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10/24

Solange es notwendig ist

Solange es notwendig ist
Foto: Katharina Cibulka

Auf riesige Baustellennetze stickt Künstlerin Katharina Cibulka Sprüche, die für Aufsehen sorgen. Stets beginnen sie mit „Solange …“ und enden mit „… bin ich Feminist:in“. Warum Feminismus nach wie vor ein Reizwort ist und warum der Dialog die wichtigste Form des Aktivismus ist.

Katharina Cibulka ist die Jüngste von sieben Geschwistern. Sie arbeitete als Kameraassistentin, studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und lebte ein scheinbar gleichberechtigtes Leben. Bis sie Mutter wurde.

„Ich bin in dem Selbstverständnis aufgewachsen, dass wir alle gleichberechtigt sind. Lange dachte ich, dass fleißige Arbeit dazu führt, dass man alles erreichen kann. Erst als meine erste Tochter geboren wurde und wir beschlossen, dass ich im ersten Jahr die Care-Arbeit übernehmen würde, habe ich gemerkt: Da funktioniert etwas überhaupt nicht. Die Strukturen sind nach wie vor nicht auf eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgerichtet.“

Sie war frustriert und fühlte sich isoliert. Und begann, dieses Unbehagen in ihrer Kunst zu kanalisieren. Sie schärfte ihren Blick für Ungerechtigkeiten und stellte ernüchtert fest, dass viele junge Menschen überhaupt nicht das Bedürfnis hatten, sich aktivistisch für feministische Belange einzusetzen. 

„Weil sie glauben, es sei schon alles erreicht. Und das wird einem ja auch ständig suggeriert. Aber es ist eben nicht so. Ich begann im Freundeskreis herumzufragen: ‚Wie lange müssen wir uns eigentlich noch einsetzen für Gleichberechtigung?‘ Und: ‚Bist du Feminist:in?‘ Da kamen sehr viele Antworten, die sehr interessant und auch berührend waren. Es ging darum, dass Frauen weniger verdienen, alleine die Care-Arbeit leisten, Gewalt erleben, oder warum es keine Päpstin gibt. Als Künstlerin wollte ich unbedingt etwas mit diesen Antworten machen, diese einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.“

Schon ihre Studienarbeiten waren feministisch, sie experimentierte mit verschiedenen Techniken des künstlerischen Ausdrucks: Fotografie, Film, Performance. 2012 hatte sie ihre erste Einzelausstellung in der Fotogalerie Wien. Die Ausstellung kam gut an, hätte weiterwandern sollen – wurde aber von anderen Galerien nicht angenommen. Die Begründung: Feminismus sei „out“.

„Feministische Kunst war 2012 also ‚out‘. Zum Glück hatte unser ‚Solange‘-Projekt etwas Anlaufzeit, weil ich an anderen Projekten gearbeitet hatte. Als es endlich so weit war, war die #metoo-Bewegung in vollem Gange – und Feminismus war nicht mehr ‚out‘, sondern ein riesiges Thema. Nach wie vor hat Feminismus aber einen schlechten Ruf, das Wort ist direkt ein Reizwort. Für mich ist es aber eine ganz wichtige Bewegung, ohne deren Errungenschaften wir heute hier nicht sitzen würden. Feminismus ist kein Minderheitenprogramm, obwohl uns das oft so suggeriert wird. Wir sind schließlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung.“

Feministinnen – und Feministen – kämpften jahrhundertelang darum, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer bekommen. Katharina Cibulka sieht sich aber nicht als Kämpferin, das ist ihr wichtig. Denn wo gekämpft wird, gebe es Verlierende und Verletzte. 

„Ich setze mich einfach dafür ein, voll und ganz. Mir ist Gleichberechtigung einfach sehr wichtig.“

Die Sätze, die Katharina Cibulka damals aus ihrer Umgebung „sammelte“, mussten irgendwie künstlerisch verarbeitet werden. Sie überlegte lange, was sie damit machen könnte: Neonschriften? Graffitis? Plakate? Und als sie einmal vor einer großen Baustelle stand, wurde ihr klar, wie groß die unbenutzte Fläche der Gerüstnetze ist, die an Baustellen hängen. Noch dazu im öffentlichen Raum, nicht in einem Museum, wo die Kunstwerke wieder nur gleichgesinnte Menschen zu sehen bekommen.

