Im September stehen Neuwahlen an. Sie sind die Chance, dem Land zu neuen Prioritäten zu verhelfen.
Emotionsübertragung gibt es auch bei Raben, habe ich kürzlich gelernt. Einfacher gesagt: Wenn ein Rabe frustriert ist, weil er beispielsweise kein gutes Futter gefunden hat, überträgt sich das auf seine Artgenossen. Sie haben dann ebenfalls schlechte Laune und senken ihre Erwartung, dass sie nun gutes Futter finden könnten. Warum ich das erzähle? Weil wir Menschen offenbar auch so funktionieren. Wer ständig hört, dass einem die anderen was wegnehmen wollen oder schon weggenommen haben, ist frustriert. Und die Umgebenden lassen sich davon anstecken. In den vergangenen Jahren scheint sich dieser Mechanismus in Österreich verselbstständigt zu haben. Als Frustverursacher wurden lautstark Menschen identifiziert, die uns angeblich wegnehmen wollen, was wir uns hart erarbeitet haben. Viele sympathisierten daraufhin mit Mandataren mit einem Hang zum „Hau drauf“, was die Stimmung nicht verbesserte. Ganz im Gegenteil. Im Gefolge der nach einer Mittelmeerinsel benannten Affäre ist nun alles anders. Wir wählen das Parlament neu. Wen wir wählen, hängt natürlich von vielen Faktoren ab, von persönlicher Weltanschauung, von den KandidatInnen, die zur Wahl stehen, und von Themen, die man für wichtig hält. Ich werde als ein Kriterium anlegen, wer dazu beiträgt, Österreich wieder zu einem freundlicheren Ort zu machen. Im Sinne der Raben gesprochen: Wer mich mit Optimismus anstecken kann und nicht mit Griesgrämigkeit. Damit es Grund zu Optimismus gibt, sollten ein paar Dinge gewährleistet sein: erstens die Zuversicht, dass es kein Problem gibt, das sich nicht lösen lässt. Zweitens das Bewusstsein, dass niemand allein die Welt verbessern kann, sondern nur alle gemeinsam. Drittens die Erkenntnis, dass wir unsere Welt nachhaltig vor uns selbst schützen müssen, und zwar um der nächsten Generationen willen. Viertens sollten wir übereinstimmen, dass ein gutes Leben für alle das Ziel sein muss und daher fünftens eine Änderung unseres Lebensstiles und unserer Art zu wirtschaften unabdingbar sein wird. Sechstens braucht es seriöse Personen, die wir wählen können, und siebtens wünsche ich mir Humor und Heiterkeit, wenn einmal etwas schiefgeht. Wir sind alle nur Menschen, Gott sei Dank. Wie in jeder persönlichen Lebensgeschichte ist es auch als Republik gut, auf das zu sehen, was an Ressourcen bereits da ist, um die nächsten Schritte der Veränderung zu gehen. Wir haben sehr gut gelernt, wie man wirtschaftet, wie man dabei auch für sozialen Ausgleich sorgt, wir haben viele Institutionen, die Stabilität und Sicherheit garantieren. Dazu kommen jede Menge junge Menschen, die neugierig in die Welt aufbrechen, und Ältere, die gerne noch ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten. Wir können Kompromisse schließen und wir haben sogar die Rettungsgasse schon fast hinbekommen. Ich wünsche mir ein Land, in dem möglichst viele in ganz unterschiedlichen Bereichen mitmachen. Wer nicht gefragt und nicht gebraucht wird, dem geht es wie den frustrierten Raben. Und wer nicht entsprechend seines Beitrages gewürdigt wird, ob finanziell oder mit Ehre, der macht auch ein finsteres Gesicht. Wenn wir ein freundliches Land werden wollen, fängt das bei Höflichkeit und Respekt an. Ein freundliches „Guten Morgen“, das wäre ein Anfang, egal, wen wir gerade treffen. „Wie geht’s?“ – „Wenn ich dich sehe, gut!“ So stelle ich mir das vor. „Aber“, werden Sie jetzt fragen, „was hat das mit den Wahlen zu tun?“ Nun, es ist wie bei den Raben. Diejenigen, die wir wählen, werden wir in Zukunft immer wieder sehen und hören. Die VolksvertreterInnen sind sozusagen die Leitvögel, die uns mit ihrer Mimik, ihrer Stimme, ihrem Ton Emotionen übertragen werden. Ich wünsche mir freundliche Gesichter, optimistische Töne und – im Bild der Raben – genug Futter für alle. Ja, und noch was: Die Gesichter dürfen mindestens zur Hälfte weiblich sein.
Christine Haiden wünscht sich nach den nächsten Wahlen in Österreich eine bessere Stimmung.
Neuwahl im September
Am 29. September 2019 wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Die Neuwahl war nach der Aufkündigung der Koalition von ÖVP und FPÖ im Mai 2019 notwendig geworden. Auslöser war die sogenannte „Ibiza-Affäre“. Der damalige Vorsitzende der FPÖ musste zurücktreten, weil der Verdacht von illegaler Parteienfinanzierung und der Korruptionsbereitschaft sowie der autoritären Machtausübung gegenüber Medien im Raum stand. Nach einer Nationalratswahl wird üblicherweise die stimmenstärkste Partei mit der Bildung einer Regierung betraut. In der Zweiten Republik gab es bisher neunmal eine ÖVP/SPÖ-Regierung und genauso oft eine SPÖ/ÖVP-Regierung. Einmal hat die ÖVP allein regiert, viermal die SPÖ allein. Die SPÖ hat zweimal mit der FPÖ koaliert, die ÖVP dreimal. Die ersten beiden Regierungen nach 1945 waren unter Führung der ÖVP mit der SPÖ und mit der KPÖ gebildet. Alle übrigen Parteien waren noch nie in einer Regierung vertreten. Mit Brigitte Bierlein gibt es erstmals eine Bundeskanzlerin. Susanne Riess-Passer (FPÖ) war 2000 bis 2003 Vizekanzlerin.
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Erschienen in „Welt der Frauen“ Juli/August 2019
Illustration: www.margit-krammer.at