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03/24

Brotbacken: der Trend des Jahres

Brotbacken: der Trend des Jahres

Das alte Handwerk des Brotbackens erlebt eine Renaissance. Allerorten wird wieder geknetet und geformt. Viele, die das Brotbacken nicht als Kinder zu Hause gelernt haben, holen das später nach. „Welt der Frau“ war bei zwei Brotbackkursen dabei.

Weiße morgendliche Nebelschwaden, über denen schon ein strahlend blauer Himmel erkennbar ist, bauschen sich über dem Attersee. Oberhalb des Sees, in einem Unteracher Hanghaus mit herrlichem Blick, sitzen zehn Frauen in Helga Fellingers lichtdurchfluteter Wohnküche und haben kaum Augen für das Panorama vor den Terrassentüren.

Die Gruppe ist zusammengekommen, um an Helga Fellingers eintägigem Kurs „Brotbacken im Holzofen“ teilzunehmen. Die Stimmung ist heiter. Auf einem großen Tisch vorm Fenster steht eine gut ein Meter lange Holzwanne, in der sieben Kilo Roggenmehl darauf warten, verarbeitet zu werden. Daneben sind bauchige Schraubgläser mit verschiedenen Getreidearten aufgereiht, Brotgewürz, Salz, Sesam und ein Schüsserl mit Mohn für die kleinen, geflochtenen Mohnstriezeln, die neben Roggensauerteigbrot auf dem heutigen Backprogramm stehen und in Oberösterreich ziemlich durchgängig „Mohnflesserln“ heißen. „Brotbacken gehört zu einem bewussteren Leben“, sagt Helga Fellinger gerade und erzählt, dass sie und ihr Mann Günter es sich zur Aufgabe gemacht haben, Leuten dabei zu helfen, zu einem solchen Leben zu kommen. Das Brotbacken ist für die beiden ein kleiner, aber signifikanter Teil davon, genauso wie die Meditations- und Bildhauereikurse, die Lebensberatung und Familienaufstellungen, die Coachings oder die geführten Natur-Teamtrainings und Bergtouren, die die frühere Projektmanagerin und der frühere Vermessungsingenieur seit ein paar Jahren anbieten. Ein buntes Potpourri aus entschleunigenden Alltagsstrategien, das aber heute die meisten der Teilnehmerinnen deutlich weniger interessiert als die Frage, wo man gutes Mehl und Getreide herbekommt, was Vollkorn- und Auszugsmehl voneinander unterscheidet oder was man sich unter einem Brühstück vorzustellen hat. Auch auf all diese Fragen weiß Helga Fellinger Antwort. 

Brotbackkurs-Teilnehmerin Rosa (re.) mit WdF-Mitarbeiterin Julia Kospach. (li.)

Brotbackkurs-Teilnehmerin Rosa (re.) mit WdF-Mitarbeiterin Julia Kospach. (li.)

WAS FREUDE MACHT
Nicht immer seien es nur Frauen wie heute, die an ihren Brotbackkursen teilnähmen, sagt sie. Der Normalfall seien gemischte Gruppen. Männer und Frauen jeden Alters, jeder Herkunft. Sogar ein Bäckermeister sei schon hier gewesen.

Das Interesse hat spürbar zugenommen. Das merkt man nicht nur an den gut zwei Dutzend Buchneuerscheinungen zum Thema, die in den letzten fünf Jahren erschienen sind und Titel tragen wie „Roggen und Schwarzbrot“, „Richtig gutes Brot“, „Brot backen einmal anders“ oder „Sauerteigbrot“. Das erzählen auch andere AnbieterInnen von Brotbackkursen, von denen es ebenfalls immer mehr gibt. „Das Brotbacken ist eine Mode, die aber einigen grundlegenden Trends in der Gesellschaft entspricht“, erklärt der Wiener Sozial- und Freizeitforscher Peter Zellmann. Dabei gehe es einerseits um steigendes Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein und ein dementsprechend größeres Interesse an naturnahen Lebensmitteln. 

Gleichzeitig finde auch eine Rückbesinnung auf das eigene Heim als Lebensmittelpunkt, auf den Wert von Familientisch und Freundschaftspflege statt. Auch hier, so Zellmann, passe das Brotbacken gut dazu. Ein dritter Trend habe mit Ruhe, Genuss und Sich-Zeit-Nehmen für Dinge, die Freude machen, zu tun. „Das, was früher das Steckenpferd oder Hobby war, wird wieder aktuell“, sagt Zellmann. Das Brotbacken erfüllt in diesem Kontext auf jeden Fall alle Bedingungen einer Beschäftigung, deren Genuss gerade dadurch entsteht, dass man Zeit und Ruhe dafür braucht. 

