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03/24

Wir sind eine helle Familie

Wir sind eine helle Familie

Ellen hat ihrem Vater den Tod gewünscht. Jetzt ist er gestorben und die 11-Jährige fühlt sich schuldig. Dabei wollte sie doch Ruhe, keinen mehr im Haus, der das Gas am Herd aufdreht, sie alle bedroht, dann mit Liebe einlullt, der die Mutter weinen und den Bruder traurig macht. Ellen verstummt, sie spricht nicht mehr, schreibt nicht mehr und beobachtet umso schärfer. Der Bruder zieht sich in sein Zimmer zurück, hört Musik und pinkelt in Flaschen, er will möglichst selten aus seinem Rückzugsgebiet raus. Die Mutter, eine begeisterte wie begnadete Schauspielerin gibt sich Mühe, weint leise und kocht mit Leidenschaft: Ellen schaut zu, isst wenig und weiß nicht, wie sie mit ihrer Schuld leben soll. Auch setzt sich Vater in ihren Gedanken und Träumen noch immer zu ihr ins Zimmer, ein guter Vater war er ja manchmal auch.

„Eines war jedoch ganz sicher: Seit Papas Tod lebten wir in einer Art Seligkeit. Wie konnten wir solches Glück haben? Es kam mir so vor, als hätte uns der Fuß eines Riesen die ganze Zeit heruntergedrückt und sich nun plötzlich zurückgezogen. Vielleicht war ich deshalb früher so gern im Theater gewesen. Dort galt die Kunst, und Mama hätte alles Nötige unternommen, um ihn daran zu hindern, die Vorstellung zu stören. Nicht einmal Papa konnte die große Bühne betreten und Mama mitnehmen. (S. 137)“

Unbeschwert soll eine Familie sein, das ist die Maxime der Mutter, die daheim Schauspielunterricht gibt und ihre beiden Kinder mit Liebe umsorgt: Sie will wieder Helligkeit ins schöne Haus bringen. Wie lustig war es da doch einst, sie pfiff auf Schrammen im Parkett, sollten die Kinder ihren Spaß haben und toben dürfen. Dann trennten sich die Eltern, dann wurde Vater sonderbar, unberechenbar: Die Ausgelassenheit und Großzügigkeit der Eltern – damals, als alles noch gut und hell war – hängt noch über den Bewohnern, lässt sie auf Besserung ihrer Stimmung hoffen.

Da bringt der Bruder seine Freundin mit, räumt seine Pinkel-Flaschen weg, die Mutter kocht groß auf, ja, Nachtisch gibt es auch und dazu muss auch Ellen kommen. Wunderschön auch die Szene, in der die Mutter das Schweigen ihrer Tochter gegenüber dem Bürokraten – Schulleiter heißt das genau – verteidigt und die beiden danach einen wohligen Tag mit sehr viel Essen verbringen. Ellen kommt langsam zurück, schreibt kurze Bemerkungen in das Tagebuch, das ihr die Mutter geschenkt hat.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie dieses Buch nicht lesen: Weltsicht aus Kinderaugen, Einsamkeit, Innenleben eines kleinen Mädchens, Familientragödien, Warmherzigkeit und Liebe, die sich auch in der Zubereitung der Mahlzeiten ausdrückt, Psychogramm einer Familie, die gegen das Dunkel kämpft, starke Figuren.

Die Autorin ist 1972 geboren, schreibt Romane, Gedichte und Erzählungen; laut aktueller Home-Stories lebt sie mit ihren vier Kindern in Ystad. Ihre Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt und ausgezeichnet.

Verena Reichel wuchs zweisprachig in Süddeutschland und Stockholm auf, lebt jetzt in München und übersetzt Romane, Lyrik und Theaterstücke u. v. von Ingmar Berman, Lars Gustafsson und Henning Mankell. Für ihre Übersetzungen erhielt sie zahlreiche wie namhafte Auszeichnungen.

Linda Boström Knausgard:

Willkommen in Amerika.

Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.

Schöffling & Co 2017.

140 Seiten.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 25.10.2017
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