Aktuelle
Ausgabe:
Familie
11/12/24

Spuck mal ins Meer

Spuck mal ins Meer

Henning Mankell schreibt 1997 in Mosambik das Nachwort zu seinem Debütroman, der 1972 in Schwedisch erschienen ist, er erinnert sich an das Buch, mit dem er damals debütierte:

„Zum ersten Mal wirklich gedruckt zu werden. ... Die Frage war allerdings, was ich schreiben sollte. Eine lebenswichtige Frage, denn einen anderen Beruf konnte ich mir für mich nicht vorstellen. Also, was sollte es werden? (S. 188; Nachwort)“

Mankell zieht Bilanz zwischen dem Damals und seinem Heute (1997), sie entspricht zur Gänze dem Bild der Schieflage der Verteilungsgerechtigkeit, daran hat sich in den vergangenen zehn Jahren nichts geändert, ganz im Gegenteil.

„Aber die Armen und Ausgebeuteten sind in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren nur noch ärmer geworden. ... Heute wird unterschieden zwischen nützlichen Menschen und solchen, die nicht gebraucht werden. Am Rande der schwedischen Großstädte existieren mittlerweile Ghettos. Die gab es vor fünfundzwanzig Jahren noch nicht.“

Dieser Roman skizziert das Arbeitsleben von Oskar Johansson, streift sein Privatleben vor und nach seinem schweren Unfall bei einer Sprengung und begleitet Oskar zu seinem Leben, zurückgezogen, zufrieden und Standpunkte reflektierend in einem alten, baufälligen Saunahäuschen des Militärs in den Schären. Oskar hat nie viel gebraucht und nie viel gehabt: Eindrücklich schildert Mankell den Ausflug, den Oskar mit seinem Vater unternahm, für eine Bootsfahrt reichte es nicht, aber da das allen klar war, lag das Glück darin, den Bootsverkehr zu beobachten. Wer als Latrinenarbeiter das Geld für sich und seine Familie verdient, wird den Geruch der Fäkalien nie mehr los, Oskars Vater fügt sich zwar in dieses Schicksal, verbietet aber gleichzeitig seinem Sohn „Sozialist“ zu werden. Vergebens, Oskar zieht aus.

Oskar überlebt den Unfall bei der Sprengung, schwer verletzt; er will weder ein Glasauge noch eine Prothese und bleibt fortan der etwas kauzige Arbeiter mit einem Auge und einer Hand. Dass ihn seine Freundin immer seltener besucht und schließlich einen anderen heiratet, steckt er sinnierend weg, er hat es ja kommen sehen. Arm gegen Reich, das zieht sich durch die Gespräche, die der Autor seinem Protagonisten und dessen Besucher, diesem vertrauten „wir“, das zusammen philosphiert und politisiert. Drei Kinder hat Oskar mit Elvira, der Schwester seiner ersten großen Liebe Elly, der Sohn kauft sich, kaum erwachsen, eine Waschmaschine und eröffnet damit seinen ersten Waschsalon, im Telefonverzeichnis steht er als „Geschäftsführer“, hat die Reihe der Arbeiter durchbrochen, sein Verhältnis zum Vater ist distanziert. Oskar bleibt bis zu seiner Pensionierung Sprenger, mit Elvira unternimmt er nur einmal, genauer gesagt im Jahr 1950, eine zweiwöchige Busreise nach Österreich. Er und Elvira sind die einzigen Arbeiter unter den Reisenden, sie sehen die Spuren des Krieges und geben das meiste Geld an die vielen Bettler, die sie in allen Städten sehen.

Der Roman ist in 25 Kapitel geteilt, was den Erzählfluss nicht hemmt, Ordnung schafft und das Lesen wie Zurückblättern und Nochmallesen erleichtert: Anstand in jeder Handlung, Bescheidenheit und Stärke in jeder Situation, ein wacher Geist, der stur seine Werte verteidigt, lieber im Saunhäuschen als in der Siedlungswohnung lebt und als Chronist vom Sozialismus, vom Auf- und Niedergang von Idealen erzählt. In Brocken, ohne Pathos und Selbsterhöhung.

„Oskar Johannes Johansson war sein ganzes Leben lang Arbeiter. Wie sein Vater. Wie sein Großvater. Sie waren Kanalbauer, Schleusenwärter, Latrinenarbeiter und Sprengmeister. Johannes, der Vater und Oskar. (S. 58)“

Was Sie versäumen, wenn Sie dieses Buch nicht lesen: Sanftheit, Klarheit, Freude, Charaktere, die mit Resilienz bestechen, die immer wieder aufstehen und weitermachen und sich wundern würden, bezeichnete man sie als „Helden“, Stimmung, Aufbruch, besondere Orte wie etwa eine alte Militärsauna, Offenherzigkeit und Verletzlichkeit der Personen, das Gefühl, mittendrin zu sein.

Der Autor (1948 – 2015), Theaterregisseur und Schriftsteller, tätig in Schweden und Maputo/Mosambik hat mit seinen Kriminalromanen beeindruckt, viele LeserInnen erreicht, seine Wallander-Serie hat Weltruhm erreicht. Doch es gibt die anderen Bücher wie „Der Sandmaler“ und „Der Sprengmeister“ und die sind genau, zärtlich, klar, die Spannung beziehen sie daraus, manchmal das Leben einfach auszuhalten.

Die Übersetzerinnen:
Verena Reichl: 1945 geboren, mehrfach ausgezeichnet für ihre Übersetzungen.
Annika Ernst: 1970 geboren, übersetzt Kinderbücher und Krimis aus den skandinavischen Sprachen.

Henning Mankell:
Der Sprengmeister.
Roman.
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel und Anika Ernst.
Wien: Paul Zsolnay Verlag 2018.
188 Seiten.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 26.09.2018
  • Drucken