Im niederösterreichischen Gänserndorf gibt es einen Biobauernhof der besonderen Art. Hier wird nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltig gewirtschaftet. Das Ziel: Langzeitarbeitslose wieder ins Berufsleben zu integrieren. Ein Besuch.
Elmas Hände sind rau, rissig, dreckig. Sie hat schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Es sind die Hände einer Gärtnerin. Dabei ist sie erst seit einem Monat hier.
Samenkorn für Samenkorn steckt sie in die mit Erde gefüllten Anzuchttöpfchen. Biopaprika sollen einmal aus diesen Samen werden, die Töpfchen sind mit kleinen Schildern versehen, auf denen die Sortenbezeichnung notiert ist. Elma trägt die Töpfe in eine Dunkelkammer, in der es angenehm nach Erde riecht, die Luft ist – anders als in der Kühle des Glashauses – feucht und warm. Später werden die Setzlinge in eines der großen Beete verpflanzt. Täglich müssen sie dann gegossen werden, ihr Wachstum will genau beobachtet werden.
Bevor sie hier angefangen hat, wusste Elma wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht, wie viele Handgriffe, wie viele minutiöse Arbeitsschritte nötig sind, um Gemüse, Kräuter und Blumen zu produzieren. Wie viele kannte sie Pflanzen nur aus dem Supermarkt und in Plastik verpackt. Eine Kollegin ruft ins Gewächshaus: „Elli, willst du einen Kaffee?“ Obwohl sich die meisten erst seit einigen Tagen oder Wochen kennen, herrscht im ganzen Betrieb eine vertraute, warmherzige Atmosphäre.
MIT EIGENEN HÄNDEN
Elma ist 31 und war fünf Jahre lang arbeitslos, bevor sie das Gärtnern für sich entdeckte. Und wenn man ihr zuhört, klingt es nach einem Glücksgriff. Wie sie von dem Projekt erfahren hat, weiß sie selbst nicht mehr. Die Idee, es einmal hier zu probieren, stammte jedenfalls nicht – wie bei vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen – vom Arbeitsmarktservice (AMS). Ja, es stimmt, nicht wenige landen hier eher unfreiwillig.
Ganz anders bei Elma. „Es war meine eigene Idee. Ich muss es durch Zufall irgendwo aufgeschnappt haben“, sagt sie strahlend. Dass es hier, in Gänserndorf, einer niederösterreichischen Kleinstadt am Rand des Wiener S-Bahn-Netzes, ein Projekt gibt, das den unauffälligen Namen „WUK Biopflanzen – Soziale Landwirtschaft“ trägt und Langzeitarbeitslosen eine Chance bietet, eine Perspektive. Und das etwas ermöglicht, wovon heute viele Menschen träumen: draußen, im Freien zu arbeiten, mit den eigenen Händen, körperlich aktiv zu sein, statt am Schreibtisch zu sitzen oder hinter einer Ladentheke zu stehen.
Der Gedanke hat auch Elma gefallen. An ihrem ersten Tag hier hat sich die gelernte Verkäuferin trotzdem überfordert gefühlt. „Ich hatte vorher noch nie Erde angefasst“, erinnert sie sich lachend. Elma, die früh Mutter geworden ist und heute schon einen 13-jährigen Sohn hat, trägt ihre langen Haare schwarz gefärbt, ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt, ihre ungewöhnlichen, bernsteinfarbenen Augen hat sie dunkel umrandet. Bei jedem Satz, den sie sagt, spürt man die Mischung aus alter Unsicherheit und neu gewonnenem Selbstvertrauen. Was ihr hier am besten gefällt: „Niemand sagt: ,Nein, das kannst du nicht, du bist eine Frau.‘“
Sozialarbeiterin Ursula Königer rief „WUK Biopflanzen – Soziale Landwirtschaft“ 2009 ins Leben, um Langzeitarbeitslosen eine Chance am Arbeitsmarkt zu bieten.
CHANCEN NÜTZEN
Keinen Moment habe sie gezögert, als ihr vor Kurzem von den Leiterinnen des Projekts angeboten wurde, in einem nahe gelegenen Waldstück einen Motorsägekurs zu machen. „Das bin ich“, sagt sie, als könne sie es selbst nicht ganz glauben, und zeigt ein Video auf ihrem Handydisplay, auf dem eine in dicke Kleidung vermummte Gestalt zu sehen ist, die mit einer überdimensional wirkenden elektrischen Säge einen dicken Baum fällt. Die Haut ihrer Oberschenkel sei danach voller blauer und grüner Flecken gewesen, erzählt sie, glücklich, dass sie so etwas erlebt hat. Von der euphorischen Stimmung, die dem Fällen des Baumes folgte, zehrt sie noch heute. Trotzdem fühlt sie sich noch manchmal unsicher. Sie will die Chance nutzen, unbedingt alles richtig machen. Wenn sie Fragen hat, nicht mehr weiterweiß, ruft sie Eva Oswald an. Diese ist Gartengestalterin und eine der wenigen Fixangestellten hier. Sie hilft den Langzeitarbeitslosen, die hier ein bis zwölf Monate arbeiten, in allen fachlichen, gärtnerischen Fragen.
NOCH NIE ZUVOR GELOBT
In der Regel arbeiten hier am Gänserndorfer Biobauernhof 25 bis 30 Menschen im Alter zwischen Anfang 20 und Ende 60, mit den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen und Lebensgeschichten. Kein einfacher Job für die Vorgesetzten. Trotzdem strahlt Eva Oswald, als sie sagt: „Motivieren macht mir einfach Spaß.“ Für viele der „Transitarbeitskräfte“ ist der Job in der Biolandwirtschaft der erste, in dem sie positive Erfahrungen machen.