„Die Baustelle steht aber noch für mehr. Sie ist erstens eine klassische Männerdomäne – und sie besteht nur, solange etwas in Ordnung gebracht wird.“

So machte sie sich auf die Suche, überlegte, wie sie ihre Idee technisch realisieren könnte, verwarf die Idee, die Netzte bedrucken zu lassen, und landete schließlich beim Sticken. Die Sprüche auf den „Solange“-Netzen sind in riesigen Buchstaben mit magentafarbenem Tüll und pinken Kabelbindern auf die Netze im Kreuzstich gestickt, in Handarbeit. In jedem Netz stecken viele Monate Arbeit. 

„Das Sticken war ein logischer Schritt. Frauen sind jahrhundertelang im privaten Raum gesessen, haben winzig kleine Monogramme und Sinnsprüche gestickt. Und wir holen diese typisch weiblich konnotierte Tätigkeit in den öffentlichen Raum, sticken riesengroß und alle dürfen sich damit auseinandersetzen. Viele sehen nur das Wort ‚Feminist:in‘, finden es unnötig und lesen gar nicht, was davor sonst noch steht. Andere denken sich: „Wie toll!‘“

An die Baustellen zu kommen, war der schwierigste Part. Es hagelte Absagen über Absagen. Wenn dann endlich eine Baustelle angeboten wurde, lag sie am Ende der Welt in einer winzigen Seitengasse. Inzwischen hatte Katharina Cibulka Verstärkung bekommen und heute versammelt sie ein ganzes Team um sich. Tina Themel, Texterin, Vivian Simbürger, Textilkünstlerin, Margarethe Clausen, Übersetzerin, Marie Themel, Instagram-Managerin sowie Claudia Eichbichler, die sich heute unter anderem darum kümmert, neue Baustellen zu finden. Das ist heute etwas weniger schwierig als noch zu Beginn von „Solange“.

„Wir suchten, fragten an, verteilten Postkarten, erzählten von unserem Projekt. Und wir dachten auch daran, aufzugeben. Im Nachhinein denke ich mir aber, dass diese Phase wichtig war, das Dranbleiben. Weil das Projekt dadurch bekannt wurde und sich plötzlich doch die Baustellen aufgetan haben.“

Inzwischen gibt es 28 „Solange“-Netze mit 28 Sprüchen, die alle mit „Solange …“ beginnen und mit „… bin ich Feminist:in“ enden. Sie hingen am Innsbrucker Dom, in der Seestadt Aspern, am Wiener Tuchlauben, in Köln, Ljubljana und Washington. Die Sätze sind auf Deutsch, Englisch, Französisch, Slowenisch – oder Arabisch: Bis nach Marokko schaffte es das feministische Projekt, ein Kraftaufwand sondergleichen und eine kleine Weltsensation. Am Anfang gaben die Gebäude und Locations die Sätze vor. So hing „Solange Gott einen Bart hat, bin ich Feminist“ am Innsbrucker Dom. Im Laufe der Zeit hat Katharina Cibulka begonnen, die lokale Bevölkerung stark einzubeziehen. 

„Wir halten Workshops und Vorträge, verteilen Postkarten, auf denen wie auf den Netzen, ‚Solange …‘ und ‚… bin ich Feminist:in‘ steht, und legen sie etwa in Ämtern, an Schulen auf. Die Menschen füllen die Leerstelle dazwischen aus und schicken sie uns. Wir wissen dann, was in dieser Region die wichtigsten Themen sind. In Linz beispielsweise war Gewalt ein Thema. Im Ötztal haben wir sogar den Satz einer Frau genommen, den sie in Mundart geschrieben hat. Meist entstehen die Sätze aber aus einer Art Essenz dessen, was die Menschen der Region uns schreiben. Dieser partizipative Prozess ist ein wichtiger Bestandteil. Woher soll ich wissen, was die Menschen gerade im Salzkammergut oder in Washington bewegt?“

Mit jedem Netz tauchen Katharina Cibulka und ihr Team in neue Felder des Feminismus ein, ergründen neue Bereiche, wie etwa die Gendermedizin. Das, was sie da erfahren, lässt sie niemals kalt zurück. Es mache sie wütend, wenn sie hört, dass Dosierungen für Medikamente lange nur an Männern getestet wurden. Dialoge, die durch diese Sätze angestoßen werden, wünscht sie sich von den Menschen, die ihre Baustellennetze betrachten.

