende Einflüsterungen.

„Mütter haben das Recht zu entscheiden, was das Beste für sie ist.“ Diese Aussage klingt nur dann lapidar, wenn man sie nicht in Relation zu Instagram-Accounts, ungefragten Ratschlägen und dem Mainstream setzt: Mama, allein zu Haus und das nach einer sanften Spontangeburt, mit Stillplan und dem richtigen Spielzeug im eleganten Kinderzimmer.

„Das Buch ist anders als die oben erwähnten Ratgeber. Hier steht die Mutter im Mittelpunkt. Sie nimmt körperliche Strapazen auf sich. Sie macht das Gros der zehrenden Kümmerarbeit.“
Seite 9

Ana Wetherall-Grujić erzählt von ihrer Kindheit Anfang der 1990er. Damals stand im Tiroler Lokalblatt bei Mietwohnungen der Zusatz „Nur für Inländer“, also nicht für sie und ihre Familie, die in einer Bruchbude wohnen mussten, weil das der einzige Wohnraum war, den sie sich leisten konnten. Die Eltern waren mit ihrem kleinen roten Auto, Koffern und Kind aus dem damaligen Jugoslawien geflüchtet: „Hinter ihnen lag eine Heimat, die es so bald nicht mehr geben würde.“ Zuerst noch als „Jugo-Sau“ beschimpft, kapiert das Mädchen, dass es lernen und gut in der Schule werden muss, um die Angriffsfläche zu verringern: Sie maturiert und studiert. Der Hochschulabschluss, ihr akzentfreies „reines und sauberes“ Deutsch, die harte Arbeit führen sie einige Blöcke weg von Existenzangst und Rassismus. Als sie ihre gut bezahlte Stelle kündigt und in den Journalismus einsteigt, fühlt sie sich wie ein Eindringling in einer Welt, in der alle die Postleitzahl ihres Bio-Gemüse-Bauern zu kennen scheinen und in der die Arbeitsbedingungen der Spargelstecher scheinbar keine Rolle spielen. 

„Ich wurde erwachsen und wurde schwanger. Ich hatte eine Fehlgeburt. ... Ich war erwachsen und wurde noch einmal schwanger. Neun Monate lang sah ich bei jedem Toilettengang in die Kloschüssel. Neun Monate lang hatte ich Angst, dass dort wieder hellrotes Blut schwimmt. Aber ich hatte Glück: Mein Baby kam gesund auf die Welt.“
Seite 15

Die Kapitelüberschriften geben das Engagement und die kämpferische Reflexion der Autorin wieder: „Schwangeren-Ratgeber sind der Traum jedes Frauenhassers“, „Scherze übers Kinderkriegen – Ihr seid Aasgeier und keine Spaßvögel“, „Kaiserschnitte für alle, die sie wollen“, „Bloß nicht jammern: Der Druck zum Glücklichsein mit Baby“ und unbedingt zu erwähnen „Mamas reden nur über ihr Baby: Wie zynisch es ist, Frauen für Sorgepflicht zu schmähen“. Im Anhang gibt es klare wie dezente Tipps für die werdenden Väter sowie die ultimative Anleitung für den perfekten Wochenbettbesuch. Und wir haben es kapiert: „ultimativ“ und „perfekt“, ja, da nimmt uns die Autorin auf den Arm.

Was Sie versäumen, wenn Sie diese Analyse nicht lesen:

Erinnerungen an eigene Zeiten mit Kindern, Care-Arbeit, Realismus in Bezug auf Schwangerschaft, Fehlgeburten, Geburten und das Leben mit dem Baby, sehr differenzierte Analyse von Gesellschaft und Patriarchat, Lust auf einen Kaffee mit dieser resilienten Frau, die die Wahrheit nicht scheut und sie anderen auch zumutet.

Ana Wetherall-Grujić:

1988 in Jugoslawien geboren, flüchtet mit den Eltern nach Tirol. Matura, Wirtschaftsstudium mit Abschluss – für alle, die danach recherchieren wollen, Journalistin und Teamleiterin für „BuzzFeed Österreich“. „Ihre stete Begleitung:“, so der Verlag, „Wut darüber, dass nicht alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben.“

Ana Wetherall-Grujić:
Das Baby ist nicht das verdammte Problem. Ein Handbuch für die glückliche Mutter.
Wien: Kremayr & Scheriau 2023.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 07.10.2023
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