Vermutlich gehöre ich einer altmodischen Generation an. Aber ich habe immer im Sommer und Herbst seltsame Beschwerden. Wenn ich an Gärten vorbeikomme, in denen das Obst auf dem Boden verfault, möchte ich am liebsten anläuten und fragen, ob ich ernten darf. Abgesehen davon, dass meine Familie mich für verrückt erklärt, bin ich mir auch nicht sicher, welche Reaktion ich bei den BesitzerInnen der Früchte auslösen würde.
Der Garten ist das heilige Reich seiner EigentümerInnen. Irgendwann hat irgendwer in einem Anfall von Euphorie Bäume, Fruchtsträucher und Beeren gepflanzt. Vielleicht mit der schönen Vorstellung, ab und zu davon zu naschen. Doch spätestens nach zehn Jahren und bei günstiger Witterung ergießt sich ein Schwall an Früchten auf die Darunter- und Danebenstehenden. Und statt Freudengejohle entweicht den Mündern ein Kummerstöhnen: Wohin mit all dem Segen? Wer soll das ernten? Wer soll das essen? Hilfe!
Erlauben Sie mir meine bescheidene Meinung. Nicht die Fülle ist das Problem, sondern ihre Verteilung. Das fängt schon mit der Logik des möglichen Empfängerkreises an. Nicht wenige sind der Ansicht, dass Früchte als Privateigentum wie das Sparbuch unter dem Kopfpolster nur an Familienangehörige weitergegeben werden dürfen. Daher werden vornehmlich Kinder und Kindeskinder mit der Frage „Kannst du nicht was brauchen? Wir haben so viel!“ konfrontiert. Versteht man sich mit den Menschen jenseits des Gartenzaunes gut, geht das Angebot auch an diese. Das hat aber meistens einen großen Haken: Was im eigenen Garten gut wächst, sprießt auch bei den NachbarInnen reichlich.
Verkaufen der Güter lohnt sich auch nicht, zu aufwendig, und wer weiß, vermutlich ist in Österreich schon der Versuch alleine ein Verstoß gegen Gewerbeordnungen, Gesetze, Hygienevorschriften et cetera. Bleibt also noch, nach Kräften einzukochen. Aber nach spätestens drei guten Gartenjahren und großzügigem Verschenken als Mitbringsel leeren sich die Regale nicht mehr merklich. ErbInnen berichten, in den Kellerabteilen ihrer Verblichenen zum Teil zwanzig Jahre alte Marmelade gefunden zu haben.
Was also tun? Wenn die einen, zum Beispiel in der Stadt oder in sozialen „Randlagen“, zu wenig haben, sollte man überlegen, wie Angebot und Nachfrage zusammenkommen können. In Hamburg hatte beispielsweise ein pfiffiger Werbemann eine Idee. Nicht nur in seinem Garten, sondern auch in dem seiner NachbarInnen gab es zu viel Obst. Er verabredete sich mit einer Organisation, die Menschen mit Beeinträchtigungen begleitet. Der Deal: Die GartenbesitzerInnen verschenken ihre Überschussfrüchte, die Sozialorganisation erntet und verarbeitet. Der Werbemann kreierte eine pfiffige Marke für Marmeladen und Säfte. Außerdem baute er einen Direktvertrieb in Firmen auf. Jetzt können die Büromenschen von den Gartenfrüchten profitieren und es wurden sogar Arbeitsplätze geschaffen.
In meinem Heimatort gibt es viele alte, große Mostobstbäume. Auf vielen Höfen gibt es aber keine fleißigen Hände mehr, die in guten Jahren die Äpfel und Birnen klauben. Der Pfarrgemeinderat hat daher „Klaubenstage“ organisiert. Junge und Alte rücken zu Bäuerinnen und Bauern aus, die den Ertrag ihrer Bäume spenden. Was sonst verfaulen würde, bringt der Pfarre Geld in die Kasse und stiftet Gemeinschaftserlebnisse. Dass manche GartenbesitzerInnen ihr Überschussobst vor die Tür zur freien Entnahme stellen, hat sich ebenfalls bewährt.
Was mir schon lange durch den Kopf geht, ist ein Verein zur Verwertung von Gartenüberschüssen. Ich stelle mir vor, dass es ein paar MitstreiterInnen geben könnte, die wie ich gerne ernten und einkochen. Wir würden auf Anruf in Gärten kommen, wo es einfach zu viel des Guten gibt, es ernten und mitnehmen und dann zu kleinen Köstlichkeiten verarbeiten. Die GartenbesitzerInnen bekämen so viel zurück wie sie möchten, und der Rest würde für einen guten Zweck verkauft oder verschenkt.
Am Ende wäre nicht mehr zu viel da, sondern alles gerade richtig verteilt. Zur Freude der GartenbesitzerInnen, die nichts mehr verkommen lassen müssten, der ProduzentInnen, die Spaß am Konservieren haben, und der EmpfängerInnen, die Köstlichkeiten bekämen. Umverteilung ist eine Frage der Fantasie. Welche Idee haben Sie? Die Ideenbörse ist geöffnet!
Gute ins Töpfchen, Schlechte in den Müll?
- Pro Österreicherin und Österreicher landen jährlich circa 40 Kilogramm Nahrungsmittel im Müll. Häufig sind es Obst und Gemüse, die entsorgt werden. Meist weil sie unansehnlich geworden sind oder das Datum der Mindesthaltbarkeit erreicht wurde.
- Jeder österreichische Haushalt wirft pro Jahr durchschnittlich Lebensmittel im Wert von 300 bis 400 Euro weg.
- Häufig ist der Einkauf von Nahrung schlecht geplant. Viele wissen auch nicht, dass „abgelaufene“ Nahrungsmittel meist noch ein paar Tage gegessen werden können, ohne gesundheitliche Schäden zu verursachen. Die schon teuer produzierten Lebensmittel müssen auch teuer wieder entsorgt werden.
Erschienen in „Welt der Frau“ 7_8/14 – von Christine Haiden
Illustration: www.margit-krammer.at