BROTBACKEN IN RAURIS
„Brotbacken ist Rhythmus. Deshalb ist es so meditativ“, sagt dazu Roswitha Huber, die man die Doyenne der österreichischen Brotbackkunst nennen könnte. Schon seit fast 20 Jahren lehrt die ehemalige Volksschullehrerin, Jahrgang 1955, auf der „Kalchkendlalm“, einem Bergbauernhof auf 1.200 m Seehöhe hoch über dem Salzburger Rauris, das Brotbacken. Sie ist auch die Organisatorin eines internationalen Festivals, des „Rauriser Brotfests“, das alle zwei Jahre stattfindet. 2015, vom 18. bis 20. September, ist es wieder so weit.

Durch Roswitha Hubers unermüdliche Lehrtätigkeit in Sachen Brotbacken hat sich auch Rauris selbst in den letzten 20 Jahren zu dem Dorf mit der größten Dichte an Holzbacköfen in ganz Österreich entwickelt. „Jetzt entsteht gerade der dreißigste“, erzählt Roswitha Huber, deren Begeisterung ansteckend ist, voller Freude. „Als ich angefangen habe, hat es hier eine einzige Bäuerin gegeben, die noch im Holzbackofen Brot gebacken hat, und die hat sich eher geniert, dass sie es noch so altväterisch macht.“ 

ALTES REZEPT, NEU ENTDECKT
So ändern sich die Zeiten: Nicht nur auf dem Land, wo Brot traditionell oft selbst gebacken wurde, wird wieder verstärkt gebacken, werden alte Holzbacköfen im Garten revitalisiert oder neue gebaut. Auch in der Stadt feiert das selbst gebackene Brot fröhliche Urständ. Bäckereien wie die viel besungene Wiener Bäckerei-Neugründung „Joseph“ mit einem Verkaufsgeschäft im Stadtzentrum und einem schicken, großen Bäckerei-Bistro auf der Landstraßer Hauptstraße stehen für diesen aktuellen Trend: naturbelassene, von Hand gemachte Biobrote und -weckerln, nach alten Rezepten zubereitet, appetitlich in hochmodernem Ambiente zu Boutiquepreisen verkauft. Gutes Brot darf etwas kosten. Auch wenn es bis zu acht Euro fürs Kilo sein können. Zumindest in der Stadt. Es wäre vielleicht zu viel gesagt, dass Brot die Stufe eines Statussymbols erklommen hat. Richtiger wäre es wohl, zu sagen: Das dahinterstehende Können und Wissen erfährt neue Wertschätzung. Sogar die renommierte Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ machte kürzlich in ihrer Beilage „Zeit-Magazin“ das gute, alte Brotbacken gleich auf 40 Seiten zum Schwerpunktthema, porträtierte Getreidemühlen, Dorfbäcker, Minikonditoreien oder Berlins erste Biobäckerei, veröffentlichte eine nach Weißbrot- und Schwarzbrotessern unterteilte Deutschlandkarte und stellte das Ganze unter einen flammenden Appell: „Rettet die Bäcker, esst gutes Brot!“ Denn trotz des höchst lebendigen Trends zu naturbelassenen Broten aus Bäckerhand muss in Deutschland immer noch jeden Tag eine kleine Bäckerei zusperren. Zu groß ist der Druck, den Großbackketten, Selbstbedienungsbäckereien und die Aufbackautomaten von Supermärkten mit ihrer Industrieware auf die kleinen Bäckereibetriebe ausüben.

WAS GUT RIECHT
Glücklicherweise ist die Gegenbewegung im Wachsen begriffen. Handfest drückt es beim Brotbackkurs am Attersee Rosi, eine Wirtin aus Straßwalchen, aus: „Es stört mich, dass gekaufte Brote alle gleich riechen“, sagt sie auf die Frage, warum sie selber Brot machen wolle. Doris aus Adnet, die eine Landwirtschaft hat und Mutter von vier Kindern ist, findet es ebenfalls an der Zeit, selber Brot zu backen: „Wir haben uns eine eigene Kapelle gebaut, wo wir geheiratet haben. Jetzt möchte ich eine Selch und einen Brotbackofen“, sagt sie. Die Wagrainerin Waltraud hingegen gibt längst selbst im Rahmen ihrer „Schule am Bauernhof“ Brotbackkurse für Kinder, aber sie möchte gerne wissen, „wie es andere machen“. Deshalb ist sie heute hier. Auch Birgit vom Attersee, die mit ihrer eigenen Familie, den Schwiegereltern und der Schwagerfamilie in einem Haus mit neun Personen lebt, bäckt regelmäßig zweimal die Woche. Mit Germ.

