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03/24

„Unser Gehirn ist ein Leben lang formbar“

„Unser Gehirn ist ein Leben lang formbar“
Foto: SelbA – selbständig und aktiv

Zu Unrecht wird „SelbA – Selbstständig und aktiv“, ein Trainingsprogramm für Menschen ab 55 Jahren, oft als reines „Kaffeekränzchen“ abgestempelt. Warum das Angebot des Katholischen Bildungswerkes OÖ vielmehr einen wichtigen Beitrag zur Demenzprävention und gegen Einsamkeit im Alter leistet, erzählt Leiterin Maria Otruba.

Wochenlang hat sie nichts mehr gesprochen, das Essen des Pflegeheimes blieb stets unberührt. Seit die Mutter einer SelbA-Regionalleiterin sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte, blieb kein Stein mehr auf dem anderen. 20 Jahre lang war die Frau eifriges SelbA-Mitglied. Keine Rechenübung und kein Worträtsel schienen der Seniorin zu schwer, Lieder sang sie mit Begeisterung mit. Bis besagte Verletzung und der darauffolgende Krankenhausaufenthalt alles veränderten.

Nach einigen Wochen startete ihre Tochter einen vorsichtigen Versuch: Sie stimmte ein Lied aus der SelbA-Gruppe an, auch eine Übung brachte sie mit. Was dann folgte, verblüfft: Jene Frau, der in den Wochen zuvor jeglicher Lebenswille verloren gegangen zu sein schien, musizierte plötzlich fröhlich mit und löste Aufgaben, als sei nie etwas geschehen.

Es ist eine jener Geschichten, die Maria Otruba besonders gern erzählt: „Mag sein, dass das nur Momentaufnahmen sind. Aber zu wissen, dass man das Leben der Menschen nicht nur in den Momenten bereichert, in denen man gesund und glücklich ist, sondern auch später, das finde ich sehr schön.“

„Kein Kaffeekränzchen“

Seit gut eineinhalb Jahren leitet Otruba das Geschäftsfeld „SelbA – Selbstständig und aktiv“ des Katholischen Bildungswerkes Oberösterreich. Darunter versteht man ein niederschwellig erreichbares Trainingsprogramm, das sich der Gesundheit von Menschen ab 55 Jahren verschrieben hat. Das Konzept basiert auf drei Säulen: Gehirn-, Bewegungs- und Kompetenztrainings – ein Alleinstellungsmerkmal zu anderen Angeboten, ist die Leiterin überzeugt. Sie macht deutlich: „Es ist kein Kaffeekränzchen.“ Stattdessen finden sich die Gruppen jede Woche für rund eineinhalb Stunden unter der Leitung einer Trainerin oder eines Trainers zusammen, um verschiedene Übungen gemeinsam zu lösen. Ebenfalls von Bedeutung ist die Gemeinschaft – gerade im Alter droht häufig die Vereinsamung – sowie die Spiritualität. Schließlich entstammt das Angebot dem Katholischen Bildungswerk. Dennoch versichert die Leiterin: „Es kann jeder kommen, egal welcher Religion man angehört.“

Foto: Otruba

Übungen nicht unterschätzen

Ein Bild, dass es für Otruba zurechtzurücken gilt, ist jenes der Übungen. Ob Rechenaufgaben, Wortspiele oder Schüttelreime: Oftmals werden diese belächelt oder in ihrer Effektivität angezweifelt. Das weiß auch die studierte Sozialmanagerin, die betont: „Sie würden staunen, wie anspruchsvoll so manche Übungen sind. Ich muss ehrlich sagen, die ersten Wochen und Monate, in denen ich bei SelbA anfing, schlackerte ich mit den Ohren: Sie sind wirklich anspruchsvoll und schwer.“ Aber: Obwohl fordernd, sind diese so ausgelegt, dass jede und jeder mithalten kann. „Es wird wirklich darauf Rücksicht genommen, was gerade in der Gruppe vorhanden ist. Und das ist tatsächlich bei uns nicht nur vom Alter her, sondern auch im Umfang und in der Intensität sehr heterogen. Da steht jeder woanders und trotzdem: Nachdem bei uns der Spaß und das Miteinander im Vordergrund stehen, ist das nicht so tragisch. Es gibt auch eine Fehlerfreudigkeit, auch den TrainerInnen geschieht manchmal ein Hoppala: Da wird am meisten gelacht, das macht uns, glaube ich, so sympathisch.“ Auch wissenschaftlich sei die präventive Wirkung in Bezug auf demenzielle Erkrankungen belegt. Otruba gibt zu denken: Obwohl das Älterwerden natürlich mit Veränderungen für Körper und Geist einhergeht, habe die Alterszahl allein nichts mit der Gehirnleistung zu tun: „Es ist eine Frage der Haltung. Unser Gehirn ist ein Leben lang formbar. Dr. Marcus Täuber, unser Neurowissenschaftler in der SelbA-Ausbildung, vergleicht das Gehirn gerne mit Plastilin. Solange wir es fordern und fördern, macht es auch viele ‚Spompanadeln‘ mit.“

