Aktuelle
Ausgabe:
Bewegung
04-05/24

Vielleicht gibt es ihn ja, den richtigen Zeitpunkt

Vielleicht gibt es ihn ja, den richtigen Zeitpunkt

Nach ihrem Romandebüt „Mittelstadtrauschen“ (Deuticke 2013) hat Margaritas Kinstners Erzähltempo nicht an Geschwindigkeit verloren: Wieder stellt sie ihren LeserInnen eine Art Familienaufstellung vor. Nicht unsympathisch, bald auch geklärt, wer mal zu wem gehörte oder auch noch gehört. Die Frauen sind tüchtig, die Männer orientieren sich gern an ihnen, egal, ob in Graz oder in Sarajevo, egal, ob jung oder älter. Tüchtige Frauen prägen das Leben der Hauptperson, der Ich-Erzählerin Katja, ihre tüchtige wie strenge, wie einsame und kompetente Mutter Magda, wie die Stadt- und die Landoma, wie die Freundin Sana, die kleine Cousine ihres Geliebten Danijel, der Vater ihres Kindes. Wann das Kind kommt? So, dass Katja dann schon bei Danijel in Sarajewo lebt, ihre Bekannten schütteln den Kopf: Was willst du dort? Schau, da gibt es noch immer Zerstörung? Schau, das Hochwasser?

Curt, der Bruder Katjas, wird einem ziemlich direkt vorgestellt: Die erste Szene konfrontiert die LeserInnen mit dem Kater, der sich strangulierte, den Katja gemeinsam mit Curt vergräbt, ein früher Abschied, früher als ihn Katja, die gerade von ihrer Schulklasse verabschiedet worden ist, geplant hat. Sie ist gut im Planen, das hat sie von ihrer Mama Magda, die immer schon schauen musste, wie sie sich und ihre Kleine „durchbrachte“, die alles richtig machen wollte, im Job und mit dem Kind. Die Kleine mochte aber lieber den süßen Kakao, den echten von der Wiener-Oma, als Mamas, also Magdas, schnelle Ovomaltine. Die Familienfrauen haben allesamt Angst, nicht davor, Böden zu verlegen, ihre Jobs zu behalten, sondern vorm Verlassenwerden. Daher bleibt auch Katja recht lange bei ihrem langweiligen Freund, sogar noch ein halbes Jahr, nachdem sie Danijel im Zug von Graz nach Wien wiedergesehen hat. Liebe auf den zweiten Blick? Vermutlich ja.

Zurück in die Kindheit, zurück in die Zerrissenheit der Ahninnen, zurück zur Oma, die in Graz schwer krank liegt und die nicht sterben soll. Familiengeheimnisse werden gelüftet, ohne dass Katja darum gebeten hätte. Alle waren jung damals, die Magda, die Brüder – Alkohol war auch im Spiel, Feigheit, dummes Rumschauen, da ist es halt passiert. Wie jung Magda war und wie ehrgeizig. Immer wieder hält Magda ihrer Tochter ihre Supernoten vor, die flieht gleich nach der Matura nach Frankreich, vorher kotzt sie sich noch nach einer Alkoholvergiftung die Seele und manche Erinnerungen aus dem Leib.

Die Schwester bin ich. Katja Köhler. Tochter, Schwester, Verlobte. Damals auch noch: Enkeltochter. Das ist jetzt sechs Jahre her. Manchmal, wenn ich an Sarajevo denke, fällt mir jener Tag ein.

 

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Liebeserklärungen an Großmütter, Landschaften, Lebenslinien, schrille Szenen, Wortwitz, das Heranwachsen eines Mädchens, Künstlerphantasien und AlleinerzieherInnen-Alltag, kluge Frauen mit noch klügeren Sätzen

 

Die Autorin, 1976 in Wien geboren, lebt heute in Graz, erzählt genau, hintergründig, auch schnell, niemals flüchtig, hält ihre Erzählfäden fest in der Hand, eröffnet mit Sarajevo neue Landschaften, eine neue Kultur.

 

 

Margarita Kinstner:

Die Schmetterlingsfängerin.

Roman.

Wien: Deuticke.

 

 

 

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 16.12.2015
  • Drucken