Jetzt will sie ein Gefühl dafür kriegen, wie man mit Sauerteig Brot macht. Warum sie angefangen hat, selbst Brot zu backen? „Mein Sohn hat früher Probleme mit Hautausschlägen gehabt, die wahrscheinlich von verschiedenen Konservierungsmitteln ausgelöst wurden, wie wir nach Untersuchungsmarathons herausbekommen haben. Seit ich selber Brot backe, ist das weg“, erzählt sie. Und dann gibt es natürlich auch noch solche, die, wie der junge deutsche Geologe Lutz Geissler, zufällig übers Brotbacken gestolpert sind. Geissler fand daran Gefallen und begann sofort einen Blog über seine Backversuche zu schreiben. Nun, kaum fünf Jahre später, betreibt er einen der wichtigsten Hobby-Brotbackblogs (www.ploetzblog.de) im deutschsprachigen Raum plus angeschlossenem Onlineshop, gibt selber Brotbackkurse und hat inzwischen auch noch ein Buch mit dem Titel „Das Brotbackbuch. Grundlagen & Rezepte für ursprüngliches Brot“ veröffentlicht, das wirklich alle Fragen von Brotbacklehrlingen zu beantworten imstande ist. 

Brotformen zum Brotbacken

Brotformen zum Brotbacken

JEDER ,,DALERNT’S“
Wie der junge Geowissenschaftler aus dem Erzgebirge beginnen heute vermutlich viele Angehörige seiner ökologiebewussten Generation mit dem Brotbacken: „Meine ersten Backversuche im eigenen Ofen waren Symbiosen aus völliger Unwissenheit und guten Rezepten aus dem Internet.“ Das ist es zugleich, was alle Routinierten des Brotbackens AnfängerInnen mit auf den Weg geben: Übung macht den Meister. Klingt banal und gilt zweifellos auf vielen anderen Gebieten auch, beim Brotbacken aber ganz besonders. „Jeder dalernt’s“, sagt Roswitha Huber, „aber die Übung kann dir niemand ersetzen.“ Die Frage, worauf es bei einem guten Brot ankomme, beantwortet sie kurz und bündig: „Gutes Mehl und genug Zeit.“ Brotbacken reduziere die Dinge auf ein Minimum, erklärt sie, und lasse gleichzeitig viel Raum. „Es ist nur Mehl, Wasser und Salz. Auf keines davon kannst du verzichten, aber du brauchst auch nicht mehr. Wenn man aus wenig viel macht, wird es erst richtig spannend.“

Spannend wird es dann auch beim Brotbackkurs am Attersee. Während draußen im Garten im selbst gebauten Holzbackofen der Fellingers schon die Fichtenscheite knistern, die den Ofen in zwei Stunden auf die 300 °C vorheizen, die es zum Brotbacken braucht, werden herinnen im Haus die Hände tief in die Wanne mit dem Mehl getaucht, um den Brotteig für mehr als ein Dutzend Roggensauerteigbrote zu kneten. Den Sauerteigansatz und den Vorteig hat Helga Fellinger schon vorbereitet. Vermischt mit dem Mehl in der Holzwanne entsteht nun der eigentliche Hauptteig. 

Ein Satz aus dem grandiosen Buch „Kochen“ (Kunstmann Verlag 2014) des experimentierfreudigen amerikanischen Publizisten Michael Pollan kommt einem in den Sinn: „Ich liebe das Gefühl, den entstehenden Teig in meinen Händen zu spüren, wenn die träge, klebrige Masse beim dritten oder vierten Wenden allmählich bindet und elastisch wird, als bildeten sich darin Sehnen und Muskeln.“ Klebrig ist das Ganze auf jeden Fall. Als es schließlich daran geht, die flachen Kugeln für die einzelnen Brote aus dem Teig zu formen, braucht es einiges an Roggenmehl auf den Händen, um nicht heillos kleben zu bleiben. Aber schließlich sind die Ein-Kilo-Teiglinge in den mehlbestäubten, abgedeckten Gärkörbchen untergebracht. Auf die Böden der Körbchen haben die Teilnehmerinnen zuvor noch leuchtend orange Ringelblumenblüten und große grüne Brennnesselblätter gelegt. Sie werden später auf den fertigen Broten eine spektakuläre, eingebackene und ganz und gar farbechte Verzierung abgeben. Während die Brote ein letztes Mal gehen, wird draußen der Ofen fürs Backen vorbereitet. Die Holzasche kommt mithilfe eines Schiebers heraus, der Boden des Ofens wird ausgewaschen, und mit einer Handvoll eingestreutem Mehl wird ausgetestet, ob die Temperatur fürs Einschießen der Brote schon richtig ist. Dann muss alles schnell gehen: Die Brote aus den Gärkörbchen werden auf einen langstieligen Schieber gestürzt und in den Ofen hineingeschoben. 

