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07-08/24

„Viele Menschen werden ihren Lebensstil ändern müssen“

„Viele Menschen werden ihren Lebensstil ändern müssen“

Strom, Lebensmittel, Treibstoff, Heizmaterial – Ressourcen, die wir täglich brauchen, werden immer teurer. Dass die Inflation viele Menschen hart trifft, erlebt auch Gudrun Steinmann, Expertin der Schuldnerberatung Wien des Fonds Soziales Wien (FSW).

Frau Steinmann, wie geht es den ÖsterreicherInnen finanziell?

Wir bemerken seit Jahresbeginn einen Anstieg der Anfragen in unserer Beratungsstelle, davor war es relativ ruhig. Viele Menschen konnten bislang auf ihr Erspartes zurückgreifen, aber das scheint langsam aufgebraucht zu sein. Nun wird alles teurer, und Menschen rufen uns besorgt an, weil sie nicht wissen, ob sie ihren Alltag bald noch finanzieren können. Manche sind bereits verschuldet.

Spüren wir also erst jetzt die Auswirkungen der Corona-Pandemie?

Aus Erfahrung können wir sagen, dass sich Auswirkungen von Krisen immer zeitverzögert zeigen, meist zwei, drei Jahre nach Krisenbeginn. Das war auch bei der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 so. Mein Eindruck ist, dass erst jetzt die Nachwehen der Corona-Pandemie spürbar werden. Viele Menschen verschulden sich nun, der Höhepunkt der Inflation steht aber erst bevor. Vor Ausbruch der Corona-Krise hatten wir einen Rückgang bei den Anmeldungen von Privatkonkursen, die steigen nun wieder. Unsere Befürchtung ist, dass sich viele Menschen einen Privatkonkurs aber bald nicht mehr leisten können. Denn um einen solchen beantragen zu können, muss ein Teil der Schulden zurückgezahlt werden und es dürfen nicht jeden Monat neue gemacht werden.

Wer ist von den Teuerungen besonders betroffen?

Arbeitslose, PensionistInnen mit geringer Pension, alleinerziehende Eltern und generell Menschen mit geringem Einkommen sind von der Inflation besonders betroffen.

Wird die Inflation unser Leben verändern?

Die Krise wird viele Menschen zwingen, ihr Konsumverhalten zu ändern. Im Herbst wird Geld weniger wert sein, auch Menschen aus der Mittelschicht werden sich dann gewisse Luxusartikel, wie etwa teure Smartphones oder Autos, nicht mehr leisten können. Vielleicht regt uns das aber auch zum Umdenken an:  Wenn wir uns weniger leisten können, entkommen wir vielleicht dem Konsum- und Gruppendruck, der in unserer Gesellschaft herrscht. Gleichzeitig tun wir durch Verzicht auch unserer Umwelt etwas Gutes. Für Menschen, die bereits jetzt jeden Euro dreimal umdrehen, wird es allerdings noch schwieriger werden. Da stellt sich nicht mehr die Frage, auf welche Luxusartikel sie verzichten wollen, weil sie sie ohnehin schon genau Preise vergleichen müssen.

Die Regierung hat kürzlich Maßnahmen zum Teuerungsausgleich vorgestellt. Sie sollen Menschen, die besonders von der Inflation betroffen sind, entlasten. Wird das ausreichen?

Die Maßnahmen der Regierung sind wichtig, aber sie reichen nicht aus, denn die Zuschüsse werden die Ausgaben der BürgerInnen nicht abdecken. Deshalb fordert unsere Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen, die ASB Schuldnerberatungen GmbH, zum Beispiel das pfändungsfreie Existenzminimum von aktuell 1030 Euro auf 1350 Euro anzuheben. Genauso müsste das Arbeitslosengeld erhöht werden. Die Maßnahmen sollten nicht ausschließlich nach dem „Gießkannenprinzip“ erfolgen, das heißt, dass alle Menschen Zuschüsse erhalten unabhängig von der Lebenssituation. Wer ein gutes Einkommen hat, benötigt den Zuschuss nicht unbedingt, jemand mit wenig Einkommen aber schon, der braucht vielleicht sogar mehr. Die Stadt Wien zahlt etwa Alleinerziehenden neben der Energiekostenunterstützung noch 100 Euro mehr aus.

„Eine früh erworbene finanzielle Allgemeinbildung wäre der beste Weg, um eine spätere Verschuldung zu vermeiden.“

Wie lassen sich jetzt Kosten reduzieren?

