Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Wo bleibt das fliehende Pferd?

Wo bleibt das fliehende Pferd?

In diesem Roman gibt es keinen Martin Walser und kein fliehendes Pferd, ich wünschte es mir als Symbol, aber es kam nicht. Wohl aber gab es eine Katze, wohl aber gab es zwei gegensätzliche Paare, viel Verschwiegenes und Verlogenes und all das sehr nah an den politischen Verhältnissen/Zuständen in Deutschland.

Zwei Paare wollen sich treffen, gleich auf der ersten Seite: „Knut und Janina kommen um fünf.“ Ja, und Britta, die perfekte Managerin hat natürlich mit Henry, dem Putzmann aus Laos, ein wirklich sauberes Umfeld. Henry ist noch nicht ganz perfekt im Fensterputzen, aber sonst stimmt alles, bis auf den Sushi-Reis, der einfach zu wenig klebrig ist. Richard, der Banker und Britta-Gemahl, gibt sich wirklich Mühe. Jetzt könnte man weiterdenken, zwei Paare in Streit geraten lassen, Partnertausch nach Sushi-Genuss skizzieren, doch nein, da passiert gar nichts. Aber natürlich hält die vielfach ausgezeichnete Autorin den Spiegel schon parat, so schreibt sie es ja auch hin „Da. So seid ihr.“

Ja, berechnend, oberflächlich, alles blitzeblank und die Geschäftsidee ist auch top. Das befreundete Ehepaar könnte aus einer WG kommen, weltfremd wird es gezeichnet, verträumt, irgendwie auch unglücklich. Mit Unglücklichen kennt sich Britta nämlich aus. Wir lesen uns hier ins Jahr 2025, die Besorgte-Bürger-Bewegung (BBB) ist an der Macht, das Land wird von Regula Freyer, der Bundeskanzlerin, regiert: Ja, klar, Merkel kommt auch vor, aber als Gescheiterte, als die, die zum Rücktritt gezwungen wurde. Dazwischen also das Treffen der beiden Paare, beinahe prüde-langweilig, wäre da nicht Brittas Unternehmen! Das Geschäft mit Selbstmördern floriert, denn Britta hat zwei Gedanken verbunden: Da wollen sich sehr viele Menschen umbringen und dort brauchen Organisationen Selbstmordattentäter. „Die Brücke“ ist der Unternehmensname, Britta ist ein Ausbund an Skrupellosigkeit, Babak, ihr Geschäftspartner weiß, wie das Umleiten der Selbstmordabsichten funktioniert, schließlich wollte er sich ja auch vor Jahren suizidieren. Der Erfolg scheint garantiert, das Gewissen ist beruhigt, die Ehe funktioniert, das Kind ist angepasst.

„Neulich nach der Schule hat Vera gefragt, ob der liebe Gott eine Figur von Star Wars sei, und irgendwie hat Britta Stolz den Atheismus ihrer Tochter verspürt. Aber jetzt beginnt sie zu beten. Falls da oben wirklich einer sitzt, lacht er sich vermutlich gerade halb tot über sie. Wie sie sich abstrampelt, mit fliegendem Atem und Schweiß auf der Stirn. Wie sie einen Gott anfleht, den es ihrer eigenen Meinung nach gar nicht gibt. (S. 228)“

Babak und Britta steuern die Menschen, die sich mit ihren Selbstmordgedanken an sie wenden; Babaks Nähe zu Julietta, einer „Klientin“ des Unternehmens ist ein Risiko. Vertreter der BBB werden Opfer eines Selbstmordattentats und Julietta mit Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin verglichen: Babak weint, Britta rechnet. Das befreundete Paar, Knut und Janina, beobachten Britta, die ihre Praxis aufgibt und verstehen nicht, mit wem sie sich da eingelassen haben.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen: Dystopien mit Alkohol und klebrigem Sushi-Reis, vorgespielte Normalität, Hang zum Untergang, glatte Flächen und vorzeigbares Leben unmittelbar vor Abgründen, Naivität, Ironie, Zustände, die bald Realität werden, das Bild einer gespalteten, manipulierten sowie manipulierbaren Gesellschaft.

Die Autorin, 1974 in Bonn geboren, ist studierte Juristin; bereits ihr Romandebüt „Adler und Engel“ wird zum Welterfolg; Preise, Stipendien folgen, mit Gesellschaftsromanen wie „Unterleuten“ führt sie ein Jahr lang die Bestsellerlisten an. Nicht immer stimmt die Kritik in diese Lobgesänge ein.

 

Julie Zeh:
Leere Herzen.
Roman.
München: Luchterhand 2017.
347 Seiten.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 04.04.2018
  • Drucken