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03/24

Sich zum Affen lesen

Sich zum Affen lesen

Es gibt Texte, die liest man am besten laut, weil man dann den Faden nicht verliert, weil man dann erst kapiert, worum es geht. Diesen Roman laut zu lesen, ist ambitioniert, ihn zweimal zu lesen nahezu streberhaft, bringt es aber. Denn den Schimmi, den kapiert man bei nur einem stillen Lesedurchgang nicht so richtig. Schimmi wohnt mit seiner Mutter in einem Hochhaus, 17. Stockwerk, um genau zu sein: Von dort glotzt er durch sein Fernrohr in die Wohnungen der umliegenden Hochhäuser, beobachtet die Frauen und schaut den anderen direkt in den Fernseher und manchmal auch ins Internet hinein. Mutter und Sohn leben in einer Weltstadt, die unter Tags grau ist und erst in der Nacht bunt wird. „Geh schlafen, iss die Banane!“ So sagt es die Mutter zu ihrem Schimmi, dem ausgewachsenen Mann mit dem kleinen Dachschaden, der von Schtilettos schwärmt, ja, ein kleiner Sprachfehler halt. Auf Schtilettos und gehüllt in ihren Blaufuchs verlässt Mutter das Appartment: Unten wartet das Taxi und bald wird sie ihren Sohn per Handy kontaktieren, kontrollieren, frustrieren. Klar, dass Schimmi durchs Fernrohr zusieht und erkennt, wie betrunken der Taxifahrer ist, dass er das Ziel der Fahrt ja gar nicht kapieren kann und seine Mutter beinahe in den Tod gefahren hätte: Egal, Schimmi tut sich selber leid, wär er jetzt doch beinahe zum Waisenkind geworden. Welche Augen er doch hat, eigentlich sollte er sich sofort fotografieren, das gibt schon was her.

Da ist noch die Ninni, seine Angebetete, die ihm rät: Schimmi, mach dich nicht zum Affen. Überhaupt, die beiden „i“, die liebt die Hauptperson: „Wenn ich eine begatte, dann eine mit i.“ Ninni: junge, rosige Haut, das Ganze ehrgeizlos, entspannt bei den Asia-Girl, entspannt bei der Maniküre, während sie hier begafft und angemacht wird, von diesem Nichtsnutz, der sie zu lieben beginnt. Und sich wirklich zum Affen für sie macht, schließlich gibt es den Kostümverleih. Egal, ob in der Daktari-Ära, egal, ob aus der Ära „Gorillas im Nebel“ oder „King-Kong“, der Planet der Affen hat immer auf seine Kostüme geachtet: Jetzt gilt es, Ninni zu erobern, zu überzeugen und dabei der Mama nicht unter die Augen zu kommen. Auch Mama hat ein Schicksal. Sie, die ehemalige Rodeo-Reiterin, ist Schimmis Vater mitten in einem Auftritt begegnet, dieser Idiot ist doch tatsächlich mit seinem Fallschirm mitten in der Arena gelandet und hat sich das Girl gekrallt. Mama hatte doch zuvor einem Cowboy versprochen, ihn zu heiraten, der hatte sogar schon die Kapelle und all die Sachen bestellt. Das Tragisch-Komische des Helden, seiner Angebeteten, seiner Mutter und auch der Geschichte seines Unfalls: Ja, er ist vom Schaf gefallen in der Arena, gerade in dem Moment, als Sammy das Pferd hereingelassen hat, ja, da hat ihn dieses Pferd beinahe zu Tode getrampelt. Und ja, da haben die beiden Männer endgültig kapiert, wer Schimmis Vater ist, also der eine hat kapiert, dass er es nicht ist. Und das alles wegen der dämlichen Blutspende, die alles ans Tageslicht – welch schöne Worthülse! – brachte.

Hab ja das Talent von der Mutter geerbt, die Kühnheit vom Vater und die Muskeln von beiden. Als ich kleiner gewesen bin, habe ich dabei Motorradhelm und Ellbogenschoner getragen und mich auf einem wild durch die Arena stiebenden Schaf festgehalten, bis es mich abgeworfen hat. Oft habe ich mich dann aber noch für ein paar Sekunden halten können, unten am Bauch des Schafes hängend, zwischen den vier Beinen, während das Schaf rannte und rannte wie vor einer Gefahr davon, und den Staub hat’s mir ins Gesicht geblasen auf uns’rem wilden Ritt.

Und dann hört Schimmi auch noch das Schluchzen seiner Mutter, ihr Gejammer mit Guadalupe, dem Hausmädchen, das sich immer über den Schmutz beklagt, den er macht. „Er kann ja nichts dafür!“ – Das ist Vernichtung für einen ganzen Kerl, der sich doch nur manchmal und das auch nur freiwillig zum Affen macht.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Jonglieren mit Sprachhülsen, Ausreizen der Sprachgrenzen, Spiel mit Metaphern und Gemeinplätzen – „sich zum Affen machen“ – Wirklichkeitsverweigerung der Hauptperson, Fantasiedschungel-Spiele, Ernst im Spiel, Freude am Spielen, bewusstes Blödsinn-Machen, einen genialen Antihelden.

Die Autorin, Jahrgang 1979, weiß, was sie hier anbietet; Passagen aus dem Roman hat sie 2015 in Klagenfurt bei „40. Tage deutschsprachiger Literatur“ – Bachmann-Preis sozusagen – vorgetragen, inszeniert; ihr Roman-Debüt „Für den Herrscher aus Übersee“ erhielt sie den Aspekte-Preis, für „Johnny und Jean“ war sie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

 

 

Teresa Präauer:

Oh Schimmi.

Roman.

Göttingen: Wallstein Verlag 2016.

203 Seiten.

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  • Veröffentlicht: 16.11.2016
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