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09/24

Wie geht „christlich“ heute?

Wie geht „christlich“ heute?

Das werden heuer wieder ruhige Weihnachten. 
Nichts und niemand, der den Weihnachtsfrieden stört, 
keine obdachlose Familie, die anklopft, kein fremdes Kind 
im eigenen Haus. Alles gut, oder?

Zwei Jahre danach ist vieles anders. Wissen Sie aktuell, was in Syrien los ist? Haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen in Flüchtlingslagern im Libanon leben und wie es ihnen dort geht? Haben Sie mitbekommen, ob die 2015 gemachten Versprechen, die Hilfe für die Kriegsflüchtlinge im Nahen Osten aufzustocken, auch eingelöst wurden? Ich vermute, die Antwort auf die meisten dieser Fragen wird „Nein“ sein. Ich müsste sie zumindest für mich so geben. Denn kaum waren die Grenzen halbwegs dicht, die Asylwerbenden in Griechenland oder Italien „gebunkert“, ist das Interesse an den Notleidenden aus Kriegsgebieten rasant verschwunden.

Danke, wir haben es wieder angenehm und ruhig. In den Wahlkämpfen des vergangenen Jahres hat man noch die Bilder aus 2015 in einer Endlosschleife gespielt, um mit dem „Ausländerthema“ die Gefühle und damit das Wahlvolk zu erwischen, aber das war es auch schon. Wer redet noch von der unglaublichen Hilfsbereitschaft des Jahres 2015? Wer erinnert sich, wie offen, freundlich und wohlmeinend damals Tausende spontan ausgerückt sind, um etwas zu tun? Im Rückblick erscheint mir das wie ein kleines Zeitfenster der Menschlichkeit. Wir haben einen Moment lang demonstriert, dass wir uns in andere einfühlen können. 2015 war aus diesem Grund ein besonderes Weihnachten. Es war ganz nahe an dem, was die Geschichte erzählt, deretwegen wir Christbäume illuminieren und Geschenke verteilen.

Mittlerweile werden viele Asylwerberquartiere geschlossen. Obwohl uns die Not aus den Kriegsgebieten nicht mehr persönlich in die Augen schaut, ist das Klima gegen Fremde in Österreich so böse und hartherzig wie lange nicht. Die Helfenden aus dem Jahr 2015 werden im besten Fall als träumerische Gutmenschen beschimpft, im schlechteren verantwortlich gemacht, „kriminelles Gesindel“ ins Land geholt zu haben. Gleichzeitig beschwört man die christlichen Werte, die unsere Heimat ausmachen.

Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass man das Etikett „christlich“ erstens nur sich selbst verleiht und zweitens nur auf gängiges Brauchtum bis hin zur Folklore klebt. Christbaum, Weihnachtslieder, Geschenke und beleuchtete Rentiere auf dem Hausdach, dazu schöne Gefühle und ein reich gedeckter Gabentisch, schön war es wieder. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Wir brauchen solche Inseln der gewohnten Geborgenheit. Aber was daran ist christlich? Das Unangenehme des Jesus von Nazareth, auf den ChristInnen sich berufen, ist, dass er immer so gegen die Logik unserer vertrauten Welt ist. Wer es nicht glaubt, möge in der Bergpredigt nachlesen.

Der Text ist zu finden im Neuen Testament beim Evangelisten Matthäus­ im Kapitel 5. Dort werden die Barmherzigen, die Frieden stiften und um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, als selig gepriesen. Na danke, sagen sich die meisten. Gerecht ist doch nur, wenn ich dasselbe bekomme wie mein Nachbar, zumindest aber mehr als jeder Asylwerber. Barmherzig ist ja nett, aber die nützen uns doch nur aus. Frieden stiften, super, aber nur mit flächendeckender Überwachung und strengen Strafen. Doch dieser Jesus dreht die Schrauben noch mehr an. Ganz besondere Menschen sollen die sein, die sich auf ihn berufen. Sie sind das Salz und das Licht der Erde, indem sie die Gebote Gottes nicht wie Schriftgelehrte befolgen, sondern mit einem liebenden Herzen.

Klingt recht pathetisch, wird aber näher erklärt. Beispielsweise dass es zu wenig sei, sich nur an das Gesetz zu halten, den anderen nicht zu töten. Vielmehr sei es schon schlecht, dem anderen zu zürnen, auf Vergeltung für Kränkungen zu sinnen und sich dabei auch noch im Recht zu fühlen. Keiner solle außerdem schwören, sondern sein Ja sei ein Ja und sein Nein ein Nein. Und schließlich kommt es ganz dick: Wenn man nur die grüßt, die man mag, und nur die liebt, bei denen es leicht geht, was soll daran besonders sein? Macht das nicht jeder?

Es ist, zugegeben, ziemlich schwierig, solche Anforderungen ernst zu nehmen. Und noch schwerer, ihnen zu folgen. Ich bewundere, wer das auf sich nimmt. Scheitern ist dabei einprogrammiert. Es aber nicht einmal versuchen zu wollen, ist noch größeres Scheitern. Wir sind gerade dabei, die sogenannten christlichen Werte auf dem Altar unserer Ängstlichkeit, unseres Sicherheitsbedürfnisses und unseres fehlenden Vertrauens zu opfern. Das zeigt, wie klein wir uns fühlen. Weihnachten erinnert uns, wie groß wir gedacht sind.

Christine Haiden fragt sich, ob wir zu Ende gedacht haben, was es heißt, sich als christlich zu bezeichnen.

Christlich geht anders“

  • Im Frühjahr 2017 hat sich in Österreich die Initiative „Christlich geht anders“ konstituiert. Im Kern geht es um das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ und die Weiterentwicklung des Sozialstaates.
  • Die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe stehe im Zentrum des christlichen Glaubens. Wer auf den Nächsten vergisst, verkehre die christliche Botschaft in ihr Gegenteil.
  • Die InitiatorInnen, unter anderem kfbö-Vorsitzende Veronika Pernsteiner, berufen sich auf das Sozialwort des Ökumenischen Rates der christlichen Kirchen in Österreich und auf Papst Franziskus, der die Kirche aufseiten der Armen und Ausgegrenzten sieht.

Informationen unter:  www.christlichgehtanders.at

Was ist Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie uns!
[email protected]

Erschienen in „Welt der Frau“ 12/17

Illustration: www.margit-krammer.at

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  • Veröffentlicht: 28.12.2017
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