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04-05/24

Und warum nicht gleich nach New York?

Und warum nicht gleich nach New York?

Die, die vom Land kommen, gehen lieber in die zweitgrößte als in die größte Stadt, um das zu werden, das sie in sich brodeln fühlen. Jean ist immer früher an einem Ort als Johnny und sei es nur deshalb, weil er einen früheren Zug genommen hat und sich überhaupt und überall besser auskennt. Außerdem ist er cooler als Jean, kommt mit einer stattlichen Rolle anstelle einer selbst gebastelten Mappe in die Kunsthochschule. „Junge wach auf“, denkt sich nicht nur der Antiheld Johnny, der einen Zug später in die zweitgrößte Stadt aufgebrochen ist, der Passepartouts für seine Werke gesucht und welche im richtigen Farbton gefunden hat. Zurück, so geht das gar nicht. Der Ich-Kommentator ist Johnny, er beschimpft sich auf hohem Niveau und himmelt Jean und seinen Aktionismus beinahe selbstquälerisch an. Da versucht auch er es, nach einem Gespräch mit Salvador Dali im Kino, ja, Johnny hat intensive Nacht- und bunte Tagträume, mit einem frischen weißen Blatt „die Alten“ aus seinem Kopf zu kriegen. Johnny, der so schwer anfängt, dass sich bereits Staub auf diesem weißen Blatt gebildet hat.

Gern wäre er, der ewig Zögernde, Jeans Freund. Aber Jean ist zwar in aller Munde, doch nirgendwo anzutreffen: „Während wir alle auf Jean warten, lernen wir einander langsam kennen.“ Immer auf der Suche nach Jean, wird auch Johnny langsam von den MitstudentInnen anerkennt, er kann wirklich gut Zigaretten drehen. Der Text ist in kräftigen Strichen hingeklatscht, nicht oberflächlich, nicht plakativ, sondern kraftvoll. Jean, der Verwegene, der Johnnys grundierte Leinwände einfach nimmt, der als junges Talent gehandelt und bewundert wird. Johnny würde ihm doch so gern gestehen, dass er noch nie mit einer Frau geschlafen hat, er starrt auf die Blütenunterwäsche des Models im Kurs, in dem alle so kühn Akte zu zeichnen scheinen und doch nur das Model anstarren. Johnny, der immer, wenn er Blüten betrachtet, nicht an die Künstlerin Georgia O’Keefe, sondern an Geschlechtsteile denkt. Der über Björk nachdenkt, wie lange man es wohl an ihrer Seite aushalten mag. Jean ist überzeugt: „Wenn nichts mehr hilft, hilft Cranach.“ Und da braucht Jean doch seinen Johnny, der für alle in der Runde nachfrägt: „der Jüngere oder der Ältere?“ Und dann ist Jean plötzlich weg, ohne Kommentar. Aber das war ja zu erwarten, in dieser Schnitzeljagd durch die Akademie, die Werkstätten, die Ateliers, die gesamte Szene und so einige Doppelbetten.

„Später habe ich selbst auch nicht mehr Johnny heißen wollen. Nach der Zeit in der Malereiklasse habe ich immer wieder gesagt, das ist nur ein Spitzname gewesen, aber er hat sich schon so eingeprägt gehabt, dass ich ihn nicht mehr losgeworden bin.“

Die in Wien lebende Autorin, Jahrgang 1979, lebt, schreibt und zeichnet nach ihrem Studium der Germanistik und Malerei in Wien. 2012 erhielt sie für ihren Debütroman „Für den Herrscher aus Übersee“ den aspekte-Literaturpreis.

 

Teresa Präauer:
Johnny und Jean. Roman.
Göttingen: Wallstein 2014.

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  • Veröffentlicht: 03.12.2014
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