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04-05/24

Hat jede Frau das Recht auf ein Kind?

Hat jede Frau das Recht auf ein Kind?
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Assistierte Reproduktion bei unerfülltem Kinderwunsch ist in Österreich aktuell nur für Paare und unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Manche Frauen haben ihn, andere wiederum nicht: den Wunsch nach einem Kind. Falls er besteht, sieht sich der eigene Körper mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert, die eine Empfängnis erschweren könnten, darunter das steigende Durchschnittsalter der Mütter, das aktuell bei 31,5 Jahren liegt und laut Statista seit 2012 um mehr als ein Jahr gestiegen ist, die über die fertilen Jahre hinweg schwindenden Eizellenreserven und die zunehmende weibliche oder männliche Unfruchtbarkeit. Manchmal sind es auch die Lebensumstände, wie das Fehlen eines passenden Partners während der fruchtbarsten Jahre, die den Kinderwunsch schwierig gestalten können. 

Eine potentielle Lösung für einen unerfüllten Kinderwunsch ist die assistierte Reproduktion, die in Österreich in mehr als 30 Kinderwunschzentren erfolgt – allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen. Aktuell ist es beispielsweise nicht möglich, als Single-Frau auf diese Form der Reproduktion zurückzugreifen oder sich ohne medizinischen Grund die eigenen Eizellen einfrieren zu lassen, um das Kinderkriegen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Etwas, das in Nachbarländern wie Deutschland bereits rechtlich erlaubt  ist.

In Österreich wurde das Fertilitätsgesetz zuletzt 2015 novelliert, seither werden Erweiterungen und Einschränkungen gleichermaßen gefordert: Im Angesicht der Emanzipation wird von BürgerInnen-Initiativen wie „Zukunft Kinder!“ eine erweiterte Selbstbestimmung gefordert, während Vereine wie „aktion leben“ davor warnen, den Kinderwunsch mit medizinischen Mitteln durchsetzen zu wollen. Diskussionen, die auf eine Frage hinauslaufen: Wie planbar sollte Nachwuchs werden, und hat jede Person das Recht auf ein Kind?

Warum manche Frauen Probleme damit haben, schwanger zu werden

Wann spricht man von einem unerfüllten Kinderwunsch? Miriam Mottl, Oberärztin am Kepler Universitätsklinikum, erklärt: „Bei Frauen mit Kinderwunsch, die über ein Jahr hinweg regelmäßigen und ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, spricht man von ‚unerfüllt‘.“ Regelmäßig bedeute dabei mindestens zweimal wöchentlich. Sollte keine Schwangerschaft eintreten, sei die Gynäkologin oder der Gynäkologe die erste Ansprechperson, um verschiedene Untersuchungen durchzuführen. Laut Mottl sei beispielsweise eine Überprüfung des Hormonstatus, der Schilddrüse und der Gebärmutter essenziell. 

Wichtig ist allerdings auch, die männliche Fruchtbarkeit bei Untersuchungen nicht außer Acht zu lassen: Laut des Universitätsspitals Zürich entstehe ein unerfüllter Kinderwunsch zu 30 Prozent durch rein weibliche und zu 30 Prozent durch rein männliche Faktoren. In 20 Prozent der Fälle komme es zu Mischformen. Mottl empfiehlt daher, ebenfalls ein Spermiogramm mitzudenken. „Häufig kann man nicht genau definieren, was das Problem ist.“ Zusätzlich betont sie die Wichtigkeit des Alters: „Wenn man Anfang 20 ist, hat man weniger Zeitdruck, sich mit einem möglichen Kinderwunsch auseinanderzusetzen. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass ab 35 Jahren die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, um fast 50 Prozent sinkt.“ (Mehr dazu im Interview hier.)

Psychologische Auswirkungen eines unerfüllten Kinderwunschs

Das Ausbleiben einer erhofften Schwangerschaft wirkt sich häufig auf die Psyche der Betroffenen aus – vor allem, wenn es von außen, bei Familienbesuchen oder im Freundeskreis, immer wieder zu Bemerkungen diesbezüglich kommt. Mottl findet die Frage, wann denn nun endlich ein Kind geplant sei, sehr schwierig, da man selten die Vorgeschichte kenne. „Wenn sich eine Frau durch zig negative Schwangerschaftstests und eingetretene Perioden immer wieder von einem potentiellen Kind verabschieden muss, macht das etwas mit der Psyche.“ 

In der Medizin wisse man, „dass Infertilität zur posttraumatischen Belastungsstörung und auch zu einem Trauma werden kann“. Schuld daran seien laut Mottl die vielen Mikrotraumata der negativen Schwangerschaftserfahrung. Die Resilienz sei hier bei jeder und jedem unterschiedlich.

