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11/12/24

Wem gönnen Sie Ihre Aufmerksamkeit?

Wem gönnen Sie Ihre Aufmerksamkeit?

In der Politik haben längst die Twitterkönige den Sitzungslangweilern den Rang abgelaufen, und wer keine lustige oder aufregende Geschichte hat, braucht erst gar nicht zur Wahl antreten. 
Wir wollen unterhalten werden. Was zählen da die Fakten?

In einer ersten Bilanz der Amtszeit des amerikanischen Präsidenten haben JournalistInnen festgestellt, dass dieser selbst via Twitter und auf anderen Kanälen an die 2.000 Fake News verbreitet hat. Also Nachrichten, die zumindest nicht ganz korrekt waren, oft waren es aber auch einseitige oder sogar falsche Darstellungen. „Ist alles Chimäre, aber mich unterhalt’s“, wusste schon der Wiener Volkskomödiant Johann Nestroy. Warum glauben Menschen das, was gar nicht stimmt, lieber als die fade Annäherung an die Wahrheit? Weil sie Herden­tiere sind. Das zumindest legen Forschungen dänischer Wissenschaftler nahe. Vincent Hendricks und Mads Vestergaard betreiben ein Institut für „Blasenstudien“. Klingt etwas frivol, sucht aber nichts anderes als Antworten auf die Frage, warum wir eher die Bestätigung unserer Meinung suchen als deren Widerlegung. In Zeiten elektro­nischer Information sammeln wir uns daher in sogenannten „Bubbles“, also geschlossenen Blasen. Sie vermitteln, wie in Herden üblich, Nestwärme und einen vertrauten Stallgeruch. Das ist an und für sich nicht ungewöhnlich, offenbar sind wir Menschen so gestrickt. Auch Parteien oder Stände früher Zeiten waren Formen von Blasen, also relativ abgeschlossene Gebilde. Darin wird manchmal die Luft etwas dünn und die Sicht ist begrenzt, aber das Hirn ist erleichtert. Wie in einer altmodischen Kommode sind die Schubladen des Denkens übersichtlich beschriftet, und die Einordnung von Neuem wird einfach.

Die dänischen Forscher sehen allerdings in Zeiten elektronischer Kommunikation das Problem, das aus anhaltendem Aufenthalt in Blasen entstehen kann, dramatisch verschärft. Mit einer nie gekannten Geschwindigkeit verbreiten sich Nachrichten und Emotionen rund um den Globus. Das wird von „Influencern“ ­aller Art weidlich ausgenützt. Mit gezielten Falschmeldungen agiert man macht­strategisch. Denken Sie nur an den amerikanischen Wahlkampf und die Frage, wieweit soziale Netzwerke wie Facebook in Kombination mit russischen Interessen seinen Ausgang beeinflusst haben. Bis man auf konventionellem Weg hierfür nachweisbare und vielleicht sogar juristisch relevante Nachweise findet, ist bereits die Hälfte der Amtszeit des Präsidenten um.

Die Wahrheit herauszufinden ist ein verdammt langsames und langwieriges Geschäft. Werbung, Propaganda und Manipulation haben da den kürzeren Weg. Weil alle, die sich dieser Instrumente bedienen, sich nicht der Wahrheit verpflichtet fühlen, sondern ihren eigenen Interessen, nützen sie unsere Schwachstellen weidlich aus. „Menschen sind indivi­duell vernünftig, aber als Gruppe können sie dumm sein“, meinen Hendricks und ­Vestergaard. Wir orientieren uns an anderen, wenn diese etwas „liken“, oder wenn durch Klicks der Eindruck von Bedeutung entsteht, schließen wir uns an. Eines der Probleme dabei ist, dass damit unsere Aufmerksamkeit okkupiert wird. Wir haben nur beschränkte Speicherkapazitäten in unserem Gehirn. Wenn wir die mit Fake News und Blasenquatsch füllen, kommt nichts anderes mehr an. Ist das schlimm? Kommt darauf an. Wenn es um die politische Öffentlichkeit geht, sind Fake News ein Problem. Denn erstens sind auf die Verfassung vereidigte Menschen von Amts wegen zu Ehrlichkeit und zur nüchternen Abwägung von Fakten verpflichtet und zweitens brauchen BürgerInnen Fakten, um eine Wahl treffen zu können oder sich direktdemokratisch zu äußern. Woher nehmen wir die, wenn die Aufmerksamkeit von nebensächlichem Entertainment, gezielter Hetze oder strategischer Vernebelung vereinnahmt ist? Die dänischen Wissenschaftler des modernen Blasenlebens kommen zu dem Schluss, dass wir neu darüber diskutieren müssen, ob der Informationsmarkt reguliert werden muss. „Lassen Sie sich nicht mitreißen von jedem Blödsinn“, meinen die Forscher in Richtung KonsumentInnen, „und pochen Sie auf Regeln und Tatsachen.“

Christine Haiden fragt, wie sich Demokratie entwickelt, wenn Fakten zweitrangig werden.

Die Gesellschaft der VoyeurInnen

Soziale Medien und journalistische Medien haben nicht sehr viel mehr gemeinsam, als dass beide Informationen transportieren und Menschen in Kontakt bringen. Soziale Medien unterliegen in der Regel keinen journalistischen Qualitätskriterien. Natürlich sind auch nicht alle journalistischen Medien demselben Level von Faktentreue und Redlichkeit verpflichtet. Aber es gibt jedenfalls nachprüfbare Kriterien. Beispielsweise unterwerfen sich Medien freiwillig dem Ehrenkodex für die österreichische Presse. Er legt fest, nach welchen Standards gearbeitet wird, beispielsweise dass faktenbasierte Texte und Meinungstexte getrennt werden, dass recherchiert wird und auch widersprüchliche Quellen benannt werden. Außerdem hält sich Qualitätsjournalismus zugute, nicht in Abhängigkeit zu Anzeigenkunden zu stehen. Soziale Plattformen kennen solche Selbstbeschränkungen nicht. Sie werden so programmiert, dass größtmögliche Frequenz garantiert ist. Diese dient dazu, Daten zu gewinnen, die an Anzeigenkunden verkauft werden.

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  • Veröffentlicht: 28.05.2018
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