Welchen Unterschied der richtige Umgang mit dem Thema Altern ausmacht, zeigt auch eine Studie der deutschen Universität Greifswald, die im „Journal of Personality and Social Psychology“ veröffentlicht wurde. Sie besagt, dass Menschen, die Alter und Altern als Entwicklungsprozess sehen, statistisch die Chance haben, bis zu 13 Jahre länger zu leben.

„Es ist nie zu früh“

Geht es nach Otruba, so seien aber nicht nur ältere Menschen gut damit beraten, ihre Gehirngesundheit zu fördern. Uns allen würde es nicht schaden. „Ich sage einmal, es ist nie zu früh und nie zu spät.“ Wer sich an den Aufgabestellungen abseits einer Gruppe versuchen möchte, kann dies zum Beispiel online tun. Dafür wurden eigens produzierte Mitmach-Videos auf der Website und auf YouTube zur Verfügung gestellt.

Individuelle Entscheidung

Während es viele Angebote gibt, um auf sich selbst zu achten, kann es oft umso schwerer sein, den Leistungsabbau von Familienmitgliedern zu beobachten. Vor allem dann, wenn sich diese weigern, etwas dagegen zu unternehmen. Ein Grund dafür ist oftmals die Scham. Die SelbA-Leiterin betont in solchen Fällen aber: „Grundsätzlich ist es die Entscheidung des Individuums, wenn die Zeit noch nicht reif ist oder wir von Generationen reden, die Angst haben, sich zu blamieren.“ Oft sind für den Anfang aber Schnuppertrainings hilfreich. Denn, so ist Otruba sicher, wer einmal über den eigenen Schatten gesprungen sei, bleibe angesteckt und komme wieder.

Mehr Informationen zu den Angeboten sowie weitere Mitmach-Videos: 

Drei Fragen an Neurobiologe Marcus Täuber

Herr Täuber, warum ist die Teilnahme an SelbA-Kursen effektiver, als beispielsweise selbstständig zuhause Kreuzworträtsel oder Sudokus zu lösen? 

Kreuzworträtsel oder Sudokus bringen nur wenig. Nach ein paar Mal greift das Gehirn auf bereits Gelerntes zurück und strengt sich nicht mehr an. Besser sind abwechslungsreiche und herausfordernde Aufgaben, wie sie im SelbA-Training vorkommen. Auch Bewegung und Gemeinschaft sind wichtig, um das Gehirn fit zu halten.

Welche Übungen würden Sie für ein gesundes Gehirn empfehlen, die jede/r tagtäglich absolvieren kann?

Jeden Tag etwas Neues zu lernen, zum Beispiel in Form einer Fremdsprache, der Beschäftigung mit Literatur oder Philosophie. Das geht über das Internet auch von daheim. Je anstrengender es sich anfühlt, weil man sich konzentrieren muss, umso besser. Wichtig ist nur, danach Körper und Geist wieder Erholung zu gönnen. Glaube und Spiritualität wirken sich günstig auf die mentale Gesundheit aus. Außerdem sind eine Omega-3-reiche Ernährung – die mediterrane Küche – und moderate Bewegung zu empfehlen, da sie Schlaganfällen vorbeugen.

Auf welche drei Dinge sollten wir in Zukunft verzichten, wenn wir geistig fit bleiben möchten?

Ein Leben rein in Routinen, pessimistisches Denken und Übergewicht sind Gifte für das Gehirn.

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  • Veröffentlicht: 07.06.2023
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