Im vergangenen Jahr konnte einem schon ein bisschen schwummerig werden. Ob Brexit oder Trump-Wahl, man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Welt den Retourgang eingelegt hat. „Zurück“ hieß die Devise – zurück zu den alten Nationalstaaten, zurück zu Grenzen, zurück zu einem nicht genauer definierten Vergangenen. Und wer hat tapfer dagegengehalten?
Überdurchschnittlich viele Frauen und viele junge Menschen. Zumindest ergaben das die Wahlanalysen, beispielsweise auch bei der Kür des neuen österreichischen Bundespräsidenten. Daraus lässt sich schließen, dass diese WählerInnen womöglich spüren, was auf dem Spiel steht. Zurück zu alten Strukturen heißt für Frauen in der Regel zurück zu einem eindimensionalen Lebensmodell, vor allem aber zu einem nicht selbst bestimmten. Für die Jungen, die sich erproben, entwickeln und Neuland entdecken wollen, schmeckt jedes Zurück nach Einschränkung der Möglichkeiten. Das schätzen zumindest die Aufgeweckten unter ihnen gar nicht.
Dass es nicht wenige gibt, die aus der großen Welt wieder ein regionales Idyll machen wollen, hat viele Gründe. Häufig wird die Angst als ein wesentliches Motiv gesehen. Aber es ist wahrscheinlich vielschichtiger. Tatsächlich erleben wir eine nie zuvor da gewesene Intensität der Globalisierung. Die Waren sind schon längst rund um den Globus unterwegs und mit ihnen auch die großen Konzerne, die die Warenströme leiten. Seit der Digitalisierung der privaten Kommunikation sind aber auch Menschen mobiler geworden. Heute ist es möglich, zu jeder Zeit mit jedem Menschen an jedem beliebigen Ort der Welt in Echtzeit zu kommunizieren.
Das hat Folgen. Nun wissen nicht mehr nur wir, wie es in anderen Ländern zugeht, sondern auch Menschen in diesen Ländern, wie die Lage bei uns ist. Dass so viele sich auf den Weg machen, um irgendwo ein besseres Leben zu führen, von dem sie wissen, dass es möglich ist, verwundert nicht. Auch aus Österreich sind im Laufe der Geschichte Hunderttausende ausgewandert, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Dass die Migration immer mehr an Dynamik entwickelt, hängt aber auch mit Kriegen und mit den immer deutlicheren Folgen des Klimawandels zusammen. All das ergibt eine Mischung, die unrund machen kann. Sie bringt FührerInnen an die Macht, die Erlösung durch Enge versprechen.
Der deutsche Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf hat gegen Ende des letzten Jahrhunderts vermutet, dass das 21. Jahrhundert ein autoritäres Jahrhundert werden könnte. Er meinte, dass die Dynamik der Globalisierung der Märkte und der Menschen zunehmen werde. Wenn es aber keine entsprechenden politischen Strukturen gebe, die das regulierten, würden sich regionale Kräfte etablieren, die ihren BürgerInnen um den Preis der persönlichen Freiheit scheinbare Sicherheit versprächen.
Diese Analyse von Dahrendorf erinnert an die Reformkräfte des 19. Jahrhunderts wie etwa Bertha von Suttner. Sie wollten, um die drohenden großen Kriege zu verhindern, schon damals eine Europäische Union. Nun haben wir sie. Gerade die eher autoritär ausgerichteten, rechtspopulistischen oder rechtsextremen Kräfte versuchen, sie wieder zu zerstören, ohne echte Alternativen zu bieten. Die „Wir zuerst“-These wirkt so einfach und einleuchtend, aber sie ist falsch. In einer vernetzten Welt geht es nicht um Sieger und Verlierer, weil es sonst am Ende nur Verlierer gibt.
Es kann nur um ein „Wir gemeinsam“ gehen. Und das braucht auch entsprechende politische Strukturen. Am Beispiel des Klimawandels sieht man, dass es weltweite Vereinbarungen braucht, weil das Problem nicht regional begrenzbar ist. Wenn die Ursachen für Migration die ungleich verteilten Ressourcen und Chancen sind, braucht es große Vereinbarungen. Nicht zu reden von den Kriegen, die, wie in Syrien, ablaufen, als gäbe es keine internationalen Institutionen, die dabei irgendetwas mitzureden haben.
Meine Hoffnung sind die Frauen und die Jungen. Denn die einen haben gelernt, sich Welten neu zu erschließen, die anderen schwärmen in großer Zahl rund um den Globus aus, mit Neugier und ohne Vorbehalte. Aus ihren Reihen werden die kommen, die uns ein neues Bild, wie wir künftig besser miteinander leben, zeichnen werden. Was früher war, ist ein Fall für die Museen.
Christine Haiden hofft, dass die Welt nicht in einen autoritären Taumel verfällt.
Einfaches Weltbild, stark umgesetzt
- Wenn es unübersichtlich wird, rufen noch immer viele nach einem „starken Mann“, was immer das genau ist. In der Regel denken sie, demokratische Strukturen und Prozesse seien zu ineffizient oder zu langwierig und sollten ersetzt werden durch Durchgriffsrechte Einzelner.
- Autoritäre Systeme, die daraus entstehen, schränken aber in der Regel persönliche Freiheitsrechte ein, schalten die Opposition und allfällige KritikerInnen aus, verfolgen Minderheiten, versprechen nationale Größe und scheuen den Krieg zu deren Demonstration nicht.
- Viele populistische Bewegungen weisen derartige Grundhaltungen auf. Meist haben sie überdurchschnittlich viele männliche Anhänger.
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Erschienen in „Welt der Frau“ 01/17 – von Christine Haiden
Illustration: www.margit-krammer.at