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04-05/24

Starke Teams und immer ein paar Schritte voraus

Starke Teams und immer ein paar Schritte voraus

Bernadette Conrad nimmt ihre Leserinnen und Leser mit auf eine interessante Reise: Sie begegnet Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern, ihren unterschiedlichen Lebenssituationen und den Gründen, warum diese Familien eben aus einem Elternteil und einem Kind oder mehreren Kindern bestehen. Wir fahren also zu Cornelia Funke, deren Mann so plötzlich verstarb, wir besuchen die Friseurin Erika mit ihrer Tochter Lucinda in einer kleinen süddeutschen Stadt, wir trinken bei anderen Alleinerziehern Tee und kriegen viel mit von diesem guten Leben. Die Autorin hat Alleinerziehenden-Familien besucht, in genau zwei davon gibt es ein Geschwisterkind. Ja, wirklich, ein gutes Leben trotz all des Stresses, all der finanziellen Sorgen, all dieser Situationen, in denen ein zweiter Erwachsener an der Seite gut täte, einem selbst und den Kindern, dem Kind ja ebenfalls. Wer sich für Literatur interessiert, wird die Passagen, in denen Conrad mit Cornelia Funke und Doris Lessing spricht, besonders genießen.

Ehrlich fließt der Mutter-Tochter-Alltag im Hause Conrad ein, mancher Streit, manche Unstimmigkeit, viele Situationen der Unsicherheit und Überforderung: Manchmal hat die Mutter die Überforderung ihres Kindes einfach nicht erkannt, manchmal aufgrund der eigenen Überforderung überreagiert – aber alles ließ sich ausreden, ließ sich wegschmollen und wenn es sein musste auch im ersten Moment wegbrüllen. Ehrlich ist dieses Buch und direkt. Die Autorin will nämlich und das schreibt sie ganz unumwunden, eines sicher nicht sein: Mama und Papa in einer Person, hier geht es nicht um „mehr“ oder „weniger“, sondern um „anders“ und das ist doch ein sehr entspannter Ansatz. Themen wie Prekariat, unsichere Lebens-, Arbeits- und mit-dem-Geld-um-die-Runden-kommen-Situationen werden hier exakt, korrekt und ohne Wehleidigkeit behandelt.

Die Journalistin und Autorin Bernadette Conrad erzählt von ihrer Arbeit, ihrem Leben und ihren Reisen mit ihrer Tochter Noemi. Sie klammert die Streitigkeiten dabei ebenso wenig aus wie die tiefen Freundschaften zu anderen Erwachsenen, die eine Art Wahlfamilie für sie werden, die da sind, die sich Zeit nehmen, die beim Umzug helfen und einfach sagen: Dafür ist Familie da.

Alleinerziehendenglück hängt ganz entscheidend auch mit jenen zusammen, in deren Mitte man lebt. Es steht und fällt mit Solidarität; mit der eigenen Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, Netzwerke zu knüpfen und Teil eines größeren Gewebes zu sein. Alleinerziehnden-Glück ist etwas, das leicht entgleiten kann – sobald ich es behaupte, flutscht es mir aus den Händen wie ein Stück Seife. (S. 339)

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Poesie, Auseinandersetzung mit Triangulierung, mit Menschen, die reisen, mutig sind, ihre Kinder lieben und sie allein großziehen, die auf Solidarität setzen, ihre Werte leben, die sparen und viel wagen; Reisen in Europa und in den USA, eine rege Mutter-Tochter-Beziehung, Konflikte, die man nicht erleben, aber auch lesend nicht missen möchte, zu gut kennt man sie. Bernadette Conrad ist eine Meisterin des literarischen Porträtierens, nicht nur bei Doris Lessing, Cornelia Funke und Paula Fox, sondern bei allen Kleinstfamilien, die sie besuchte: Wir sehen sie, wir sind ein Stück Weg mit ihnen gegangen.

 

Die Autorin, 1963 in Stuttgart geboren, schreibt als Literatur- und Reisejournalistin für renommierte Zeitungen wie die „Zeit“ oder die „NZZ“, dennoch weist sie darauf hin, dass ihr der Begriff „Prekariat“ so fremd nicht ist, immer wieder steht auch die Existenzangst im Türrahmen. Und weil Sie schon dabei sind: Lesen Sie doch auch ihr Buch über Paula Fox „Die vielen Leben der Paula Fox“, auch der Besuch bei ihr kommt im vorliegenden Buch vor.

 

 

Bernadette Conrad:

Die kleinste Familie der Welt.

Vom spannenden Leben allein mit Kind.

München: btb 2016.

348 Seiten.

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  • Veröffentlicht: 30.11.2016
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