Künstliche Befruchtung in Österreich: nicht für jede Frau möglich

Erfolgt die Erfüllung des Kinderwunsches nicht auf natürlichem Weg, können je nach Bedarf verschiedene Methoden herangezogen werden. Allerdings nur, wenn eine Ehe, eine Lebensgemeinschaft oder eine eingetragene Partnerschaft besteht. Zudem müssen verschiedene Faktoren wie eine Erfolglosigkeit oder Unmöglichkeit der Fortpflanzung, das Risiko einer Infektionsübertragung oder der Schwangerschaftswunsch zweier Partnerinnen gegeben sein. Eine Zellentnahme von beispielsweise Eizellen oder Samen darf nur bei einer Krankheit wie einer Krebserkrankung vorgenommen werden. 

In Österreich haben Single-Frauen aktuell keine Möglichkeit, assistierte Reproduktion in Anspruch zu nehmen. In Deutschland ist dies unter Angabe einer Garantieperson möglich. Den Grund dafür sieht Mottl in den Förderungen, die es hierzulande für die assistierte Reproduktion gibt: „Wir sind in der sehr privilegierten Situation, dass Frauen in einer Partnerschaft vier Versuche bezahlt werden, wenn bestimmte Kriterien eine Schwangerschaft verhindern. In anderen Ländern geben Menschen zwischen 30.000 und 50.000 Euro für ein Kind aus.“ Eine Insemination, also das Einführen von Sperma in die Gebärmutter, den Gebärmutterhals oder den Eileiter, liegt bei 600 bis 800 Euro pro Versuch. Mottl ist für Selbstbestimmung über die eigene Fruchtbarkeit, verweist aber auch auf die Zahlen: „Die meisten Frauen lassen sich mit Ende 20 oder Anfang 30 Eizellen einfrieren, werden dann doch auf natürlichem Weg schwanger, was zu Millionen eingefrorenen Zellen und zu hohen Kosten im Gesundheitssystem führt.“ Abgeholt würde davon nur ein einstelliger Bereich werden.

Formen der assistierten Reproduktion

  • Social Freezing: Eizellen werden ohne medizinischen Grund (wie beispielsweise vor einer Chemotherapie bei einer Krebserkrankung oder im Falle einer Endometriose-Erkrankung) zur späteren Verwendung eingefroren. In Österreich ist dies nicht erlaubt, die durch krankheitsbedingten Bedarf entnommenen Eizellen dürfen zudem nur verwendet werden, wenn sich die Frau in einer Partnerschaft befindet. 
  • Insemination: Die Samenflüssigkeit wird beispielsweise in die Gebärmutter eingeführt, etwa bei mangelnder Samenmenge oder -geschwindigkeit des Mannes. 
  • In-vitro-Fertilisation: Eine Befruchtung der Eizelle mit den Samenzellen des Mannes wird in einem Reagenzglas vorgenommen. Vorangehend wird eine Hormontherapie durchgeführt, damit die Eierstöcke zur Erzeugung mehrerer befruchtungsfähiger Eizellen angeregt werden. 
    Intratubarer Gametentransfer: Der Frau werden Eizellen entnommen, die zusammen mit den Samenzellen des Mannes in die Eileiter eingeführt werden. Diese Methode wird weniger häufig angewendet, unter anderem weil das Risiko einer Eileiterschwangerschaft besteht.

Fortpflanzungsmedizin, die Lösung?

Welche Erfolgsraten verspricht die assistierte Reproduktion und was gilt es bei der Entscheidung für diesen Weg zu beachten? Durchschnittlich könne man mit einer Erfolgsrate von 35 bis 45 Prozent rechnen – das sei gut, so Mottl, da generell nur ein Drittel aller befruchteten Eizellen in einer Schwangerschaft enden würden. Die Oberärztin betont, dass sich viele Paare allerdings nicht über die Auswirkungen der Fortpflanzungsmedizin bewusst wären, was bei der Sexualität und der Planung des optimalen Zeitpunkts des Verkehrs anfange. 

Nicht nur die Auswirkungen auf die Psyche und die körperlichen Implikationen sind zu berücksichtigen, sondern auch ethische Fragen müssen von jedem Paar abgewogen werden. „Ein unerfüllter Kinderwunsch ist etwas sehr Massives, Leidvolles“, berichtet Martina Kronthaler, Generalsekretärin des Vereins „aktion leben“, aus ihren eigenen Beratungserfahrungen. „Manche gehen aber durch, ohne nach links oder rechts zu schauen, und empfinden es als Eingriff in ihre Selbstbestimmung, wenn es Regeln oder Grenzen gibt.“ Deshalb beobachte der Verein die Entwicklungen in der Fertilitätsmedizin sehr kritisch, wobei man sich speziell für Grenzen einsetze, vor allem dann, „wenn andere Menschen und deren Körpergrenzen beansprucht und überschritten werden“.

