Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Alles fast wie immer

Alles fast wie immer

Wir sind wohl nicht die Zielgruppe für die seitenweisen Bücher-, Film- und Serientipps in den Zeitungen derzeit. Denn langweilig wird uns fürs Erste nicht.

„Sie haben sich berührt!! Mami, sie haben sich an der Hand berührt!!“, höre ich es aus dem Wohnzimmer schreien. Meine Kinder schauen sich keine romantische Telenovela an, nein, sie kleben wie gebannt am Fenster und sehen draußen zwei Arbeiter, die sich Arbeitsgeräte reichen. Mein Kleiner vibriert vor Spannung: „Sie haben sich echt berührt und stehen ganz nahe beieinander.“ Den nächsten Satz flüstert er verschwörerisch und betont jedes Wort: „Und sie sind nicht von der selben Familie!!“ Die Aufregung ist groß, und ich staune, wie schnell die Kinder die neue Realität angenommen haben. Corona, keine Schule und kein Kindergarten, immer nur wir vier und ordentlich Abstand zum Rest der Welt, das ist jetzt eben so. Es gibt sie, die besorgten Fragen (Was wird aus meinem Geburtstag? Wann kann ich wieder mit Ben spielen?) und zweifelnden Überlegungen (Fahren wir heuer auf Urlaub?), aber ansonsten fühlt sich ihr Leben scheinbar ziemlich gut und übersichtlich an. Alles in einem Haus, alles aus einer Hand, immer die zwei gleichen etwas müde dreinschauenden Elternteile.

Corona ist in Woche 3 nicht nur Alltag, es wird auch schon instrumentalisiert: Bei meinen Abbusselattacken, die der Kleine manchmal gar nicht mag, heißt es nun streng: „Zwei Meter Abstand! Ich sag nur Co-ro-na!“ Und das Spiel der Stunde heißt „Coronafangen“: Der eine ist infiziert und will den anderen anstecken. Naja.

Wer mit Kindern durch die Coronazeit geht, wird wahrscheinlich in diesen Wochen keine neue Fremdsprache lernen, vielleicht auch nicht den Dachboden entrümpeln, eher kein dickes Buch schreiben oder den Beachbody des Jahres erturnen. (Jeder und jede, der etwas davon trotzdem macht, hat meine vollste Hochachtung und schreibe mir bitte Zeitmanagementtipps.) Aber eines ist fix: Langweilig wird es nicht, viel Zeit zum Grübeln bleibt auch nicht, dafür gibt es einiges zu lachen, und das schwere C-Wort aus den Nachrichten bekommt im Alltagstrubel etwas mehr Leichtigkeit.

„Nützen wir diese Zeit, um zu uns selbst zu finden“, schrieb einer meiner Freunde auf Facebook zu Beginn der Coronazeit. Ha!, dachte ich mir, was denn noch? Ich bin ja schon froh, wenn ich nach diesen Wochen überhaupt irgendetwas finde unter diesem Teppich aus Lego, Playmobil und Eisenbahnschienen.

Und doch finden wir so einiges: Die Kinder finden fast vergessene Spielsachen und immer neue Formen, sich zu unterhalten, sie finden sich manchmal schrecklich und manchmal großartig, wir finden Zeit füreinander, wir Großen finden irgendwie Wege, dass jeder auch mal Zeit für sich haben kann, wir finden es oft ganz schön anstrengend und meist wirklich schön miteinander. Also alles fast wie immer. Fast.

Julia Rumplmayr

lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen (5 und 7) in einem Haus mit Garten im Mühlviertel.
Nervenstatus: dankbar für jahrelange Yogapraxis (hat vorsorglich allerdings Rumkugeln gehamstert)
www.juliarumplmayr.at | www.linzerkind.at

Foto: Alexandra Grill

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 02.04.2020
  • Drucken