So erging es auch Andrea. Sie sei noch nie zuvor gelobt worden, soll ihre Chefin später erzählen. Sie ist schon seit einem Jahr hier, wurde direkt nach ihrem Probemonat verlängert. Die 25-Jährige sagt selbst: „Ich habe bisher noch nie ein Praktikum gemacht, bei dem mir jemand wirklich gut erklärt hat, was ich tun soll.“
Für Elma ist der Job als Gärtnerin ein Glücksgriff. Die gelernte Verkäuferin fühlt sich wohl, zuvor fand sie fünf Jahre lang keine Beschäftigung.
ES EINFACH PROBIEREN
Der erste Tag sei schlimm gewesen, der Gedanke „Ich kann das nicht“ war übergroß. Auch bei ihr dominiert die Angst, etwas falsch zu machen. „Aber hier steckt meine Chefin einfach einen Finger in den Topf mit Erde und sagt dann wertfrei, ob es passt. Wenn nicht, mach ich es halt noch einmal. Aber ,wertfrei‘ ist wichtig für mich.“ Es gefällt Andrea, dass sie hier viel lernt, ohne Druck und mit viel Verständnis. Und dann sagt sie noch einen starken Satz: „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich keine Selbstzweifel habe.“ Ein Problem mit körperlicher Arbeit dürfe man hier aber nicht haben. Es ist kalt und ungemütlich draußen. Die gelben Gartenschläuche kann man gerade nicht zum Gießen verwenden, dafür ist es zu frostig. Andrea und ihre Kolleginnen füllen unzählige Gießkannen mit Wasser und schieben sie mit der Scheibtruhe in die Gewächshäuser.
„WUK Biopflanzen“ produziert Kräuter, Gemüse und Blumen. Verkauft wird einmal wöchentlich – und zwar freitags – im Wiener WUK (Werkstätten- und Kulturhaus), auf Pflanzenmärkten und direkt in Gänserndorf durch den „Genussbus“ (Termine auf „genussbus.at“). Außerdem liefert das soziale Unternehmen Pflanzen und Blumen für die kommunalen Grünflächen und Friedhöfe und kümmert sich in den nahe gelegenen Wäldern um Naturschutz und Aufforstung.
Die Vision: Eine Verbindung aus sinnstiftender Arbeit und biologischer Landwirtschaft.
Die Idee zu dem ambitionierten Projekt stammt von Sozialarbeiterin Ursula Königer, die es 2009 mit einer Kollegin startete und bis heute leitet. Die Vision: Eine Verbindung aus sinnstiftender Arbeit für Langzeitarbeitslose und nachhaltiger, biologischer Landwirtschaft. Sie fand eine verlassene Kräutergärtnerei am Rand von Gänserndorf und überzeugte das WUK, das marode Gelände zu pachten. Stolz zeigt Ursula Königer Fotos aus der Zeit der Übernahme: Die Scheiben der Glashäuser sind zerborsten, überall liegen Haufen von Plastikkübeln und anderer Schrott, das Gelände ist zugewuchert. Man kann sich gut vorstellen, was für ein Mammutprojekt es gewesen sein muss, all das neu zu beleben. Königer berichtet vom schwierigen Start, den bürokratischen Hürden, dem Unverständnis der konventionellen Bauern in der Nachbarschaft. Auch die Wirtschaftskammer hatte Bedenken: Was, wenn die Gehälter zu hoch sind, der Hof zu viel Umsatz macht und so den Wettbewerb verzerrt?
SCHWIERIGER START
Doch Ursula Königer erzählt von diesen Anfangsschwierigkeiten mit solch einer Nonchalance, dass man spürt: Sie hat keinen Moment gezweifelt, dass ihr Projekt Früchte tragen wird. Die Sozialarbeiterin mit der lila Haarsträhne, die ihr immer wieder vor die fast türkis leuchtenden Augen fällt, hat eine so positive Ausstrahlung, dass man sich gut vorstellen kann, wie sie andere Menschen mitreißt. Doch leicht ist es nicht. Da gibt es jene MitarbeiterInnen, die vom AMS hergeschickt werden und denen es nicht liegt, körperlich zu arbeiten oder sich die Hände schmutzig zu machen. Die bleiben in der Regel nicht lange. Andere sind schon so lange arbeitslos, dass es ihnen schwerfällt, wieder in der festen Struktur eines Arbeitsplatzes zu funktionieren und „wieder in die Gänge zu kommen“, wie es Ursula Königer formuliert.
KLAR FÜR NEUES
Einen Monat Probezeit gibt es, danach kann auf sechs oder zwölf Monate verlängert werden. Was klar ist: Das harte Arbeitsleben ist hiervon noch weit entfernt. „WUK Biopflanzen“ ist ein geschützter Raum, in dem Menschen wieder Selbstvertrauen und Perspektiven finden sollen. Denn gewinnbringend arbeiten muss das Unternehmen nicht, finanziert wird es zum größten Teil vom AMS. Nur die restlichen 20 Prozent des Jahresumsatzes müssen selbst erwirtschaftet werden. Ein Gewinn ist es jedenfalls für Elma. Was nach dem Transitarbeitsplatz kommt, weiß sie noch nicht. „Alles ist offen“, sagt sie. Aber sie hat viel darüber erfahren, was sie interessiert und welche Talente in ihr schlummern.
Erschienen in „Welt der Frauen“ 03/19