Marlene Kastner, Mitinitiatorin der BürgerInnen-Aktion „Zukunft Kinder!“, sieht dies anders: „Es geht nicht in eine Tiefe wie beispielsweise die Genmanipulation, sondern um den Kinderwunsch. Frauen haben eine tickende Uhr. Darauf greift man natürlich bis zu einem gewissen Grad ein, aber in einem vertretbaren Bereich.“ Sie fügt hinzu, dass diesen Weg ohnehin nur bedachte Personen gehen würden. „Man macht das nicht leichtfertig oder weil es so lustig ist.“

Aus gynäkologischer Sicht plädiert Mottl für eine gute Aufklärung seitens der MedizinerInnen – auch interdisziplinär, vor allem psychologisch. „Als Mutter oder Vater muss man dafür sorgen, dass das Kind sein Potenzial vollständig entfalten kann.“ Man müsse sich daher fragen: „Existieren die Voraussetzungen dafür in der eigenen Umgebung?“

Die Frau zwischen gesellschaftlichen Versäumnissen

In einem sind sich Mottl, Kronthaler und Kastner einig: Frauen werde es aktuell nicht leicht gemacht, Familie mit anderen Faktoren wie Karriere erfolgreich zu vereinbaren. Neben den Wohnungspreisen und der Aufteilung der Care-Arbeit liege das Problem laut Kronthaler ebenfalls bei den Betreuungsmöglichkeiten: Während in Ländern wie Schweden die ganztägige Betreuung von Kindern schon seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, ist hierzulande eine Teilzeit-Anstellung bei Müttern weit verbreitet. Dass die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen allerdings steigt, zeigt eine letztjährige Statista-Studie: Über 388.000 Kinder waren im Jahr 2022/2023 in Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten oder Horten untergebracht. Im Jahr 2012/2013 waren es im Vergleich 326.444 Kinder.

Unterstrichen wird dies durch eine im Juli 2023 veröffentlichte Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Eco Austria: Beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ belegt Österreich den 20. Platz in einer Gegenüberstellung mit 29 Vergleichsländern. Dies spiegelt sich vor allem in der Teilzeitquote von Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren wider. Laut einer Eurostat-LFS-Umfrage aus dem Jahr 2022 geben rund 59 Prozent aller Teilzeit arbeitenden Österreicherinnen an, dass die Betreuung von Kindern oder Erwachsenen mit Behinderung der Grund für das Ergreifen dieser Anstellungsform ist.

Mottl erkennt die Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Ich befinde mich auch in der Generation, die erlebt, was es bedeutet, wenn man spät Kinder kriegt oder wie zäh die Kinderbetreuung sein kann. Bevor wir über Social Freezing sprechen, müssten zuerst die Möglichkeiten gegeben sein, sich als Mutter auch beruflich entfalten zu können. Wir brauchen strukturelle Veränderungen wie Wickelbereiche und Tagesbetreuungen. Diese Unterstützung ist leider nicht immer gegeben.“ Ähnlich sieht das auch Kronthaler, die angibt, dass Frauen mit ihrem Körper gesellschaftspolitische Versäumnisse reparieren sollen.

Hat jede Frau das Recht auf ein Kind?

Dass die Gesetzeslage noch nicht am Stand der Reproduktionsmedizin steht, ist für Gynäkologin Mottl unterdies klar. „Wir dürfen nicht runterspielen, welche Errungenschaften die Medizin bereits erreicht hat, obwohl man sich nach wie vor als Frau benachteiligt fühlen kann.“ Bis zur bedingungslosen Unterstützung in der Kinderbetreuung, einer fairen Aufteilung der Care-Arbeit sowie deren Sichtbarmachen ist es noch ein weiter Weg. Jede Frau hat das Recht darauf, ihr Leben so zu gestalten, wie sie möchte – mit Kindern oder ohne, mit einer Mutterschaft Anfang 20 oder mit Fokus auf die eigene Karriere. 

Die Antwort auf die Frage, ob jeder Mensch, egal ob single oder in einer Partnerschaft lebend, ein Anrecht auf ein Kind hat, ist eine höchstpersönliche. Die Rechtslage sagt jedoch Nein. Ob es in den kommenden Jahren einen Umbruch in Richtung „Ja“ geben wird, muss sich erst zeigen. Der Bedarf nach einem größeren Bewusstsein für die Auswirkungen eines unerfüllten Kinderwunsches ist allerdings spürbar. Jede Frau verdient Unterstützung und Verständnis für den individuellen Weg, den sie wählt, genau wie Offenheit gegenüber ihren Wünschen und Sorgen. Was feststeht: Ein unerfüllter Kinderwunsch kann äußerst schmerzhaft sein und die Vorstellung, wie das eigene Leben im Optimalfall aussehen sollte, auf den Kopf stellen. Ein Umstand, der in der vorherrschenden Diskussion kaum Platz findet.

Links zu den Interviews:

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  • Veröffentlicht: 26.01.2024
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