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03/24

Und Eva hält sich immer gerade

Und Eva hält sich immer gerade

Der Erzählfaden verläuft so gar nicht linear, die Protagonistin dieses Romandebüts gibt die Konstante im Gewirr der Zeit, der Zeitreisen und der zahlreichen Schicksale. Eva lebt ein ruhiges und klar strukturiertes Leben, sie hat einen Beruf „lernen“ dürfen, das war zu ihrer Zeit noch eine Ausnahme: Jetzt verrichtet Eva ihre Arbeit in der Schellinggasse 12, in einem imposanten Eckhaus. Hier hat die evangelische Kirche zwei Wohnungen im ersten Stock angemietet und zusammengelegt.

Walter nennt die Protagonistin „Tante Eva“ und vertraut ihr sein Leben an. 1944 in Wien ist sowohl Evas Arbeitsplatz als auch ihre Tätigkeit nicht so harmlos, von Routine geprägt, wie es den ersten Anschein hat. Die Kanzlei, in der Eva regiert, ist der Sitz einer Widerstandsorganisation, die Juden und anderen Verfolgten hilft. Als Jude weiß Walter, was ihm bevorsteht, wenn die Behörden ihn zu fassen kriegen. Sein Rettungsplan ist schonungslos und effektiv: Er verfasst einen Abschiedsbrief an seine Mutter, hinterlässt am Donauufer seine Kleidung und Schuhe und flüchtet mit Eva in die Schellinggasse 12.

Nach und nach erklärt sich das Tun dieser mutigen Frau aus ihrer Biografie, Satz um Satz gibt sie ihre Verluste preis, erzählt von ihren beiden Söhnen, die als kleine Kinder in die Sowjetunion geflüchtet sind. Eva hat bereits 1934 gegen das Regime gearbeitet, wofür sie mehrmals ins Gefängnis musste. Und was wird aus meinen Kindern? – Diese bange Frage wird immer weniger beantwortbar, die politische Situation immer unsicherer, Evas Mann ist in Australien gelandet, unfreiwillig zwar, aber doch froh, dem Dollfuß-Regime bzw. dem Nationalsozialismus entkommen zu sein.

Die Zeitsprünge bringen Spannung, linear lässt sich eine Geschichte der Unsicherheit, des Verrates und Kämpfens wohl kaum erzählen. Das Romanende erinnert an die Wortkargheit von Wolfgang Borchert, hier wie dort zieht ein Verzweifelter seine letzte Konsequenz. Und seine Ehefrau, seine Retterin und Vertraute macht weiter, immer weiter, sie scheint unbesiegbar.

„1967 schließt Eva ihr Jus-Studium ab. Sie ist jetzt sechsundsechzig Jahre alt, und das Dokument, das sie in einer feierlichen Zeremonie überreicht bekommt, schwenkt sie wie eine Fahne. Es ist die Stunde ihres Triumphs. Sie hat es ihnen allen bewiesen. Den Spöttern, den Zweiflern, den Missgünstigen, vor allem aber sich selbst. Ihr Mädchentraum hat sich erfüllt. (S. 185)“

Die Autorin ist 1954 in Kursk geboren, lebt seit 1987 in Wien. Sie hat Sozialpädagogik studiert und an Projekten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands mitgearbeitet. Der vorliegende Roman ist ihr Debüt.

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Kennenlernen von Lebens- und Überlebenstechniken, verwobene Lebenspfade, Brutalität von Regimen, Mut Einzelner, Charakteristik einer stillen Frau mit viel Tiefgang, Geschichte von Mut, von Verrat und von jenen, die dagegen gehalten haben

Ljuba Arnautovic:
Im Vergorgenen.
Roman.
Wien: Picus Verlag 2018.
191 Seiten.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 02.05.2018
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