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04-05/24

Wie das Leben sich wendet

Wie das Leben sich wendet

Biografien sind so vielfältig wie die Menschen, die sie leben. Dabei geht selten alles wie geplant. Zwei Frauen, die schon einige Wenden gemeistert haben, im Porträt.

Der Weg als Wende

Ingeborg Berta Hofbauer fand unterwegs zu ihrer inneren Stärke

Im Leben von Ingeborg Berta Hofbauer gab es schon einige Wenden. Die meisten davon, sagt die 58-Jährige, die heute in Birkfeld lebt, seien aber äußere Wenden gewesen. Da war die Übernahme des Zimmereibetriebes der Eltern, die ganz plötzlich kam, weil ihr Vater mit dem Herzen Probleme bekam und der Bruder, der traditionsgemäß dafür vorgesehen war, den Betrieb nicht übernehmen wollte. „Ich stand plötzlich da und sollte die Firma leiten“, sagt Ingeborg Hofbauer.

Weil sie eine betriebswirtschaftliche Ausbildung hatte, krempelte sie in den nächsten Jahren alles um, führte 18 Jahre lang das Unternehmen, leistete Pionierarbeit im Bereich der Baubiologie und stellte viele Projekte wie eine jährliche Kunstausstellung in der Werkstatt auf die Beine. „Aber es war nicht meins“, sagt Hofbauer heute.

„Die Neuausrichtung des Unternehmens hat mir noch Spaß gemacht, aber nach und nach spürte ich Frust und innere Leere.“ Und auch nachdem sie das Unternehmen verlassen hatte, als Wirtschaftstrainerin international unterwegs war, blieb sie auf der Suche nach dem „Ihren“. „Ich habe immer gefühlt: Das ist es nicht.“

2007 machte sie sich auf  den Weg, ging alleine den Jakobsweg – und löste damit eine Lawine an positiven Veränderungen aus. „Ich habe mich durch das Unterwegssein innerlich total gewandelt“, sagt Ingeborg Hofbauer. „Ich bin unheimlich selbstsicher und mutig geworden. Wenn man seine Komfortzone ausdehnt, steigt der Selbstwert proportional.“

Schluss mit dem Optimierungswahn

Das Pilgern war der Beginn dessen, was Ingeborg Hofbauer ihre „innere Wendezeit“ nennt, einen „Paradigmenwechsel ihrer Wertelandschaft“. Es habe sie frei gemacht vom Selbstoptimierungswahn, der alles zu durchfluten scheine, sogar die Kinder. „Dahinter steht ein Mangeldenken. Davon konnte ich mich völlig befreien.“ Und es ließ sie nicht mehr los. Sie machte viele Wanderungen kreuz und quer durch Europa, schrieb zwei Bücher, machte die Ausbildung zur Pilgerführerin.

Der inneren folgten weitere äußere Wenden: Sie stieg als Partnerin aus ihrem damaligen Beratungsbüro aus und erfand sich auch als Coachin neu. Jetzt trainiert sie Bäuerinnen und Bauern, die ihre Höfe für neue Zwecke öffnen wollen, wie zum Beispiel für Behinderten- und Altenbetreuung. „Das sind wunderschöne Projekte. Ich möchte“, sagt Ingeborg Hofbauer, „mit meinen Fähigkeiten dazu beitragen, dass die Welt ein bisserl besser wird.“

Der Mut, Nein zu sagen

Dazu hat sie ein eigenes Wort geschöpft: „Mutkompetenz“. Dazu gehört: zu sich stehen, Nein sagen lernen, sich trauen, das Wort zu ergreifen oder die Erwartungen nicht zu erfüllen. „Es sind so viele Erwartungen an uns Frauen geknüpft.

Es wird erwartet, dass wir in jeder dieser Rollen funktionieren, die uns zugeschrieben wird, Mutter, Partnerin, Versorgerin“, sagt Ingeborg Hofbauer. „Das Mittel dagegen ist dann und wann ein Rollenbruch, zu sagen: ,Ich mache, was mir guttut. Ich bleibe jetzt hier sitzen und lese die Zeitung.‘ Oder: ,Ich breche jetzt auf und gehe meinen Weg.‘“

Ingeborg Berta Hofbauer:
Heute breche ich auf
Styria Verlag, 18,00 Euro
Seit Jahrtausenden ist der Weg ein Symbol für das Unterwegssein, für Übergänge und Neuanfang. Entlang dieser Themen begleitet dieses Büchlein die LeserInnen in 21 „Tagesetappen“ auf ihrem ganz persönlichen Pilgerweg.

