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03/24

Tut Wut immer gut?

Tut Wut immer gut?
Seit der greise Stéphane Hessel im Jahr 2010 sein „Empört Euch!“ in die Welt geschmettert hat, werden wir überflutet von Büchern, die seiner Aufforderung folgen. Neuerdings trifft die Empörung vor allem die Feministinnen. Zu Recht?

Feindbild Mutterglück“: schwarzer Einband, rote Schrift beim Feindbild, helles Blau beim Mutterglück, eine Kampfansage, schon optisch. Antje Schmelchers Buch ist für mich schwer zu lesen. Ich muss mich sehr bemühen, zu verstehen, was die Autorin wirklich will. Denn in der Generation Empörung taucht ein altes Muster ständig auf: Man attackiert ein Feindbild, in dem Fall den Feminismus. Dass es diesen als geschlossenes System nicht gibt, wird um des Effektes willen gerne übersehen. Wo, bitte, sind an zentralen Schaltstellen der Macht in Österreich oder Deutschland Feministinnen am Werk? Und ist es tatsächlich den Feministinnen anzulasten, dass Familie häufig mit Sozialfall gleichgesetzt und Karriere überdimensional mit Lebenssinn aufgeladen wird? Dass Mütter das Feindbild der Nation seien, halte ich für eine überzogene Kritik.

Richtig ist, dass ein Kind zu haben die Lebenswelt verändert. Richtig ist, dass mehrere Kinder zu haben ein Elternpaar vor völlig neue Fragen stellt. Richtig ist, dass man in der Lebensphase „Familie“ meist nicht alles auf einmal unterbringt. Familie, Karriere, und zwar für beide Eltern, das ist eine Hochglanz-Schimäre, die zudem für viele, die Lebensqualität wollen, gar nicht erstrebenswert ist.

An diesem Punkt kann ich Antje Schmelcher gut verstehen. Wer Kinder hat, möchte auch mit ihnen leben, sich um sie kümmern, sie begleiten, Zeit haben. Er oder sie möchte dafür geschätzt und von der Gesellschaft unterstützt werden. Aus pragmatischen Gründen entscheiden sich viele Paare, dass den Part der häuslichen Betreuung der Kinder in erster Linie die Mutter übernimmt und dafür ihre beruflichen Ambitionen hintanstellt. Aber auch aus emotionalen Gründen bleiben überwiegend die Mütter bei den Kindern. Sei es, weil sie überzeugt sind, dass Kinder in erster Linie die Mama brauchen, sei es, dass sie ihre Kinder „genießen“ wollen, sei es, dass sie den Wert der Bindung an ihre Kinder höher schätzen als Anerkennung im Beruf oder Geld. Das alles ist verständlich und vollkommen in Ordnung.

Aber was möchten Frauen wie Antje Schmelcher dann von uns anderen, der sogenannten Gesellschaft?

Was sie will, ist im Buch leider nur in Nebensätzen verpackt. Sie möchte, dass Familie Elternsache ist, dass Väter in die Familienaufgaben eingebunden sind. Erst wenn Unternehmen damit rechnen müssen, dass auch Väter der Kinder wegen ausfallen oder ihre Arbeitszeit reduzieren, sei etwas erreicht.

Schmelcher möchte, dass man die Emanzipation der Frauen resümiert und die Frage stellt, ob es Korrekturen braucht. Ja, finde ich auch, dass man darüber reden sollte. Aber das hat Folgen.

Wenn Frauen und Mütter ernst nehmen, dass Familie Elternsache ist, können sie nicht gleichzeitig einen Sonderstatus für sich als Mütter beanspruchen. Das war dann wirklich gestern. Die große Frage ist, wie es gelingt, einen Elterndiskurs zu führen, der nicht die Väter zu Helfern der Mütter degradiert. Wie gelingt es, Väter so in die Debatte zu holen, dass sie dieselben Qualitäten, die Frauen in der Familie und mit ihren Kindern erleben wollen, für sich einfordern?

Spannend könnte auch die Debatte werden, wie denn eine Emanzipation als Frau in Zukunft aussehen könnte. Unzweifelhaft ist, dass die einseitige Betonung von Stärke, Macht, Härte, Geschwindigkeit, die unsere Ökonomie kennzeichnet, das Leben mindestens halbiert und daher nur halb lebenswert macht.

Das Weiche, Fürsorgliche, Bewahrende, das Langsame und das Hinkende, das Fragmentarische und Verletzliche haben wenig Platz in dieser rasenden Wirklichkeit. Kinder, Kranke, Alte, Beeinträchtigte, sie alle haben damit zu kämpfen, dass sie entweder übersehen oder „professionell“ betreut, aber nicht als notwendiger Teil unserer Welt wertgeschätzt werden. Frauen nehmen, wenn sie Mütter werden, an diesem verletzlichen Teil der Welt mehr Anteil. Es ehrt sie, dass sie für diese Seite des Lebens wütend agieren. Wer aber nur in der Wut bleibt, macht sich zum Opfer. Frauen haben zweifellos mehr Kraft.

Sie können auch kämpfen. Dazu ist es nicht nötig, die Feministinnen zu beschimpfen. Man kann sich auch andere Verbündete suchen, kann
Ziele formulieren und Strategien entwickeln. Dann entsteht etwas Neues.


Immer diese Feministinnen!

  • Bücher, die mit Wut und Feindbildern aufmachen, haben gute Konjunktur. Da geht es gegen die „Tussikratie“ (Theresa Bäuerlein, Friederike Knüpling, Verlag Random House) – gemeint sind Frauen, die in der Männerwelt alles wollen, ohne den Preis dafür zu zahlen.
  • Birgit Kelle empörte sich gegen Feministinnen, die Frauen die Weiblichkeit abgewöhnen wollen („Dann mach doch die Bluse zu“).
  • Antje Schmelcher regt nun das „Feindbild Mutterglück“ (Verlag Orell Füssli) auf. Auch sie attackiert die Feministinnen. Sie meint, die Frauenbewegung habe auf die Mütter völlig vergessen und degradiere alle, die sich verstärkt um ihre Kinder kümmern, zu Frauen zweiter Klasse.

 

Erschienen in „Welt der Frau“ 6/2014 – von Christine Haiden

Illustration: www.margit-krammer.at

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  • Veröffentlicht: 11.06.2014
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