Unbeschwert radeln die beiden auf dem Buchcover hinein in die schulfreie Zeit. Wie herrlich, auf dem Gepäckträger mitfahren zu können, die Hände um den Bauch des Kameraden, die Beine seitlich abgespreizt, nur ja nicht mit den Fersen in die Speichen geraten. Und der Fahrtwind pfeift zwischen den Zehen durch! Das Vertrauen der „Packltrager“-Passagierin ist unermesslich. So unterwegs zu sein an einem lauen Sommerabend – der Himmel sanft verfärbt, und die Schatten schon lang – das ist reinste Sommerglückseligkeit.
Durchzug
An manchen Tagen
wenn die Welt auf Durchzug steht
lüftet sich der Kopf
ganz nebenbei
vom Ernst des Lebens frei
Elisabeth Steinkellner gelingt es auf wundersame Weise, mit ihren Gedichten die Stimmung der reiselustigen Zeit einzufangen. „Vom Flaniern und Weltspaziern“ umfasst 66 lyrische Texte unterschiedlichster Länge und Struktur, auch Lautmalerisches und Nonsensgedichte. „Ottos Bock rockt“ und Texte der Konkreten Poesie erweisen Ernst Jandl die Ehre und verführen unaufdringlich zum Nachlesen der Meilensteine österreichischer Reimkunst.
Manchmal legt sich die Autorin ein starres Korsett an – die Reihe der Selbstlaute A-e-i-o-u, oder Gedichte, die nur einen einzigen Selbstlaut dulden („Miss Mississippi: Kim tritt im Bikini ins Licht“), oder von „Aß Artischoken in Argentinien“ bis „Zählte Zebrastreifen in Zimbabwe“ – nichtsdestotrotz atmen ihre Zeilen schwebende Unbekümmertheit. Sie gestaltet munter, streift leichtfüßig durch das Dickicht des Sprachmaterials, den Buchstabenparcours entlang durchwandert die Klangpromenade der Lautreihen und jongliert mühelos mit Vokalen. Die Gedichte wirken, als wäre ihr das alles einfach so passiert. Das soll ihr einmal wer nachmachen! Augenblicklich fühl ich mich verlockt, mit Kindern gemeinsam ähnliche Texte sprachzubasteln.
Intensiver kennengelernt hab ich den Gedichtband am Grundlsee während des grandiosen Familienlektüre-Seminars „Der See, das Buch und ich“, als uns Andrea Kromoser auf ihre bedächtige Art etliches daraus vorgelesen hat. – Es war wunderbar, einmal Teilnehmerin sein zu dürfen! – „Kindergedichte können auch erotisch sein“, das habe sie gar nicht gewusst, so Andrea nebenbei, und wirklich, Steinkellner verschickt knisternde Botschaften, die sich mit Bauchkribbeln behutsam entfalten: Niemand sei jemals zu alt für die Liebe: Oma, die für den griechischen Küchengehilfen Niki schwärmt, sitzt momentan sehr gerne in Dimitrios Taverne, oder „Die ökologische Zitrone / geht unten und oben ohne.“
Zärtliche Illustrationen von Michael Roher haben sich den Texten an die Seite gesellt, meist mit feinem schwarzen Strich gezeichnet, und farbige Doppelseiten für ein Innehalten während der Lektüre. Und fast ist mir, als hörte ich Elisabeth und Michael gemeinsam kichern, beide mit dem Zeigefinger auf der Landkarte, sich Kategorien überlegend für eine Gruppierung der sprechenden Ortsbezeichnungen für „Urlaub in Österreich“: Literarische Reisen nach Bucheck oder St. Roman, Kulinarische Genussreisen nach Wampersdorf, Reisen für Liebhaber edler Tropfen nach Bräuhof oder Wankham.
Die Gedichte von Elisabeth Steinkellner sind ohne Altersbeschränkung freigegeben für aufgeweckte Kindergartenkinder genauso wie für kindische Großeltern, frühentwickelnde Pubertiere, sehnsuchtsvolle Zuhausebleiber und notorische Stubenhockerinnen, überarbeitet Väter und urlaubsreife Mütter: Lyrik als Medizin, Heilmittel für die fernwehgeplagte Seele. Angezeigt besonders in den Ferien, wenn ausreichend Zeit sein darf für gemeinschaftliches Verknuspern sprachlicher Leckerbissen.
Elisabeth Steinkellner (Text) / Michael Roher (Bild):
Vom Flaniern und Weltspaziern
Tyrolia Verlag, 2019
Veronika Mayer-Miedl
wurde 1971 geboren, ist Buchhändlerin, Mutter von 3 Kindern und lebt in Ottensheim, wo sie 17 Jahre im Kleinen Buchladen tätig war. Ein Fernkurs für Kinderliteratur an der „STUBE Wien“ war wegweisend. Glückliche Begegnungen bei Seminaren im „Kinderbuchhaus im Schneiderhäusl“ inspirierten zu Bilderbuch-Stunden für Eltern-Kind-Gruppen, zu Literaturvermittlung für Vorschulkinder und zu Referententätigkeit für Kindergartenpädagogik. Aktuell rollt sie mit Eisenbahn oder Fahrrad die Donau entlang nach Linz, wo sie als Mitarbeiterin der Buchhandlung ALEX am Hauptplatz Bücher empfiehlt, die auf den zweiten Blick noch Überraschendes bereithalten. Mit ihrer Freundin vom Figurentheater [isipisi] teilt sie die Leidenschaft für das japanische Erzähltheater „Kamishibai“ und gibt Vorführungen in Bibliotheken, Kindergärten und Schulen. Fallweise tritt sie als Grille, rebellische Juliane oder sogar Meerjungfrau auf.