„Wie siehst du dich selbst in zwei Jahren?“ Eigentlich sollte diese Frage lediglich ein Lebensgefühl von Volksschulkindern einfangen. Doch was dabei zutage trat, erstaunte die Wissenschaftler.
Sie sollten zeichnen, wie sie sich selbst in zwei Jahren sehen. Das war die Aufgabe, die ein wissenschaftliches Team einer Gruppe von Buben und Mädchen stellte. Die gezeichneten Antworten der Volksschulkinder unterschieden sich klar nach Geschlecht. Während sich acht- bis elfjährige Buben selbst künftig körperlich unverändert sahen, erwarteten gleichaltrige Mädchen in Bälde ein Leben in kurzen Röcken, mit geschminkten Gesichtern und sexy Körpern.
Der Hauptgrund hierfür sind die Frauenfiguren, die im Fernsehen und im Internet zu sehen sind. Auch wenn sich Frauen in der Gesellschaft eine immer größere Bandbreite von Lebens-, Berufs- und Ausdrucksmöglichkeiten erarbeiten, in Film, TV und Social Media herrscht oft eine gegenläufige Tendenz vor.
„Dadurch, dass über Inhalte und Bilder im Internet nicht RedakteurInnen Entscheidungen treffen, sondern rein der Markt dominiert und Kommerz und Konsum die Definitionsmacht übernehmen, sehen wir dort vornehmlich die Influencerinnen, die sich ausschließlich über Beauty, Lifestyle und Reisen definieren“, sagt Maya Götz. Die Medienwissenschaftlerin und Medienpädagogin ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk und analysiert seit Jahrzehnten die Entwicklungen im Bewegtbild-Markt.
„Sobald sich diese Influencerinnen ein bisschen politisch engagieren, sich kritisch zu etwas äußern, ziehen die großen Drogerieketten die Werbeverträge zurück. Daher sehen wir dort lauter junge Frauen, die sich zu Hause inszenieren, gerne als Mutter, mit erfüllter Beziehung.“ Welche Beautyprodukte kaufe ich, wie frisiere ich meine Haare, wie habe ich eine lustige Beziehung mit meinem Partner – darin erschöpft sich das gezeigte Frausein. „Das ist ein deutlicher Rückschritt, da waren wir schon einmal weiter“, sagt Götz. Anders als nur als „sexy Hausmütterchen“ hätten Männer viele Möglichkeiten, sich im Netz zu inszenieren und zu finanzieren: über Gaming, Politik, Comedy.
Wer immer Idealbilder von sich sieht, kann mit dem eigenen Körper nicht zufrieden sein. Machen Medienbilder Mädchen krank?
Dünner, als die Natur ermöglicht
Insgesamt zeigt die Forschung seit Jahren, dass auch im TV viel seltener Frauen in Hauptrollen zu sehen sind als Männer. Wenn sie einen Auftritt haben, so sind es vor allem junge Frauen, die ins Bild gerückt werden. Frauen, die älter sind als 50 Jahre, kommen sehr wenig vor, Frauen über 65 gar nur in Ausnahmefällen.