Das Beste aus zwei Welten

Masomah Regl findet ihre Stärke im Geben

Masomah Regl wurde bei einem Raketenangriff in ihrem Geburtsland Afghanistan als 6-Jährige schwer verletzt. Mit acht Jahren kam sie nach Österreich. Heute betreibt sie „Fivestones“, ein Projekt für das gute Zusammenleben von MigrantInnen und Einheimischen.

Aus bitterer Armut kam sie in eines der reichsten Länder der Welt. Das war die erste von vielen Wenden, die Masomah Regl in ihren 33 Lebensjahren erlebte. Geboren wurde sie in Kabul, Afghanistan, wo ihr rechtes Bein bei einem Raketenanschlag schwer verletzt wurde. Eine Hilfsorganisation brachte die damals Sechsjährige nach Europa. Ihr Bein wurde amputiert. Nach der Operation wurde sie zurück nach Afghanistan gebracht, wo ihre Mutter und ihre vier Geschwister lebten. Sie blieb nicht lange, mit acht Jahren kam sie nach Österreich, wo sie schließlich adoptiert wurde.

Die Einzige weit und breit

„Mein Vater ist gestorben, als ich noch ein Baby war. Meine Mutter zog uns fünf Kinder alleine groß“, erzählt Masomah Regl. „Für Frauen ist das Leben in Afghanistan schwierig, ohne Mann aber noch viel schwerer. Wir waren alle unterernährt, hatten eigentlich nichts, außer unser Überleben.“ Nach wie vor leben Masomah Regls Mutter und ihre Geschwister in Kabul.

„Ich bin nach Oberösterreich gekommen, in ein kleines Dörfchen im Bezirk Ried“, sagt Masomah Regl. „Ich war die einzige Afghanin weit und breit.“ Sie sprach zwar schon Deutsch – das hatte sie in der Zeit, in der sie für die Operation hier war, gelernt –, aber jetzt lernte sie Dialekt.

Griechenland brachte die Wende

Nach der Matura arbeitete Masomah Regl als Freiwillige im Rahmen des „European Voluntary Service“ in Athen. „Griechenland war die Wende, die alles verändert hat“, sagt Masomah Regl. „Ich habe angefangen, mich selbst zu finden, Mut zu schöpfen dafür, meinen eigenen Weg zu gehen.“

Es war die Zeit, in der sie erwachsen geworden sei. „Ich lernte auch, damit klarzukommen, zwei Familien zu haben, zwei Welten in mir, damit, dass ich eine Prothese habe und erkannte, dass mir trotzdem oder gerade deshalb alle Türen der Welt offenstehen.“

Nach Griechenland zog Masomah Regl nach Graz, studierte Konferenzdolmetschen, reiste viel, arbeitete viel, lernte viel. Sie sammelte Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen, von sozialer Arbeit über das EU-Parlament bis hin zum Technikbereich. „Es war und ist mir sehr wichtig, Ängste zu überwinden und den eigenen Horizont zu erweitern.“

Fünf Bausteine

Seither ist sie auch beruflich zwischen zwei Welten hin- und hergerissen, zwischen der Karriere in erfolgreichen Unternehmen und der Arbeit im sozialen Bereich. „Verantwortung zu übernehmen für diejenigen, die nicht die Chancen hatten, die ich bekam“, das sei ein starker Drang.

Aus diesem Impuls heraus gründete sie 2018 FIVESTONES, eine Plattform für verschiedene Projekte, mit dem Ziel, das Zusammenleben von MigrantInnen und Einheimischen zu verbessern, auf junge, kreative und wirkungsvolle Weise. FIVESTONES bezieht sich auf ein Spiel, das bei afghanischen Kindern beliebt ist und viel Geschick erfordert.

„Zugleich stehen die fünf Steine für die Werte des Vereines: Toleranz, Kreativität, Empathie, Engagement und Authentizität.“ Vor Kurzem beschloss Masomah Regl, sich voll und ganz dieser Plattform zu widmen. „Ich möchte mein Wissen und meine Erfahrungen an andere Leute weitergeben, die nicht so viel Glück hatten wie ich. Ich selber brauche nicht viel. Aber ich brauche es, anderen Leuten etwas zu geben.“

Masomah Regls Plattform: fivestones.at

> Mehr zum Thema WENDEZEITEN bei unserer Veranstaltungsreihe in der Steiermark.

Nächster Termin: 23. Mai in Mürzzuschlag.

Mit der Autorin Barbara Pachl-Eberhart; Vorträgen und Expertinnen-Gesprächen rund um Pension & Vorsorge, Beruf & Gesundheit – alle Infos und Termine >hier.

 

Fotos: Gernot Muhr, Christian Jungwirth

Erschienen in „Welt der Frauen“ Sonderausgabe Steiermark 2019

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  • Veröffentlicht: 28.08.2019
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