Lange war der Muttertag die offizielle Ehrung für Frauen, die eigene Interessen ganz hintan- oder in den Dienst ihrer Familie stellten. Heute sehen wir Familie als Elternsache. Wird es Zeit für einen Elterntag?
Ein Reim-dich-oder-stirb-Gedicht lernen, vom Taschengeld eine erschwingliche Blumenvase im örtlichen Kaufhaus erstehen, Wiesenblumen möglichst gleich lang abpflücken und der gerührten Mama den windschiefen Strauß in die Hände drücken – der Muttertag war früher ein Stresstag für Kinder. Heute scheint er einer für Mütter zu sein. Kürzlich tat bei einer Veranstaltung eine Runde von Müttern kund, was ihnen der liebste Muttertag wäre: einer ohne Familie, für sich allein. Nicht, dass sie ihren Nachwuchs nicht mögen, aber Beweise der Zuneigung bräuchten sie nicht. Da schon eher einen Moment zum Durchschnaufen. Die Zeiten haben sich geändert. Viele Mütter sind heute berufstätig, zumindest in Teilzeit. Ihr Alltag ist in Wirklichkeit ein gut gefüllter und ausgetüftelter Terminplan, um Job, Kinder und Familie unter einen Hut zu bringen. Wer so getaktet lebt, sucht im Grunde die kleinen Oasen der Freiheit.
Brauchen Mütter also keine Ehrung mehr für das, was sie tun? Zwischen der familieninternen Wertschätzung und der offiziösen Huldigung liegen Welten. Die wahren Feste der Liebe, wenn man sie so nennen möchte, finden ohnehin ungeplant statt. Wenn in manchen Momenten große Dankbarkeit aufsteigt für das Glück, Kinder – gerade diese Kinder – zu haben, wenn die Zuneigung plötzlich intensiv spürbar wird.
Selten sind es die geplanten, zeremoniellen Situationen. Die sind doch eher etwas peinlich, erinnern an steife Ehrbezeugungen für die Queen Mum. Mütterehrungen von offizieller Seite sind länger schon in Verruf geraten. Sie haben den Beigeschmack von Absicht und führen leicht zu Verstimmung. Mütter nur zu ehren, ohne sie sozialrechtlich entsprechend abzusichern, darauf können die meisten Frauen gerne verzichten. Sie zur Produktion von Nachwuchs durch schöne Worte zu animieren, wäre nicht nur degoutant, es ist auch völlig wirkungslos. Brauchen wir also überhaupt noch einen Muttertag?
Seit einigen Jahren mausert sich der Internationale Frauentag am 8. März immer mehr zum gemeinsamen Tag aller Frauen. Da hören Frauen längst nicht mehr nur Kampfparolen. Von Kabarett bis Weinverkostung ist alles möglich. Der 8. März ist mehr zum Tag eines neuen, umfassenden weiblichen Selbstbewusstseins geworden. Keine Frau ist nur Mutter, sie hat auch ein Leben vor, nach und während der Familienphase. Die frühere Konkurrenz zwischen bürgerlichem Muttertag und sozialistischem 8. März hat sich aufgehört. Das ist gut so.
Von einem Kollegen des oberösterreichischen Rundfunks kam in einem Gespräch über den 8. März die Frage, ob wir nicht an die Einführung eines Elterntages anstelle von Frauen- und Muttertag denken sollten. Diese Idee ist nicht uninteressant. Ich würde nicht den Internationalen Frauentag ersetzen, wohl aber den Muttertag. Der Vatertag hat sich ohnehin als kommerzielle Notlösung nicht wirklich durchgesetzt. Die neuen Socken und das coole Rasierwasser kann man auch bei anderer Gelegenheit loswerden.
Wenn es bei der Feier eines Tages in erster Linie um die Versorgung der Kinder und den Dank dafür gehen soll, ist ein Elterntag logisch. Erstens gibt es immer mehr Männer, vor allem in der jüngeren Generation, die selbstverständlich ihren Anteil am Familienleben übernehmen. Kommt es nur mir so vor, oder sehen auch andere immer öfter Väter alleine mit dem Kinderwagen unterwegs oder auf Spielplätzen? Höre ich nicht oft von älteren Frauen, dass ihre Söhne ganz selbstverständlich kochen, waschen, bügeln?
Zweitens belegen auch alle aktuellen Umfragen, dass Kinder zunehmend als Elternsache gesehen werden. Nur, das ist mein „Drittens“, hinken die Strukturen in Wirtschaft und Sozialrecht noch etwas nach. Da gibt es zu wenig Anreiz für Unternehmen, Vätern gleich wie Müttern Elternzeit zu ermöglichen, zu wenige Ideen, wie die Arbeitszeit in der Familienphase für beide Eltern gestaltet werden könnte. Mir scheint, dass die Barrieren in den Köpfen der EntscheiderInnen noch viel größer sind als in den Köpfen junger Eltern.
Ein Elterntag statt des Muttertages könnte ein politisches Signal sein. Es sagt: Wir meinen, dass bei uns in Österreich Kinder und Familie Elternsache sind. In freier Wahl, wie das dann genau gestaltet ist. Der Muttertag ist ein liebenswürdiges Relikt aus alten Zeiten. Und wem gratulieren dann die Kinder? Ja, beiden eben. Blumen für den Papa, Vase für die Mama.
Hundert Jahre Muttertag
- Der Muttertag geht auf die amerikanische Methodistin Anna Marie Reeves Jarvis zurück. Diese hatte 1865 den Mother’s Friendship Day gegründet. Frauen sollten sich treffen und über ihre Fragen austauschen können.
- Eine ähnliche Organisation, „Peace and Motherhood“, wollte verhindern, dass Söhne künftig in Kriegen geopfert würden.
- 1907 organisierte die Tochter von Anna Marie Reeves Jarvis in Erinnerung an ihre Mutter am zweiten Sonntag im Mai einen Mother’s Memorial Day und verteilte weiße Nelken. Das kam so gut an, dass er sich als Tag des Dankes vom kleinen Ort Grafton aus in ganz Amerika verbreitete.
- 1914 war er erstmals offizieller Feiertag in den USA.
Erschienen in „Welt der Frau“ 5/2014 – von Christine Haiden
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