Eines haben die gezeigten Frauen gemeinsam: Sie entsprechen dem klassischen Schönheits-Stereotyp. „Normale Variationsformen von Nasen sehen wir nicht, ebenso wenig normale Variationsformen von Körpern“, sagt Götz. Die Abweichungen von der Realität beginnen schon im Kinderfernsehen: „Man kann nachweisen, dass im Zeichentrickbereich 50 Prozent der Figuren, die einen weiblichen Körper darstellen, dünner sind, als es überhaupt möglich wäre. Viele Figuren, vor allem im Zeichentrick-Manga-Bereich, sind hypersexualisiert, haben viel zu lange Beine oder – wie die Figuren in ,Winx Club‘ – Taillen, in die nachweislich kein Gedärm und kein Organ reinpassen würde.“
Der Einfluss von Germany’s next Topmodel auf Mädchen
Mädchen wachsen also schon mit einem falschen Körperbild auf, durch Castingshows wie „Germany’s next Topmodel“ werde das noch einmal verstärkt. „Diese Sendung hat zu einer Steigerung des Unwohlseins hinsichtlich des eigenen Körpers geführt“, konstatiert Götz, die fünf Studien über die Castingshow durchgeführt hat: „Schon als die sechste Staffel lief, war – laut Erhebungen – der Anteil der Mädchen in der Bevölkerung, die sich zu dick fühlten, um 20 Prozent gestiegen.“ Denn abgesehen vom Körperbild stellt diese Show die Selbstinszenierung in den Vordergrund. „Es wird der professionelle Blick auf den weiblichen Körper geschult – wie läuft die Kandidatin, wie präsentiert sie sich?“ In weiterer Folge unterziehen die Mädchen dann auch ihr eigenes Spiegelbild dieser kritischen Betrachtung.
„Mädchen lernen: Du musst immer perfekt sein, und zwar in allen Bereichen.“
Auch einmal scheitern dürfen
„In der Pubertät schicken wir die Mädchen in eine Krise“, sagt Götz. Denn die Empfindung ‚Ich sehe nicht gut aus‘ oder ‚Mein Körper genügt nicht‘ wiege schwerer, als nicht gut in der Schule zu sein oder zu wenige Freundinnen zu haben.
Auch charakterlich gibt die im Kinderfernsehen gezeigte Weiblichkeit einiges vor: Als sogenannte „Add-On“-Figuren, also Zusatzfiguren, oder Superfrauen können Mädchen alles: Sie sind leistungsstark, passen sich an alles an, lediglich wenn sie sich verlieben, können sie ein bisschen dümmlich werden.
„An und für sich sind starke Identifikationsfiguren auch gut, und Mädchen suchen solche Vorbilder“, sagt Götz. Ein Problem trete dann auf, wenn Mädchen in der Realität eben nicht immer nur stark und kompetent seien. Dann fehlten ihnen Figuren, die Erwartungen unterlaufen und auch lustvoll scheitern dürfen, Figuren, wie es für Jungen etwa Bart Simpson oder Spongebob sein können. „Mädchen lernen: Du musst immer perfekt sein, und zwar in allen Bereichen. Sie sind getrieben, wollen alles richtig machen. Das ist natürlich sehr leistungsfördernd, und damit sind sie angepasster für die Schule.“
Streaming als Chance
Ein erster Schritt, mit dieser Problematik umzugehen, sei das Bewusstmachen, sagt Götz: „Wie sehr uns das prägt, wenn wir in den Nachrichten stets männliche Experten sehen, es unser Bild von Wissenschaft prägt, unser Bild davon, wer in unserer Gesellschaft etwas zu sagen hat.
Natürlich haben Frauen genauso viel zur Gestaltung der Welt zu sagen, aber wir haben uns daran gewöhnt, bei Frauen darauf zu schauen: Was hat sie an, wie sieht sie aus?“ Auch die Streamingdienste könnten durchaus eine Chance sein. „Durch die größeren finanziellen Ressourcen entsteht dort eine größere Bandbreite an Frauenfiguren mit mehr Tiefe, es werden Nischen eröffnet, die es so im bisherigen, sehr patriarchal geprägten System nicht gegeben hätte.“
Kleine Fragen, große Erkenntnisse
Es sind nur drei Fragen:
Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?
Sprechen diese Frauen miteinander?
Und sprechen sie über etwas anderes als über einen Mann?
Als sogenannter „Bechdel-Test“ führt der von seiner Erfinderin Alison Bechdel eigentlich als Scherz entwickelte Fragenkatalog seit Jahren zu erschreckenden Ergebnissen. Jahre, in denen rund die Hälfte der veröffentlichen Blockbuster bei diesem Test durchfallen, sind keine Seltenheit, selbst Kinoepen wie die „Herr der Ringe“-Trilogie bestehen ihn nicht.
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