Christin ist zwanzig, Ich-Erzählerin dieser Episoden, sitzt hinter Jan am Traktor, der ein Rehkitz erwischt, das die Maschine schlichtweg zerhäckselt. Christin, die Träumerin, die so gern Zeitschriften liest, sich für Lifestyle interessiert und jetzt hier auf dem Feld steht.
„Ich habe versucht, mir Büros vorzustellen, Strände und Cafés mit Tulpen auf den Tischen, aber überall sind nur Felder, bis zum Horizont. (S. 7)“
Christin hat es nie leicht gehabt, lebt jetzt auf dem Hof bei Jan in Schattin. Jetzt greift Jan auch noch das Ohr des Rehtkitz an, das ist voller Bakterien: Das weiß Christin, denn sie googelt sich die Welt herbei. Überhaupt liest sie viel, sie weiß auch dass die Spermien im Hoden absterben, wenn sie zu warm werden. Jan sitzt doch seit seinem vierten Lebensjahr auf dem Trecker, dessen Sitze sehr schnell sehr warm werden. Ausnahmeerscheinungen in der Ödnis stellt sogar der Wintec-Mann dar, der die Windkraftanlage warten soll. „Wintec – wir drehen uns weiter: Das wäre doch überhaupt ein Lebensmotto“, denkt Christin sehnsüchtig. Sie schuftet, kümmert sich um den Stall, notiert alles ordentlich: Milchleistung, Kraftfutter, Termine mit dem Tierarzt. Für voll wird sie auf dem Hof ja nicht genommen, sie, die immer träumt, die Sommer-Drinks mixen will und zu fremden Männer ins Auto steigt.
Jan erkennt sehr wohl, wie seltsam seine Freundin ist, warum sonst steht sie ganz allein mit dem Auto auf dem Berg? Die Aussicht will sie sicherlich nicht genießen!
Aus dem Radio dudelt der Song „Country roads take me home tot he place I belong“, Jan kümmert sich um die Kühe, auf dem Weg zu ihnen, schlägt er zu: Alles ist voller Kuhscheiße, Jan drischt weiter zu. Im Dialog mit den Sprechern des Senders, aha, es gibt jetzt drei Hits am Stück, wird die junge Frau runtergeputzt: Sie könne ja nichts leisten, man müsse sich doch nur ihre Eltern anschauen, der Vater Säufer, die Mutter ist doch einfach nur abgehauen. Wieder steht Chrstin auf dem Feld, im Auto, eine Flasche Kirsch hat sie zwischen die Beine geklemmt, die Flasche schaukelt hin und her.
Land, Landidylle, Landflucht, Einsamkeit, die Windräder stehen nicht still, der Hund ist auch gestorben.
Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: feine Ironie, Absage an alle Idyllen, bizarre Szenen in überwältigender Landschaft, Brutalität und Ignoranz, Träume – z. B. vom Sommer-Drink des Jahres – und brutale Landungen
Die Autorin, 1984 in Lübeck geboren, wuchs in Mecklenburg auf, heute lebt sie in Berlin. Sie studierte Germanistik/Geschichte in Greifswald sowie Literarisches Schreiben in Hildesheim. 2012 nahm sie am „opfen mike“, 2013 am Klagenfurter Litreaturkurs teil. Der aktuelle Roman ist ihr Debüt.
Alina Herbing:
Niemand ist bei den Kälbern.
Zürich – Hamburg: Arche Verlag 2017.
254 Seiten.