Also, damit Sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Leichte Kost liest sich anders. Aber dafür gibt es ja auch die anderen Bücher, die so flott aufgemacht sind, dass man gleich nach dem Klappentext schon fertig damit ist. Das ist der vorliegende Band nicht: Aber niemand, nein, wirklich niemand, wird sich für das Thema interessieren und erwarten, dass ein lockeres Sachbuch-Dings-Da vor ihr und ihm liegt. Ich bin schlauer geworden beim Lesen, habe Anregungen gefunden, die ich in Seminare mitnehme: Mein Ehrgeiz, dieses Buch unter die Leute zu bringen, ist geweckt.
Kaum eine Schlagzeile kommt ohne das Nomen „Konflikt“ aus: Konflikte in bzw. im, Konflikte mit und Konflikt um – das sind die begleitenden Präpositionen. Warum nur meint man, dass „Konflikt“ negativ besetzt werden muss? Wilfried Graf und Werner Wintersteiner beziehen sich in ihrem Beitrag auf Ralf Dahrendorf, der „Konflikt als ein Grundmerkmal jeder Gesellschaft definiert und ihn auch als treibende Kraft gesellschaftlichen Fortschritts begreift.“ (S .64)
Gertraud Diendorfer und Johanna Urban widmen sich in ihrem Beitrag zum Thema „Politische Bildung“ (S. 124 – S. 179) historischen und aktuellen Gegebenheiten. Es tut gut, hier den Transformationsprozess nachzulesen, den die Politische Bildung in den vergangenen 100 Jahren durchlief. Vielleicht werde ich doch einsichter und nachsichtiger mit mir und den jungen Menschen, wenn sie sich starke Männer in der Politik wünschen, die jung und smart sein müssen. Schöner kann man es doch nicht formulieren als die beiden: „Zweite Republik: Von der Staatsbürgerschaftskunde zur Politischen Bildung“. (S. 130)
Für die Entwicklung der Politischen Bildung in der Nachkriegszeit Österreichs kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Bildung mündiger BürgerInnen nicht zu den Prioritäten der regierenden Parteien gehörte, vielmehr wurde auf die Kultivierung eines Österreichbewusstseins Wert gelegt. (S. 131)
Seit 2008 ist das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre gesenkt worden, das hatte Auswirkungen auf die Konzepte und das Wording der Politischen Bildung – „Entscheidend bist du!“. Dass Einwanderungsgesellschaften zur Herausforderung der Politischen Bildungen wurden bzw. ständig werden, kann hier ebenfalls nachgelesen werden. Wie also lassen sich Mehrfachidenitäten begreifen, wie kann man ihnen Rechnung tragen? Das Konzept des „global citizen“ und der „global Citizenship Education“ ist hilfreich für alle, die über Tellerränder schauen wollen bzw. können: Wer versteht sich als WeltbürgerIn, respektiert Diversität, übernimmt Verantwortung für das eigene Tun? Achtung, jetzt kommt ein harter Bruch in meinem Text zu Anton Pelinkas Beitrag „Populismus“, den er schlechthin als anti-kosmopolitisch bezeichnet.
In der zeitgenössischen Demokratie ist keine Partei, die Erfolg hat oder haben will, frei von populistischen Schattierungen. Das ist die Folge des Wettbewerbs um Wählerstimmen, die unvermeidlich zu bestimmten inhaltlichen Vereinfachungen und emotionalen Mobilisierungen führt. (Pelinka, S. 322)
Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Orientierung, Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs, Auffrischung des eigenen Wissens, Horizonterweiterung, Beweis, wie wichtig die Gesellschaftswissenschaften sind, Grundlagenwissen, noch einmal Erklärungen zum Konzept der Demokratie – und, ganz subjektiv, wer Pelinkas Beitrag über „Populismus“ liest, erspart sich gleich drei Diskussionsrunden im Fernsehen, kann sich ab dann fundiert über Populisten aufregen bzw. sie als Teil des Systems sehen. Vom Mögen redet hier keiner!
Alles über die AutorInnen bzw. HerausgeberInnen finden Sie ab Seite 391. Die möchte ich am liebsten alle kennenlernen.
Gertraud Diendorfer/Blanka Bellak/Anton Pelinka/Werner Wintersteiner (Hrsg.):
Friedensforschung – Konfliktforschung – Demokratieforschung.
Ein Handbuch.
Wien u. a.: Böhlau 2016.