„Ich erhoffe mir auf alle Fälle, zu sensibilisieren, und dass Kommunikation und Diskussion stattfinden. Ich habe zum Beispiel erfahren, dass in Innsbruck ein Opa mit seiner queeren Enkelin über unser Netz intensiv diskutiert hat und dadurch die jeweils andere Sichtweise besser verständlich wurde. Und diese Gespräche, davon bin ich überzeugt, sind der Schlüssel. Wenn Mütter am Spielplatz ihre Schmerzen miteinander teilen, wird sich nichts verändern. Wir müssen zuhören und verstehen, was uns jeweils bewegt.“

Ausgerechnet das Netz an der Universität zu Köln, in einer Stadt, die für Offenheit steht, wurde vandalisiert. Der Wortteil „Femi“ wurde herausgeschnitten. Katharina Cibulka überlegte, wie sie damit umgehen sollte. Ihr war schnell klar, dass sie das Netz nicht „einfach“ flicken wollte. So haben sie die fehlende Stelle zwar repariert, aber durch eine Schrift in Regenbogenfarben ersetzt. 

„Wir wollen zeigen, dass man dem Feminismus nicht einfach ein Loch zufügen kann und dahinter eine Leerstelle ist. Sondern, dass dann eine weitere Schicht freigelegt wird, dass dahinter andere marginalisierte Gruppen stehen, weitere Missstände, die es aufzudecken gilt. So haben wir diese weitere Ebene sichtbar gemacht.“

Die Künstlerin spielt mit dem Wort „Solange“. Dass der Tag kommen wird, an dem es keinen Feminismus mehr braucht, wäre natürlich ihr Wunsch. Die aktuellen politischen Entwicklungen würden aber eher das Gegenteil zeigen. Erschreckend findet sie, wie schnell Gesetze ausgehebelt und feministische Errungenschaften wieder rückgängig gemacht werden. Bedrohlich und unendlich traurig sei es. Und gefährlich, dass junge Menschen heute viel zu wenig über feministische Geschichte wissen.

„Sie wissen nicht, dass gewisse Gesetze erst in den 1970er- und 1980er-Jahren verabschiedet wurden. Es mangelt auch an dem Bewusstsein, dass diese Gesetze von engagierten Frauen und Männern intensiv erkämpft worden sind – und dass sie jederzeit wieder gekippt werden könnten. Es ist wichtig, achtsam zu sein, wachsam zu sein und nicht lockerzulassen. Ausruhen geht nicht.“

Neben feministischer Grundbildung sei es auch wichtig, Gremien diverser zu besetzen. In der Politik, aber auch an Universitäten, in Aufsichtsräten und allen Organisationen. Im Moment würden die Strukturen einen bestimmten Typus Mann stark bevorzugen, der in der Politik an die Macht kommt. Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Diversität, das Ende der strukturellen Benachteiligung von Frauen, das wäre ein Ziel. Und manchmal würde das eben auch bedeuten, ungemütlich zu werden, anzuecken, den Mund aufzumachen. Das, sagt Katharina Cibulka, müsse man eben aushalten.

„Jemand hat kürzlich zu mir gesagt, ich sei nicht gefällig. Und es stimmt. Ich habe mich davon verabschiedet, gefällig zu sein. Auch durch unser Projekt. Im Ötztal kam ein Journalist auf mich zu und begrüßte mich mit ‚Ah, Sie sind die Männerhasserin!‘ Er dachte sehr klischeehaft, so müsse ich als Feministin sein. Über diese vorurteilsbehaftete Begrüßung war ich schockiert. Viele Menschen tragen diese einseitigen Bilder im Kopf, und deshalb ist es wichtig, dass wir das Wort ‚Feminist:in‘ benutzen – solange es eben notwendig ist.“

Foto: SOLANGE

In ihrem Buch erzählen die Frauen vom SOLANGE-Team detailliert über ihr Projekt und die Geschichten vor, hinter und neben ihren Netzen. Mit Beiträgen von Nikita Dhawan, Ines Gebetsroither, Nina Schedlmayer, Paul Scheibelhofer, Hannah Shambroom.

Katharina Cibulka, Tina Themel (Hg.): „Let´s go equal – The Solange Projekt”, Texte auf Deutsch und Englisch, Hirmer Verlag, 424 S., € 41,10

Bestellen unter: [email protected]

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  • Veröffentlicht: 15.11.2023
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