Als sie eine Stunde später herausgeholt werden, ist das Oh und Ah über die Pracht und den Duft der frisch gebackenen Laibe beträchtlich. Auch beim Brotbackkurs von Roswitha Huber auf der Kelchkandlalm bei Rauris ist ein paar Wochen später die Freude groß, als die fertigen Laibe aus dem schönen, alten Holzbackofen herauskommen, der direkt vor dem Eingang von Roswitha Hubers schönem, altem Bergbauernhof aufgemauert ist. Steht man daneben, liegt einem das ganze Rauriser Tal zu Füßen. Mit ihren Brotbackkursen hat Roswitha Huber begonnen, weil sie die Leute, vor allem Schulkinder, etwas lehren wollte über die Entstehung von Lebensmitteln. Brot schien ihr da ein besonders gutes Beispiel: „Es ist ein Produkt, das fast niemand ablehnt. Man kann es, mit einiger Vorbereitung, an einem Tag herstellen und hat dann etwas Selbstgemachtes in der Hand, das man leicht mit nach Hause nehmen kann. Deshalb habe ich mit Brot angefangen“, sagt sie. 

Die vielen Fragen, die sich einem am Anfang zum Brotbacken stellen, muss jeder im Letzten für sich selbst beantworten. „Geh zu 100 Leuten, die sich auskennen, und frag sie, und du wirst 100 verschiedene Dinge hören. Dahinter steckt meist nur, dass sie selbst es oft machen. Dann gelingt es. Mehr ist da nicht dahinter.“ Das ist doch ein tröstlicher Gedanke. Ein gutes Brot kann jeder backen. 

Auf die Plätze, fertig, losbacken!

Wer sich fürs Brotbacken interessiert, geht förmlich unter in der Informationsmasse, die man dazu findet. Deshalb hier eine „Welt der Frau“-Vorauswahl an Kursangeboten, guten Büchern, interessanten Websites und Bezugsquellen rund ums Thema.

Bücher

Lutz Geissler: Das Brotbackbuch. Grundlagen & Rezepte für ursprüngliches Brot. Ulmer Verlag, 25,60 Euro

Roswitha Huber: Gutes Brot. Genuss und Lebensfreude mit einer einfachen Delikatesse. Dort-Hagenhausen-Verlag, 24,95 Euro

Rita Kichler/Helmut Reiner: Roggen und Schwarzbrot. Anbauen, Mahlen, Backen, Genießen. Verlag Anton Pustet, 25,00 Euro

Eva Maria Lipp: Richtig gutes Brot. Löwenzahn Verlag, 24,95 Euro

Eva Maria Lipp/Eva Schiefer: Brot backen einmal anders. AV Buch, 20,50 Euro

Martin Johansson: Sauerteigbrot. Rezepte und Tricks zum Selberbacken. AT Verlag, 17,40 Euro

Gerhard Trumler: Alte Mühlen. Bibliothek der Provinz, 44,00 Euro

Blogs: 

www.ploetzblog.de
Ein guter, informativer Blog ist der von Lutz Geissler, der deutschen Galionsfigur des Brotbackens.

Unser bestes Brot

„Welt der Frau“ sucht die besten  BrotbäckerInnen Österreichs! Eine resche Kruste und ein flaumiges Innenleben, gut gewürzt und schön geformt, sind einfach ein Genuss! Egal, ob Sie gerne gutes Brot essen oder backen: Wir suchen nun die besten BrotbäckerInnen Österreichs. Senden Sie uns Ihr bestes Rezept für ein Brot oder ein Kleingebäck. „Welt der Frau“-ExpertInnen testen und wählen die besten Rezepte unserer LeserInnen aus. Einsendeschluss ist der 1. 6. 2015. Die zehn besten Rezepte veröffentlichen wir im Oktober 2015 in einer Sonderausgabe der „Welt der Frau“. Es gibt zahlreiche Preise zu gewinnen.  Wenn Sie nur gerne genießen, ­laden wir Sie ein, uns ein Bild, ein kleines Video oder einfach einen netten Text über Ihre LieblingsbrotbäckerInnen zu schicken. Alle Ihre Beiträge werden auf unserem neuen Brot-Blog (ab Ende März online) veröffentlicht.  Alle Infos zur Aktion „Unser bestes Brot“ unter www.welt-der-frauen.at, Einsendungen an: [email protected] oder Redaktion Welt der Frau, Dametzstraße 1-5, 4020 Linz.

Erschienen in „Welt der Frau“ Ausgabe vom März 2015

 

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  • Veröffentlicht: 02.03.2015
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