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09/24

Versöhnung, Trost & Liebe

Versöhnung, Trost & Liebe

Wir haben unsere Leserinnen eingeladen, ihre Erfahrungen, Erlebnisse oder Bilder unter dem Motto „Was ich gerade jetzt schätze“ mit uns zu teilen.

Mein Alltag hat sich von „anstrengend“ auf „sehr anstrengend“ verändert. Ich pendle nicht mehr, mache aber stattdessen jetzt neben meiner Telearbeit die Gymnasiallehrerin für drei Kinder: schon unter normalen Umständen sehr schwierig zu betreuen, weil alle drei Asperger Autisten sind, und zwei sich zusätzlich in der Pubertät befinden. Das heißt, dass sich ein guter Teil meines Lebens seit 16 Jahren ständig wie eine Krise anfühlt, die sich jetzt einfach verschärft hat. Mein Partner hat kaum Arbeit, alles storniert. Er ist introvertiert, leidet unter unserer Dauerpräsenz.

Außerdem hatte ich über drei Wochen hindurch wohl eine Lungenentzündung, natürlich ohne Arztbesuch. Den Covid-Test konnte ich erst so spät machen, dass er nicht mehr aussagekräftig war. Leider weiß ich deshalb auch nicht, ob wir jetzt immun sind. Aber, hurra – ich bin wieder fast gesund.

Entschleunigung heißt bei uns vor allem, endlich täglich genug zu schlafen, sofern ich nicht unfreiwillig wach liege. Und dass wir gemeinsam frisch Gekochtes essen, das uns schmeckt. Schulstart erst um 9 Uhr ist toll.

Dankbarkeit empfinde ich für die wunderschöne Aussicht vom Balkon, den Himmel ohne Flugzeuge, die Lebensmittel im Keller. Für das Smartphone, den Garten. Für die Online-Tanzangebote meiner Fünf-Rhythmen-Community. Dafür, dass ich mich rechtzeitig von meinem Ex-Mann getrennt habe und deshalb jetzt nicht mit ihm zusammengesperrt bin. Und er empfindet seit Langem wieder einmal so etwas wie Dankbarkeit, dass ich den Laden schmeiße.

Sonst fühle ich eigentlich vor allem Trauer um die versäumten Erlebnisse und Angst um meine Lieben in der Risikogruppe. Und versuche, was viele Mütter vielleicht am besten können: jeden Tag und jede Stunde das tun, was gerade möglich ist und gebraucht wird. Und dazwischen möglichst gut zu rasten, damit ich wieder einsatzfähig bin. Hänge dann zu viel am Computer, lese Corona, Covid, Corona. Und spiele, manchmal zu viel. Mein Laster? Oder Ventil?

Das Beste an der momentanen Situation ist vielleicht die Intensität der Nähe, die wir leben. In der Auseinandersetzung miteinander kommen viele Gefühle vor, die wir gemeinsam durchleben, und das ist trotz der vielen Konflikte, die dabei auftreten, auch schön: Versöhnung, Trost, Liebe verbinden.
Der missglückte Haarschnitt wird mit Kreativität verschönert. Der Haarschneider war versehentlich auf Länge 0 verstellt, mitten auf der Stirn. Mein Jüngster verzeiht mir, wir kleben das Loch mit Haarwachs zu, fügen mit rotem Transparentpapier einen „Diamanten“ ein. Bis zum Ende der Quarantäne sind die Haare hoffentlich nachgewachsen!

Seit 9 Uhr warte ich darauf, dass mein F. endlich mit seinem Fotoroman beginnt, in der Hauptrolle sein Bruder mit der Diamatfrisur? Wir werden sehen. Jetzt ist es 16.20 Uhr.
Ich brauche keine Meditation, Zen ist mein Alltag.

Über Ihre Empfehlung würden wir uns
in diesen herausfordernden Zeiten besonders freuen.

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  • Veröffentlicht: 25.05.2020
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