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03/24

Wo das Abendrot wartet

Wo das Abendrot wartet

Alles hat seine Zeit. Dass so manche besondere Zeit auch einen Ort und ein Zuhause hat, erfährt man zum Beispiel auf Autobahnschildern.

Wenn ich gerade Auto fahre und zu lachen beginne, dann kann das mehrere Gründe haben.

Entweder hat meine Tochter aus dem hinteren Rang gerade eine Stilblüte zum Besten gegeben, mich in ihre Pläne eingeweiht („Mama, ich mag ins Legoland, da bau ich was aus Legosteinen; ich bau einen Baum – die grüne Farbe nehme ich für die Blätter und die bunten Farben für den Herbst“), oder sie reicht mir voll Stolz einen „Nasenmomo“.

Ich lache, wenn ich einen Kavalierstart bezeuge, der dazu da sein sollte, mir zu imponieren. Vielleicht höre ich auch gerade eine neue CD von Annett ­Louisan. Oder ich lese einen wirklich lustigen Spoilerspruch.

Zuletzt, vor ein paar Tagen, packte mich der Frohsinn auf dem Weg nach Graz. Genauer: auf dem Wechsel, wo man nur 100 fahren darf. Nein, nicht da, wo es nach Sankt Corona geht. (Dass man dort, in Coronaland, freiwillig Urlaub machen kann, ist mir nicht neu. Als Kind war ich jeden Sommer mit meiner Oma dort.) Aber kurz nach der Abfahrt, die ich nicht nahm, stand ein Schild:

„Achtung, tief stehende Sonne. Ich las es. Und lachte laut auf.“
Barbara Pachl-Eberhart

Hier ist sie also“, dachte ich. Hier findet man sie, wenn man sie braucht! Für romantische Stunden, um abends zur Ruhe zu kommen, oder bei allzu großer Sehnsucht nach dem griechischen Meer.

Wie praktisch, dass man nur an diese Stelle fahren muss, wo die Sonne verlässlich einen auf Tiefstand macht. Vielleicht sogar zu jeder Zeit des Tages? So zumindest deutete ich das Schild.

Und spann sogleich Ideen für weitere Hinweise dieser Art, die die Zeit im Raum verankern könnten. Zum Beispiel „Geburtstag“, fix in die Kindergartentür eingraviert. „Wandertag“ an die Innenseite des Haustores. „Frühstückszeit“ an die Tür eines Cafés, „Mittagsschlaf“ an die Rückseite des Beifahrersitzes (wo meine Tochter es dann lesen kann, wenn sie schließlich lesen kann). Und noch frecher: „Das erste Mal“ über das Bett. „Urlaub“ auf den Badezimmerspiegel. „Das letzte Mal“ an die Kühlschranktür.

Vielleicht waren es diese Gedanken, die mich gestern Ja sagen ließen, als mein Mädchen fragte, ob wir einen Adventkalender basteln könnten. Es waren zwei innige Stunden, die wir, zur Unzeit und doch voll Inbrunst, zeichnend, klebend und mit viel „Ah“ und „Oh“ beim Öffnen der Türchen verbrachten. Ich denke, der „Advent“ sollte auch seinen fixen Platz bekommen, damit ich ihn finde, wenn ich ihn will. Ich glaube, ich gebe das Schild außen an meine Wohnungstür, und freue mich, wenn jemand hereinschaut, vielleicht mit großen Augen und offenem Mund._

Barbara Pachl-EberhartBarbara Pachl-Eberhart

schafft sich gerne ihre Inseln der Seligkeit. Am seligsten ist sie derzeit, wenn sie ihre neue Homepage bestückt:  LieblingsLebensgefühlsManufaktur

Barbara Pachl-Eberhart ist Autorin, Vortragende und Dialogprozessbegleiterin, Schreibtrainerin sowie Ehrenbotschafterin der Rote Nasen Clowndoctors.

 

Christine Haiden und Barbara Pachl-Eberhart

Barbara Pachl-Eberhart im Gespräch mit Christine Haiden über die Vergleichbarkeit von Krisen, über Graustufen & Überraschungen: „Man darf alles, was einem gut tut“.

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  • Veröffentlicht: 13.10.2020
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