Es wäre wichtig, das eigene Kaufverhalten zu reflektieren und Ausgaben zu prüfen, die nicht unbedingt notwendig sind, damit man sich essentielle Ressourcen auch später noch leisten kann. Viele Menschen wissen nicht, wie hoch ihre monatlichen Ausgaben sind. Um eine gute Übersicht über die eigenen Finanzen zu bekommen, hilft eine Einnahmen- und Ausgabenliste. Der Budgetrechner auf der Website www.budgetberatung.at kann aufzeigen, wo Kosten eingespart werden können. Ich weiß, dass es aufgrund von Lockdowns eine große Sehnsucht nach dem Gastgarten gibt. Aber vielleicht weicht man auf ein gemeinsames Picknick im Freien aus. Durch Fahrgemeinschaften – etwa, um die Kinder am Land in die Schule zu bringen – können Spritkosten reduziert werden. Auf Impulskäufe sollte man verzichten. Besser wäre es, Preise von unterschiedlichen Anbietern zu vergleichen und sich schon vor dem Einkauf eine Liste dessen zu machen, was man braucht.

Es heißt, dass es auch immer mehr junge Menschen mit hohen Schulden gibt. Woran liegt das?

Jeder/jede Vierte, der oder die sich an uns wendet, ist unter 30 Jahre alt. Das heißt, dass diese Menschen bereits in jungen Jahren so viele Schulden angesammelt haben, dass sie sie nicht mehr zurückzahlen können. Wir sehen, dass viele Jugendliche nicht wissen, was das Leben kostet. Wenn sie in ihre erste eigene Wohnung ziehen, müssen sie ihre Finanzen plötzlich selbst bestreiten und sind überfordert. Ein anderes Problem ist der Gruppendruck unter jungen Menschen. Um dazuzugehören, müssen sie gewisse Produkte besitzen. Dazu kommt das verlockende Angebot von Unternehmen, in Raten zu zahlen, oder Rechnungen erst zu einem späteren Zeitpunkt zu begleichen. So kaufen junge Menschen immer mehr, die Verbindlichkeiten häufen sich an, und irgendwann ist Zahltag. Bei jungen Männern ist oft der Kredit für ein Auto das Problem, andere junge Menschen haben Schulden bei Zahlungsanbietern, wieder andere haben bereits eine Bürgschaft für die Familie oder den Partner, die Partnerin unterschrieben.

Was kann gegen Verschuldung in jungen Jahren getan werden?

Es bräuchte viel mehr Aufklärungsarbeit bei Jugendlichen. Eine früh erworbene finanzielle Allgemeinbildung wäre der beste Weg, um eine spätere Verschuldung zu vermeiden. Wir merken auch, dass in unserer Gesellschaft nicht gerne über Geld gesprochen wird. Genau das wäre aber wichtig. Eltern sollten mit ihren Kindern über Finanzen sprechen und sie auch ein Stück weit am finanziellen Leben der Familie teilhaben lassen, damit sie ein Gespür dafür bekommen, was das Leben kostet und wie man den Lebensunterhalt bestreitet. Wir von der Schuldnerberatung Wien bieten in Kooperation mit der Arbeiterkammer Wien und der Wiener Bildungsdirektion einen „Finanzführerschein“ in Schulen an. Wir zeigen Jugendlichen in Workshops, dass sie mündige KonsumentInnen sind und die Konsequenzen für ihre finanziellen Ausgaben tragen. Wir vermitteln ihnen Basiswissen: Was sind Einnahmen und Ausgaben? Was kostet es, eine eigene Wohnung zu haben? Was passiert, wenn man Verbindlichkeiten nicht nachkommt, was sind Inkassokosten und welche Forderungen sollten gleich bezahlt werden? Wir versuchen auch junge Frauen zu motivieren, finanziell unabhängig zu bleiben. Wir erklären ihnen, was es bedeutet, einen gemeinsamen Kredit mit dem Partner zu unterschreiben, und erklären ihnen die Möglichkeit, zwei separate Darlehen aufzunehmen, die jeder Partner für sich zurückbezahlt. Sollte es dennoch später im Leben zu einem finanziellen Engpass oder gar einer Verschuldung kommen, sollte so schnell wie möglich Hilfe, etwa bei einer Schuldnerberatung, in Anspruch genommen werden, um die eigenen Finanzen wieder schnell in den Griff zu bekommen. Es gibt in ganz Österreich staatlich anerkannte und kostenlose Beratungsstellen.

Gudrun Steinmann,
Expertin der Schuldnerberatung Wien des Fonds Soziales Wien (FSW).

Alle Informationen unter: www.schuldenberatung.at

Das Interview in kompakter Form finden Sie in der Septemberausgabe. Lesen Sie zwei Ausgaben kostenlos. Hier gehts zum Testabo.

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  • Veröffentlicht: 07.07.2022
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