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03/24

Wer denkt schon ans Gemeinwohl?

Wer denkt schon ans Gemeinwohl?

Tag für Tag wird in Österreich fruchtbarer Boden verbaut, und zwar in einem Ausmaß wie in keinem anderen Land Europas. Jeder hat für sein Projekt gute Gründe, aber wer sieht das Ganze?

Im letzten Urlaub in Südtirol dachte ich bei der Anfahrt nach Meran, am Stadtrand würde ich ausreichend Supermärkte finden, um die Versorgung in der Ferienwohnung sicherzustellen. Fehlanzeige. Wir landeten in unserem Quartier im Stadtzentrum, ohne einen Megamarkt gesichtet zu haben.

Dafür gab es gleich gegenüber in der Straße einen Nahversorger in einem Wohnhaus. Wir waren zufrieden und haben gelernt: Es muss nicht wie in Österreich sein. Konsequent pflastert man da die Ortsränder für Supermärkte aller Art zu. Dafür sterben die Ortskerne. Nirgendwo sonst ist die Konzentration auf wenige Ketten im Einzelhandel so groß. Nirgendwo sonst hätten sie es so leicht wie in Österreich, Genehmigungen für neue Märkte zu bekommen, sagen die Konzernchefs.

Anderswo gibt es eine Raumordnung, die verhindert, dass einfach für Hunderte meist nicht ausgelastete Parkplätze Grünland versiegelt wird. Warum setzt man den Großen so wenig Widerstand entgegen? Einem Konzern ist doch zuzumuten, entweder unterirdische Parkgaragen zu bauen oder in die Höhe zu wachsen und so auch Wohnungen und Büroflächen mit zu ermöglichen.

Die Supermärkte sind das eine Pro­blem. Das andere ist die ausufernde Verbauung von ehemaligem Grünland durch Fabriken und Freizeitzentren. Stimmt schon, Betriebe wollen wachsen und Sport ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Aber wo sind die Gesamtkonzepte? Österreich hat Industriebrachen im Ausmaß der Stadt Linz. Pro Jahr kommen rund 1.000 Hektar hinzu. Sie zu sanieren und wieder zu nützen ist teurer, als etwas Neues auf die grüne Wiese zu bauen.

Gibt es ein Recht, darauf billigst zu bauen? Weswegen ist die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel für Fußballstadien oder Sportarenen kein Muss? Wir haben 2018 das bisher trockenste Jahr der jüngeren Vergangenheit erlebt. Wenn die Prognosen stimmen, ist das erst der Anfang eines gravierenden Wandels des Klimas. Statt sich auf den öffentlichen Verkehr in einem dichten regionalen Netz verlassen zu können, bleibt Häuslbauern auf dem Land nichts anderes übrig, als den Carport für mindestens zwei Fahrzeuge zu planen.

Da haben wir noch nicht davon gesprochen, dass auf Dauer versiegelte Flächen auch für die Produktion von Lebensmitteln verloren sind. Schon jetzt hat Österreich nur mehr die Hälfte der Äcker und Felder, die es braucht, um das Land im Notfall selbst versorgen zu können. Aber wen rührt es?

Derzeit werden Umweltschutzorganisationen als lästige Verhinderer gesetzlich drastisch zurückgestutzt. Das ist so unklug wie zerstörerisch für eine lebendige Demokratie. Diese funktioniert nur, wenn das Gemeinwohl über den Interessen Einzelner steht. Alle scheinen getrieben von einer Wachstumslogik, die KritikerInnen sofort zu GegnerInnen macht. Man droht mit der Absiedelung von Betrieben, mit Jobabbau und Wohlstandsverlust, und schon knicken die meisten politisch Verantwortlichen ein. Wo bleibt das Selbstbewusstsein, die Interessen aller aushandeln zu wollen? Was heute mit notwendigem Wachstum und der Sicherung eines komfortablen Lebens verteidigt wird, richtet sich irgendwann gegen uns selbst. Wenn die Lebensgrundlagen tot sind, kann man sie schwer wiederbeleben. Nehmen wir das einfach achselzuckend zur Kenntnis? Wir müssen dringend diskutieren, was es braucht, um langfristig gut in diesem Land leben zu können. Denkt irgendwer auch an unsere Kinder und Enkel? Es liegt nicht daran, dass wir zu wenig wüssten, wie wir unser Dasein ökologisch verträglicher gestalten können. Wir wissen auch, dass man am Ende Geld nicht essen kann. Aber was folgt daraus? Ohne Druck keine Änderungen. Die Raumordnung ist Sache der Gemeinden, über sie wird also dort entschieden, wo wir leben. Was passiert da gerade in Ihrer näheren Umgebung? Wie viele Flächen werden umgewidmet und großzügig zugepflastert? Und wer setzt sich dagegen zur Wehr?

Christine Haiden ist entsetzt über den zügellosen Bodenverbrauch in Österreich.

Boden ist knappes Gut

Mit der Nachhaltigkeitsstrategie 2002 hatte sich die Bundesregierung vorgenommen, bis 2018 den Bodenverbrauch pro Tag auf 2,5 Hektar zu drosseln. Tatsächlich sind es heute 20 Hektar täglich. Mit Folgen für das Klima, weil beispielsweise versiegelte Böden bei extremem Regen als Sickerflächen wegfallen. In keinem Land Europas gehen jährlich so viele Ackerflächen verloren wie in Österreich. Zudem haben wir jetzt schon das dichteste Straßennetz und die meiste Supermarktfläche pro Kopf in Europa. Das liegt auch am steuerlichen Anreizsystem in Österreich. Wer viele Flächen versiegelt und so Arbeitsplätze in den Ort holt, gewinnt. Zudem gibt es wenige Auflagen, die bei Neubauten einen geringeren Bodenverbrauch erzwingen können. Der öffentliche Verkehr ist außerhalb der Ballungsräume schlecht entwickelt. Schon jetzt besitzt Österreich nur mehr die Hälfte des Ackerlandes, das eine Eigenversorgung garantieren könnte. Bei weiterhin ungebremster Verbauung gibt es in 200 Jahren in Österreich kein Ackerland mehr.

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  • Veröffentlicht: 14.01.2019
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